»Keine Herberge können wir erwerben.«

Ghiga v. Smiechowska

Für ein neues und auch vertrautes Publikum wurde die fünfstündige Gesamtaufführung der drei Oberuferer Weihnachtsspiele am 9. Januar im Carl Orff Saal des Münchner Gasteigs zu einer tiefgreifenden Premierenerfahrung. Aus der Inszenierung von Aiga Matthes spricht Gottesbotschaft und aktuelle Wirklichkeit:

Am Anfang Adam in essenzieller Erschütterung; mit dem Apfelbiss ist er aus der paradiesischen Einheit mit Gott herausgefallen, aber er bekommt auch für sein Erdenschicksal die Gabe Gut und Böse zu unterscheiden. Im Christgeburtsspiel drängt die klagende Menschheit aus dem Zuschauersaal auf die düstere Bühne mit der Bitte: »Oh Heiland reiß die Himmel auf«, die trübe Sonne am Horizont erhellt sich langsam: Der verzweifelte Ruf »oh Sonn geh auf ohn deinen Schein in Finsternis wir alle sein« ertönt. Egoistisch-irdisches Machtstreben und Furcht haben die Welt verdunkelt. Der kindermordende Hauptmann muss am Ende des Dreikönigsspiels bitter erkennen »ach, hätt ich mich zuvor bedacht, ich hätt sie gewiss nicht umgebracht.«

Die Mysterienspiele aus dem späten Mittelalter – weitgehend im Text der Bibel gefasst – sind in der Gestaltung von ihrem bäuerlichen Ursprung befreit. Darstellung, Choreographie, Kostüme und Bühnenbild atmen in ihrem Dreiklang und unterschiedlichem Charakter Mysterien- und im Königsspiel auch Welttheaterstimmung: In der Mitte ein Ölbaum mit Granatäpfeln silberglänzend vor dem farbig leuchtenden Himmel, an welchem im Zentrum die Sonne steht – sie begleitet das Geschehen der Trilogie, wird Stern, wird Mond und wieder Sonne. Unter dem Baum schlafen nun die Hirten bei der Verkündigung seitwärts. Die Flucht nach Ägypten zeigt den Baum zuletzt im Hintergrund. Für die Geburt ein einfacher Stall mit der Krippe. Die Gaben der Könige trägt ein strenger Treppenbau mit Stehlen in der Bühnentiefe. Die Bekleidung weicht von der durch Rudolf Steiner angeregten Tradition ab. Sie orientiert sich an Bildern der Renaissance und am Stil des Orients um Christi Geburt. Als Repräsentanten der Menschheit sind Chöre durch Bewegung und Gesang mitagierend eingebunden. Sie verstärken die Dramatik des Geschehens mit der Musik von Leopold van der Pals und alten Weihnachtsliedern, südöstlich anklingend. Hervorragend besetzt und packend gespielt sind die einzelnen Gestalten durch 35 Darsteller. Sie sind vollends im Sprechen und in der Körpersprache mit ihrer individuellen Aufgabe verbunden.

Kenner der seit dem Beginn 20. Jahrhunderts jährlich weltweit in anthroposophischen Einrichtungen – bleibt durch die Anregung Rudolf Steiners gepflegten Spiele erfuhren – trotz des unveränderten Inhaltes im alten Oberuferer Dialekt die schmerzlich ernste Gegenwart und gleichzeitig die mögliche Zukunft, wenn der Engel Gabriel zu Adam und Eva spricht: »Ich will euch langsam rufen wieder«.

Die Companie der Freien Waldorfschule in Landsberg am Lech entwickelt seit 1988 unter der Leitung von Aiga Matthes mit Lehrern, Eltern, Schülern und Ehemaligen eine professionelle Form, die dem öffentlichen Raum Stand hält.

Im 21. Jahrhundert höchster menschlicher Not durch irdisches Macht- und Besitzstreben, durch Kriege und größte Vertreibung, weckt die Trilogie der Frage nach dem Menschen und seiner Aufgabe. Sie zeigt mit der Christgeburt die mögliche Entwicklung zu einer Liebefähigkeit für alle Völker und Religionen. Die intensive, dankbar bestürzte Resonanz der Zuschauer, ließ im Gemüt und in der Erkenntnis Fragen nach dem Christus-Ereignis zum Weihnachtsfest lebendig werden.