Klassenzimmer

Zeit für Medien-Elternabende?

Felicitas Bayer
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Im Kontext Schule erscheint es zunächst ratsam, gut abzugrenzen, wo der Aufgabenbereich der Eltern in Sachen »Medienbildung« aufhört und die Verantwortung der Schule beginnen könnte. Grundsätzlich müssen wir wohl von einem sich noch wandelnden Verständnis von Medienbildung ausgehen, da in den kommenden Jahren Eltern- und Lehrer:innengenerationen, die selbst mit der digitalen Technik aufgewachsen sind, neue Maßstäbe setzen werden.

Der Medien-Elternabend – ab wann und wie oft?

In der Praxis zeigt sich, dass in den ersten Klassen das Thema vereinzelt präsenter wird und selbst der Zweit-Klass-Hort vor »Horror-Kettenbriefen« nicht gefeit ist. Ab der fünften Klasse wächst die Zahl der Smartphones bei den Schüler:innen rasant. Nicht selten beginnt dann ein Morgen mit 157 Nachrichten im Klassenchat. 

Die Notwendigkeit, über die möglichen Gefahren und aufkommende Probleme bei der Nutzung des Internets zu sprechen, wächst. Andererseits ist die Bedienung von Computern, wie Textverarbeitung, das Zehn-Finger-System und Recherche-Kenntnisse, noch nicht angekommen im Stundenplan und scheitert oftmals an nicht vorhandenen Geräten, zu wenig umsetzbaren Ideen in Bezug auf den vorhandenen Lehrplan oder ungeübten Kolleg:innen. So wird eine Kluft zwischen der immer selbstverständlicher werdenden Nutzung des Smartphones für Vereinschats, Fotos, Spiele, soziale Netzwerke und schnelle Recherche und der Kompetenz, das Arbeitsgerät Computer sinnvoll einzusetzen, immer größer.

Dass Handlungsbedarf besteht, ist klar – die Frage ist nur: was tun? 

Es gibt Waldorfschulen, die bereits beim Aufnahmegespräch in die erste Klasse das Thema ansprechen – mal mehr, mal weniger qualitativ aufbereitet. Der aufregende Tag reicht aber selten, um für die kommenden Jahre vorzubauen. Dafür werden »Medienkonzepte« auf der Homepage zum Herunterladen angeboten. An vielen Schulen wird versucht, mit einer Art Medienvereinbarung die Klasse zu Beginn der achtjährigen Reise auf den Verzicht von Smartphones zu bewegen – oftmals hält diese die Laufzeit nicht durch. Andere Schulen haben digitale Medien in ihre Epochen und Unterrichte aufgenommen und nutzen sie mehr und mehr selbstverständlich.

Wichtig ist es, die Eltern in diesem uneindeutigen Zwischenzustand gut zu informieren und einzubinden in die Entwicklung der Medienbildung an der jeweiligen Schule. Elternabende zu dem Thema sollten auf jeden Fall regelmäßig und in allen Klassenstufen stattfinden. 

Viele Eltern brauchen aber ganz praktische Hilfe und wünschen sich Unterstützung. Nicht immer ist es selbstverständlich, dass Eltern sich Zeit nehmen, die Medienwelt selbst kennenzulernen und sich ein Bild davon zu machen, was die Kinder gerne spielen etc. Welche Mittel gibt es, das Kind zu schützen? Woran erkenne ich, welche Einstellungen eine App vornimmt, wie zum Beispiel die Ortungsfunktion? Wie stelle ich das ein bzw. aus?

Was sind In-App-Käufe? Was mache ich, wenn mein Kind von Fremden über das Handy kontaktiert wird? Solche auch sehr persönlichen Fragen und Abwägungen lassen sich eher nicht im Elternabend auf Augenhöhe besprechen und kommen immer wieder zu unterschiedlichen Zeitpunkten in den Familien auf. Hilfreich könnten spezifische Sprechstunden sein, die von versierten Eltern und Kolleg:innen/Sozialpädagog:innen angeboten werden. Mittlerweile gibt es auch eine Reihe von externen online-Angeboten zur Medienbildung, die Schulen regelmäßig organisieren können mit gezielt ausgesuchten An­bie­ter:innen, um zur Orientierung der Eltern beizutragen.

Verantwortung im Elternhaus

Ähnlich wie bei Feuer, Wasser, Strom und Straßenverkehr liegt die Verantwortung zunächst bei den Eltern. Die Geräte werden im Elternhaus angeschafft, eingestellt und im besten Fall wird dort auch darüber gesprochen. 

Der Schule kommt allerdings eine unangenehme Rolle zu. Einerseits wird die Klasse ohne Rücksicht auf die Mediennutzung der Elternhäuser gebildet, andererseits werden Medienerfahrungen von einzelnen Schüler:innen in die Klasse hineintransportiert und somit zum Thema für alle. Das Bewusstsein, dass die Entscheidung von Eltern, ihrem Kind ein Smartphone oder Tablet zur Verfügung zu stellen, Auswirkung auf alle anderen Elternhäuser hat, ist ein unbedingtes Ziel der Elternabende. 

Wir treffen an Elternabenden auf alle denkbaren Meinungen und Vorstellungen von »Medienbildung«: von Technikfreaks und Expert:innen bis zur absoluten Ablehnung jedweder mobilen Kommunikation. Manche Eltern entscheiden sich, ihre Kinder per Smartphone oder -watch schon auf dem Schulweg zu orten, weil sie sich dadurch sicherer fühlen. Andere geben zuhause bereitwillig ihr Tablet frei, kaufen aber kein eigenes Gerät für das Kind. Anderen ist es scheinbar gleichgültig, was die Kinder wo auch immer mit den Geräten machen. Und bei jenen, die sich Gedanken gemacht haben, ist das Ergebnis (von Zeitsperren über Kindersicherungen oder Verbot von Online-Spielen oder Chat-Verbot) sehr unterschiedlich, aber gleichzeitig sofort sichtbar für die anderen Smartphone-Besitzer:innen der Klasse. 

Die Aufgabe, einen Umgang mit mobilen Geräten in der eigenen Familie zu finden, kann den Eltern daher von der »Institution« Schule nicht abgenommen werden. Ob es um die »Strafe« geht, dass ein Smartphone abgenommen wird oder die »Belohnung«, mehr Medienzeit zu bekommen, wenn eine unliebsame Aufgabe gut gemacht wird: immer wird es in der Verantwortung der Eltern bleiben, welches Verhältnis die Kinder zu den Medien aufbauen.

Bezug zur Sinneslehre

Natürlich sehen wir bei unseren Kindern im zweiten Jahrsiebt, die anfangen im Haushalt zu helfen, ihre »Termine« in Vereinen und Freundeskreis wahrnehmen, ihre Hausaufgaben machen und lernen, keinen Grund, ihnen die Freuden der digitalen Technik vorzuenthalten.

Gerade in einem Alter von zwölf Jahren können wir den Eindruck haben, es mit sehr vernünftigen Wesen zu tun zu haben.

Nur sind Empathie und Urteilsfähigkeit noch lange nicht ausgereift und beginnen sich erst zu entwickeln. Was reif werden soll, muss erprobt werden. Das Kind will selbst entscheiden, ob ihm gefällt, was es sieht, wozu es »ja« oder »nein« sagen kann, wen es riechen kann, was sein Herz warm werden lässt. Es ist von einem regelrechten Wahrnehmungshunger erfüllt, will die Welt entdecken und selbst entdeckt werden: Wettessen, Mutproben, »das Verbotene« ausprobieren, den Radius erweitern und alleine oder mit Freund:innen in die Stadt gehen gehören dazu.

Die Kinder brauchen in dieser Zeit die Begleitung der Eltern, die die Verantwortung dafür tragen, welche Dinge erlaubt werden, wie mit Missverständnissen und Beleidigungen umgegangen wird, wie Fehler wieder gut gemacht werden können. Das gilt auch für das Internet: welche Inhalte zugemutet werden, wie die AGBs eingehalten werden und wie mit unguten Erfahrungen umgegangen wird. In einer Welt von Mobbing und Gewalt ist die persönliche Begleitung zur Ausbildung dieser Fähigkeiten unverzichtbar.

Driften Tat und Wort der Vorbilder auseinander, ist das eben auch eine Erfahrung. 

Das Aufarbeiten von schlechten Medienerlebnissen, sei es mit Lehrer:innen oder Eltern trägt maßgeblich zur Beziehung, Gewissensbildung und zum Umgang mit Fehlern bei. Gleichzeitig wird deutlich, dass das Smartphone an dieser Stelle keine geeignete Hilfestellung mehr bieten kann. Dabei ist es unabdingbar, dass die Menschen, denen sich die Schüler:innen anvertrauen, mit den Themen vertraut sind, den Reiz der Medien verstehen und geeignete Hilfestellung geben können.

Der Klassenchat

Wenn ab der fünften Klasse die Gruppe im Klassenchat immer größer wird, kommen neue und meist auch konfliktreiche Themen auf. Erstmal gehören ja noch nicht alle dazu und die berüchtigten Mobbingsituationen stellen sich ein. Das geschieht dann, wenn in der Schule durch die Frage: »Hast du das heute Morgen im Klassenchat schon gelesen?« manche ausgeschlossen werden oder dann, wenn über andere, die nicht dabei sind, geschrieben wird.

Es ist wichtig, dass Eltern auf den öffentlichen Charakter von Klassenchats hingewiesen werden und hilfreich, wenn die Klassenlehrer:innen Regeln mit der Klasse erarbeiten, die zu den Kindern passen. Gut, wenn das erst in der siebten Klasse sein muss, weil tatsächlich erst dann das Thema aufkommt, schlecht, wenn es ein oder zwei Jahre versäumt wurde und unschöne Situationen daraus hervorgehen. 

Es müsste klar sein, dass Eltern im Klassenchat mitlesen, da es laut AGBs je nach Anbieter unter 14 bzw. 16 Jahren gar nicht zugelassen ist, einen Chat zu nutzen. Es ist sinnvoll für den Klassenchat, dass sich Eltern auf einen Anbieter einigen, der auch Sorgen bzgl. des Datenschutzes ernst nimmt. Und es ist wünschenswert, dass man darüber untereinander sprechen kann, was da geschrieben wird, was das teilweise zuhause auslöst und welche Art von Informationen denn sinnvoll oder sogar wünschenswert sind. Solch ein Verhältnis innerhalb der Elternschaft ist allerdings keine Selbstverständlichkeit und daher braucht es auch eine gehörige Portion Toleranz und Wohlwollen. Und eine Gruppe von Schüler:innen, die einfach so online chatten und ätzen wollen, die sollten sich einfach nicht »Klassenchat« nennen.

Eltern- und Schüler:innenabende in der Oberstufe

Zu Beginn der Oberstufe ist die meistgenannte Sorge der Eltern die Spielsucht bzw. die Dauernutzung sozialer Medien. Wie sollen Eltern abwägen, ob das stundenlange Spielen oder Chatten (zumal nach den coronabedingten Lockdowns) schon Suchtverhalten oder noch »normal« ist? Wie können Eltern einschätzen, ob das mangelnde Interesse an Schule und »sinnvollen« Freizeitaktivitäten der Pubertät entspringt und kein Grund zur Sorge ist? Woher sollen Eltern wissen, welche fiesen psychologischen Machenschaften in manchen Spielen genutzt werden, um Druck aufzubauen, bloß nicht aufzuhören? 

Wie merken Eltern, wenn ihre Kinder in Chats mit Fremden über Kopfhörer mehr und mehr kommunizieren und sich in finanzielle Abhängigkeiten bringen lassen, indem Onlinekosten für höhere Levels etc. übernommen werden?  Die Kinder befinden sich nun in einem Alter, in dem »vernünftige« Gespräche schwieriger werden. Da die meisten Eltern sich informieren wollen, sind weiterhin Angebote sinnvoll, die allen zur Verfügung gestellt werden, um miteinander im Gespräch zu bleiben.

Und wie kommen Schüler:innen, Eltern und Lehrer:innen ins Gespräch über die vielen Geräte, die auf den Schulhof mitgebracht werden? In vielen Schulen ist die Diskussion um das Ausschalten der Smartphones und -watches während des Unterrichts bzw. auf dem Schulhof und sinnvolle Maßnahmen bei Zuwiderhandlung ein Dauerthema. Es ist wohl der ideale Gesprächsstoff für Partizipation und Kooperation der Schulgemeinschaft, schließlich geht es um nicht weniger, als die eigene Privatsphäre, den Schutzraum, den Schule bietet und eine Möglichkeit, ein von vielen getragenes Miteinander zu entwickeln.

Der größte Reiz der Medien ist die vermeintliche soziale Anerkennung, die sie vermitteln. Herzliche Ehrlichkeit und schonungslose Offenheit als Teil einer Gemeinschaft zu erleben, können das Gefühl anerkannt zu werden, sicher nachhaltiger prägen als jedes Smartphone. 

Darum herum können sich kleine Gruppierungen Gleichgesinnter entwickeln, die sich mit Misstrauen und gegenseitigen Vorhaltungen begegnen. Oder eine lebendige Gemeinschaft, die sich miteinander auf den Weg macht, einen guten Umgang mit den Herausforderungen der Digitalisierung zu finden.

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