Soziale Dreigliederung – 100 Jahre voraus …

Annette Rappmann

200 bis 300 Teilnehmer hinterfragten in Podien und öffentlichen Veranstaltungen die Relevanz des »Urbildes Dreigliederung« für die Gegenwart. Es war nicht nur ein Symposion, sondern auch ein Fest, das sich zwischen Spielerisch-Sinnlichem, Musik und Open Spaces und der Begegnung mit langjährigen Kennern der Szene abspielte. Albert Schmelzer (Alanus-Hochschule) zeigte eindrücklich auf, wie die sozialreformerische Idee Rudolf Steiners sich im Verlauf eines Jahrhunderts verwandelte, scheiterte und auch Erfolge feierte. Während die Früchte dieses Impulses auf praktischem Feld nicht von der Hand zu weisen sind, spielt der Begriff »Dreigliederung« in den Wissenschaften keine Rolle.

Die Veranstalter wollten Steiners Gesellschaftsentwurf auch nicht explizit als anthroposophischen Ansatz vorstellen, sondern in ein Netz vielfältiger, heutiger Strömungen stellen. »Täglich wirken Tausende von Menschen daran mit, dass unser Leben sowohl untereinander als auch mit der Natur ›humane‹ Formen entfaltet. Dass ihr Wirken dabei ›dreigliedrig‹ ist, ist vielen nicht bewusst – und muss es auch nicht sein«, lautete es entsprechend in der Einladung. Unterstützt wurde diese Aussage von Gerald Häfner, dem Leiter der sozialwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum mit einem Appell an das Publikum, die Brücke zu heute relevanten zivilen Organisationen zu schlagen.

Es fanden sich die unterschiedlichsten Gäste ein, u.a. Hildegard Kurt (Soziale Plastik, Nachhaltigkeitsprojekt Erdfest), Anna Deparnay-Grunenberg (EU-Parlamentsmitglied, Bündnis 90/Die Grünen), Christian Felber (Gründer der »Gemeinwohlökonomie«). Musikalisch wurde die Tagung von Viz Michael Kremietz mit östlichen Klangmeditationen und einer Klangkollage sowie der »Stangenbohnenpartei« begleitet, die neben Cello und Gitarre privat große Äcker für Schenkgemüse »bespielt«. Die Duisburger Künstlerin Ruth Bamberg trug mit einer Bewegtbild-Komposition zum Thema Digitalisierung und Technologie bei.

Aufklärung mal anders

Man wollte »Aufklärung mal anders« betreiben, um das mitunter recht sperrige Thema auch für Jüngere zugänglicher zu machen. Schon Steiner beabsichtigte, die Werte der Aufklärung in einem immer individualistischer werdenden Kulturkontext weiterzuentwickeln. Die soziale Dreigliederung ist ein emanzipatorisch ausgerichteter Impuls. Heute gewinnt er deshalb wieder besondere Relevanz, weil als unerschütterlich erachtete Werte-Säulen zu bröckeln scheinen und selbst Errungenschaften wie die Demokratie in Frage stehen. Daran knüpfte auch das Grußwort des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann an: »Als es nun [nach dem 1. Weltkrieg] darum ging, die gesellschaftlichen Verhältnisse neu zu ordnen, entwickelte er [Rudolf Steiner] einen Ansatz, der in Zukunft nationalistischen Tendenzen entgegen wirken sollte: Er stellte Kultur, Recht und Wirtschaft den Begriffen Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit gegenüber mit dem Ziel, althergebrachte und scheinbar unüberwindliche Grenzen zwischen Staaten und Menschen zu überwinden sowie eine weltumspannende solidarische Wirtschaftsweise zu etablieren.«

Die Menschheit habe, so Gerald Häfner, geschichtlich zwar große Fortschritte auf dem Gebiet der Freiheit und Gleichheit gemacht, stehe aber in punkto Wirtschaft noch weit hinter dem Anspruch zurück, eine brüderlich-geschwisterliche zu werden. Daran knüpfte Christian Felbers Ansatz der Gemeinwohlökonomie an, der Unternehmen öffentlich nicht (nur) nach Gewinn und Umsatz bewertet sehen will, sondern auch vor dem Hintergrund ihrer sozialen und nachhaltigen Bilanz. Ein konkretes Beispiel lieferte Tobias Hartkemeyer, dessen Team auf dem biodynamischen Hof Pente einen freien Kindergarten und eine freie Schule gegründet hat und eindrücklich schilderte, wie ein Bildungskonzept in Verbindung mit solidarischer Landwirtschaft aussehen kann. Dass die Zivilgesellschaft mehr denn je gefragt ist, politische Transformation auf den Weg zu bringen, brachten die drei Vertreter der »Demokratischen Stimme der Jugend« zum Ausdruck. Diese Initiative macht durch spektakuläre Kunstaktionen auf sich aufmerksam, verbunden mit Forderungen nach einem Jugendrat in den europäischen Parlamenten. Die jungen Aktivisten fragten, ob nicht die Zeit der »Oberflächenpolierung« – wie bei der Fridays for Future-Bewegung – vorbei und ein »system change« nötig sei.

Muss die Dreigliederungs-Bewegung hier nicht einhaken? Joseph Beuys jedenfalls baute seinen Ansatz der Sozialen Plastik auf Steiners revolutionärem Gesellschaftsentwurf auf: Er gründete die GRÜNEN, die Free International University und das »Büro für Direkte Demokratie« mit, inspiriert von einem Achberger der ersten Stunde, Wilhelm Schmundt, der ihn zur künstlerischen Auseinandersetzung mit Wirtschaftsfragen wie »Was ist Geld?« oder »Kunst = Kapital« anregte.

Zur Autorin: Annette Rappmann ist Mitglied des Vereins soziale Skulptur und Mitinitiatorin des Symposions. www.sozialeskulptur.com | www.fiu-verlag.com

Literatur: J. Beuys u.a.: Was ist Geld? Eine Podiumsdiskussion, Wangen 1991 | J. Beuys: Kunst = Kapital. Achberger Vorträge, Wangen 1992