Von der Sommer-Sonnenwende zum Johannis-Fest

Oswald Sander

Feierte einst auch die katholische Kirche das Geburtsfest des Johannes Baptist wie Weihnachten als ein »Fest erster Klasse« mit dreifachem Gottesdienst, so ist es heute ein weitgehend vergessenes Fest. Für die kirchlichen Institutionen gibt es die christlichen Feste im Wesentlichen nur im aufsteigenden Teil des Jahres von Weihnachten bis Pfingsten. Dann folgt die festlose Hälfte des Jahres, in welcher die Sonne absteigt, von Johanni, dem Sommerbeginn über Michaeli, dem Herbstbeginn bis Advent. Da können wir uns erstaunt fragen: »Hat denn nur die eine Hälfte des Jahres mit dem Christus-Leben zu tun?« So steht vor uns die Aufgabe, den christlichen Sommer neu zu entdecken. 

Ein Johanni-Festbrauch muss sich noch entwickeln. Denn das gemeinsame Feiern der Jahresfeste ist ein stärkendes Erlebnis für den ganzen Schulorganismus, wenn die Gemeinsamkeit erlebbar wird, und darüber hinaus bedeutend für eine Erneuerung des sozialen Lebens. Das wird uns aber heute nicht mehr geschenkt. Es braucht Anstrengung und Übung, das Herz befeuernde Feste mit einer neuen Festgestalt zu schaffen. Johanni, die Mittsommerzeit, der Höhepunkt des Lichtjahres, führt uns nach draußen in die Natur und öffnet unsere Sinne. Die innige Verbindung einer alten Menschheit mit den Naturerscheinungen und -wesen schilderte Shakespeare noch in seinem wunderbaren »Sommernachtstraum«. Menschen und Elementarwesen geistern da im Wechsel durch das hochsommerliche Traumelement in die Menschen hinein. So empfand man in alten Zeiten das Walten und Weben der Natur an den Sommerabenden, in den Sommernächten.

Vieles von den vorchristlichen, so genannten heidnischen Festen hat sich mit den christlichen Jahresfesten verschmolzen. Heute haben wir meist nur noch den Brauch des Johannifeuers. Dies führt uns auf die Tradition des vorchristlichen Sonnwendfeuers zurück. Die Sommersonnenwende war damals der festlichste Höhepunkt des Jahres. Ein Holzstoß wurde entzündet, umtanzt und übersprungen. Früher war das Sammeln des Holzes auf den Dörfern eine lustige Aufgabe für die Schuljugend, wozu sogar mancher Dorfschulmeister bereit war, den Unterricht früher zu beenden oder ausfallen zu lassen. In Oberfranken, aber auch sonst noch verbreitet, warf man in das hochlodernde Feuer Strohpuppen, die die zu verbrennenden bösen Geister verkörperten. Den nächtlichen Feuern schrieb man in früheren Zeiten eine reinigende und schützende Kraft in Bezug auf böse Geister, Krankheit und überhaupt Unheil zu. Über die großen Sommerfeuer sprangen die Menschen mit dem Ruf: »Ich werde meine Sünden hinter mir lassen!« oder »Wir schütteln ab die Krankheiten unseres Herzens und auch die unserer Knochen!« Im Mittelalter war es am »Sunnwendfeuertanz« Sitte, bis zur Ermattung um das Feuer zu springen. Der (alte) Bauer am Feuer hoffte, dass sich die Lebenskraft der zuhöchst stehenden Sonne Mensch, Tier, Natur und nicht zuletzt der bevorstehenden Ernte zuwendet. Das hilfreiche Feuer, von der Sonne kommend und ihr Sinnbild, galt von jeher als heilbringend und reinigend, vom Bösen trennend und läuternd.

Begeistert sind auch heute die Viertklässler beim Anlegen eines Sonnwendfeuers  dabei, nachdem man mit ihnen während des vierten Schuljahres in die nordische Mythologie und Heldenzeit sowie in die Lebenswelt der alten Germanen eingetaucht war. Dem heutigen Bewusstsein des Erwachsenen ist diese Rückwendung nicht mehr angemessen, wenn er sich wie in alten Zeiten durch ekstatische Sonnenwendfeiern zu traumhaft hellseherischen Zuständen erheben wollte. Auch das innige Naturerleben der alten Germanen, die in allen Erscheinungen der Natur das göttliche Wirken erlebten, ist uns verloren gegangen. Hinter dem  Sonnwend- oder Johannifeuer wird heute ein echter Sinn nicht mehr erkannt.

Würde aber das äußere Feuer auch zu einem inneren Feuer, dann kämen wir einer zeitgemäßen Gestaltung dieses Hochsommerfestes und der feurigen Lichtgestalt Johannes des Täufers nahe. Der 24. Juni wird in manchen Gegenden der christlichen Welt noch als Geburtstag des Täufers Johannes gefeiert. Es ist aber zugleich der Todestag des Evangelisten Johannes, der fast 100-jährig in Ephesus starb. Nach Lukas 1,36 ist Johannes ein halbes Jahr älter als Jesus. Seine Gestalt ist in die Geschichte eingegangen als die des größten Propheten der Wandlung. Er durchzog das ganze Land am Jordan und rief zur Sinneswandlung auf. Zwischen Oktober 28 und April 32 n. Chr. entfaltete er seine Täuferwirksamkeit. Von ihm ließ sich auch Jesus von Nazareth taufen.

Als Fest der Sonne und des Lichtes wurde die Sommersonnenwende am 21. Juni gefeiert, dem längsten Tag und der kürzesten Nacht. Die Sonne tritt in das Tierkreiszeichen Krebs. Auch am christlichen Johannisfest (24. Juni) richten die Menschen ihren Blick auf die Sonne und das Licht, aber er muss tiefer gehen und dahinter den hohen Sonnengeist des Christus suchen. Drei Tage nach der Sommersonnenwende feiern wir Johanni, drei Tage nach der Wintersonnenwende Weihnachten. Im Jahreslauf stehen sich diese beiden Feste direkt gegenüber. Johannes der Täufer war ein Vorläufer des Jesus Christus. Er trat mit flammenden Reden unter die Menschen und wollte sie »befeuern«: »Ändert euren Sinn!«; »Bereitet dem Herrn den Weg!«; »Bekehret euch, denn nahe ist das Himmelreich!« Wir wissen auch heute, 2000 Jahre später, wie schwer dieser Aufruf zur inneren Verwandlung ist, durch die Stärkung seines eigenen Ich das Reich der Himmel in sich selber zu suchen. Aber dieser Besinnungspunkt des Johannisfestes (früher auch Sommerweihnacht) ein halbes Jahr vor Weihnachten bereitet uns darauf vor, in der dunklen Winterzeit das Christuslicht als Himmelslicht im eigenen Innern zu empfangen.

»Weihnachten fordert Johanni, Johanni fordert Weihnachten.«

Zum Autor: Oswald Sander war Klassen- und Fachlehrer von 1976 bis 2008; bis 2001 an der Freien Waldorfschule am Kräherwald in Stuttgart tätig. Seit 2009 im Ruhestand noch ehrenamtlich und beratend aktiv.

Verwendete Literatur:

Rudolf Steiner: Der Jahreskreislauf als Atmungsvorgang der Erde und die vier großen Festeszeiten. (GA 223), Dornach/ Schweiz, 1990 | Rudolf Steiner:   Der Christus-Impuls und die Entwicklung des Ich-Bewusstseins. (Bibliographie-Nr.116), 4. Vortrag: »Die Bergpredigt«, Dornach/ Schweiz 1982 | Emil Bock: Der Kreis der Jahresfeste, Stuttgart 1981

Gustav Schmidt: »Oberfränkisches Brauchtum in alter und neuer Zeit«, Bayreuth 1994