Malen, Mumins und das Meer. Die Künstlerin Tove Jansson

Sven Jungtow

»Eigentlich hätte ich eine Biographie nicht über eine, sondern über fünf oder sechs Personen schreiben müssen«, mit diesen Worten leitete Karjalainen ihren Vortrag ein. Schriftstellerin, Zeichnerin, Malerin, Illustratorin, Karikaturistin – die in einem Künstlerhaushalt mit einem Bildhauer als Vater und einer Graphikerin als Mutter aufgewachsene Tove Jansson war das, was man heute ein Multitalent nennen würde. Früh verließ sie die Schule, um in Schweden, Helsinki und Paris Kunst zu studieren. »Freiheit ist das Beste von allem« – dieses schon von ihr als Mädchen geäußerte Motto blieb bestimmend für Tove Janssons ganzes Leben. Großen Wert legte sie auf ihre Unabhängigkeit und war, was ihren Lebenswandel betraf, kein Kind ihrer Zeit. Sie hatte Liebesbeziehungen zu namhaften finnischen Künstlern, die sie in ihrer eigenen Kunst stark beeinflussten, heiratete jedoch nie. Dies war nicht nur gesellschaftlich zu der damaligen Zeit verpönt, sondern führte auch zu Unstimmigkeiten mit ihrem Vater, der ihre Beziehungen zu Künstlern mit einer »linken Gesinnung, Juden oder Kommunisten« nicht billigte. Mitte der 1940er Jahre verliebte sich Jansson in die Regisseurin Vivica Bandler und hatte ihre erste lesbische Beziehung mit ihr.

Geburt der Mumins

Jansson sah sich in erster Linie als Malerin, und obwohl sie der Auffassung war, Kunst müsse nur um der Kunst willen geschaffen werden, arbeitete sie in den späten 1930er Jahren und auch nach Ende des Krieges hauptsächlich als Illustratorin. Dabei nahm sie in treffender und kühner Art und Weise gegen die Verherrlichung des Krieges Stellung. 1945 begann sie mit der Arbeit an den Mumin-Büchern, die ihr auch in Deutschland zu einem gewissen Bekanntheitsgrad verhalfen. Die Mumins sind kleine nilpferdartige Troll-Gestalten, die dem Leben und seinen Widrigkeiten mit einer gehörigen Portion Gleichmut und Optimismus begegnen und im Mumintal in schöner Harmonie leben. Von ihrer Erschafferin vielleicht auch gedacht als eine Art Gegengewicht zu der düsteren Zeit des Krieges. Jansson betonte immer, sie schreibe keineswegs in pädagogischer Absicht, ihre Bücher sollten in erster Linie unterhalten. An vielen Stellen verschwimmt die Grenze zwischen Kinder- und Erwachsenenbuch, wenn sich Skurrilität und schwarzer Humor treffen. So gibt in dem 1954 erschienenen »Sturm im Mumintal« die Kleine Mü, ein naseweiser Dreikäsehoch, Ratschläge, wie man schreiende Kinder ruhigstellt: »Du musst es so machen wie meine Schwester und sagen, wenn sie nicht still sind, schlägst du sie tot. Hinterher bittest du sie dann um Verzeihung und gibst ihnen Bonbons.«

»Und das hilft?«, wundert sich der Ratsuchende im Buch. »Nö«, sagte die kleine Mü.

Vermutlich stockte und stockt damals wie heute einigen Eltern beim (Vor-)Lesen dieser Stelle der Atem.

Allein von ihrer Arbeit als Malerin und durch den Verkauf der Bücher konnte Jansson nur sehr mühsam ihren Lebensunterhalt bestreiten. So war sie froh, als 1952 ein britischer Zeitungsverlag an sie herantrat, um eine Mumin-Comics-Serie zu bestellen.

An sechs Tagen in der Woche sollte in »The Evening News« ein Comic für Erwachsene erscheinen, der die sogenannte zivilisierte Welt satirisch beleuchten sollte. Janssons Euphorie über den sieben Jahre dauernden Vertrag, der ihr finanzielle Unabhängigkeit bescherte, die sie vorher nicht gekannt hatte, legte sich bald. Sie merkte, dass »nur sechs Comics« in der Woche eine überaus harte Herausforderung an ihre Kreativität darstellten und der langjährige Vertrag sie von ihrer geliebten Malerei abhielt. Nach sieben Jahren kündigte sie und ihr jüngerer Bruder Lars führte die Mumin-Comics weitere fünfzehn Jahre fort.

Internationale Anerkennung

Obwohl Jansson anfänglich eher Erfolg im Ausland hatte und in Finnland ignoriert wurde, brachte ihr schließlich die internationale Anerkennung auch in ihrem Heimatland die Wertschätzung ein, die sie verdiente. So konnten 20 Millionen Leser ihrer Mumin-Bücher und das tägliche Erscheinen ihrer Comics auch in Finnland nicht länger unberücksichtigt bleiben. Tove Jansson genoss den Erfolg und die damit verbundenen Annehmlichkeiten. Ende der 1960er Jahre erschien ihr letztes Mumin-Buch und danach verfasste sie ausschließlich Bücher für Erwachsene mit menschlichen Protagonisten.

Lebenspartnerschaft

In Paris hatte Tove Jansson Anfang der 1950er Jahre Tuulikki Pietilä kennengelernt, mit der sie später eine fast 50jährige Lebenspartnerschaft hatte. Sie kauften eine Insel östlich von Helsinki, auf der sie eine kleine Hütte bauten. Im Winter wohnten sie in der Hauptstadt, wo sie ihre Ateliers in unmittelbarer Nähe hatten. Im Frühling zogen sie auf ihre Insel weit draußen im Meer und blieben dort bis in den Herbst hinein, malten, fingen Fische und entgingen dem durch Journalisten und Besucher verursachten Rummel. Auf der Insel lebten sie unter einfachsten Verhältnissen, ohne fließend Wasser oder einen Brunnen. Toves ausgeglichene und optimistische Wesensart spiegelt sich in der überlieferten Antwort auf die Frage wieder, woher sie denn ihr Trinkwasser bezögen: »Nun«, so Jansson, »ab und an regnet es.«

»Alles ist sehr ungewiss und gerade das finde ich beruhigend« – dieser Satz von Tove Jansson könnte als Überschrift über ihrem bewegten Leben stehen. Gewiss ist jedoch das Altern und so erzählt sie in einem von ihr und Tuulikki Pietilä gedrehten Film, dass sie eines Tages etwas Schreckliches bemerkte: »Ich begann, das Meer zu fürchten. Und an diesem Tag«, so sagt sie, »wusste ich, es wird Zeit, die Hütte und die Insel zu verlassen.«

Tove Jansson starb am 27. Juni 2001 in Helsinki. Sie gilt in ihrem Heimatland als eine Art Nationalheldin und heutzutage ist die Muminfamilie ein fester Bestandteil nicht nur der finnischen Kinderliteratur. Anlässlich ihres 100. Geburtstages wird in Finnlands Hauptstadt Helsinki ein Platz nach ihr benannt. In Tuula Karjalainens Biografie (Foto links), die sich hauptsächlich auf Briefe von Jansson an Freunde stützt, wird das einfühlsame Portrait einer sensiblen Künstlerin gezeichnet, die ihrer Zeit weit voraus war.

Zum Autor: Sven Jungtow ist Dipl. Pädagoge und Familientherapeut. Er lebt mit seiner Familie bei Berlin. Seit 2010 arbeitet er als freier Fotograf und Autor.

Literatur: Tuula Karjalainen: Tove Jansson – Die Biografie, geb., 150 Abb., 352 S., EUR 36,– Verlag Urachhaus, Stuttgart 2014