In Bewegung

Zeit für Medienkunde

Felicitas Bayer
Foto: © Charlotte Fischer

Im Kontext Schule erscheint es ratsam, die Tragweite der Digitalisierung einzugrenzen, sodass sinnvolle Prozesse hinsichtlich des Umgangs mit »Medienbildung« angeregt werden können.

Medienkunde – wofür und ab wann?

Zunächst ist die Frage zu stellen, mit welchem Ziel und Zweck Medienkunde in der Schule stattfindet. Wenn die souveräne Bedienung des Computers eine Kulturtechnik ist, um sich die Welt zu erschließen, sich eine eigene Meinung zu bilden und gesellschaftliche und politische Teilhabe zu ermöglichen, muss entschieden werden, ob, ab wann und mit welcher Ernsthaftigkeit dieser Zugang den Schüler:innen gewährt wird. Ein Modell für den schrittweisen Zugang zum Gebrauch von Medien in der Schule ergibt sich aus der Sinneslehre. Selbstverständlich ruht das erste Jahrsiebt am besten frei von elektronischen Medien. Auch in den ersten Schuljahren bleibt das Augenmerk auf all dem, was die Schüler:innen aus den wachsenden Fähigkeiten des physischen Leibs erfahren, begreifen, erkunden und lernen können. Tastsinn, Lebenssinn, Eigenbewegungssinn und Gleichgewichtssinn sprechen für vielfältige körperliche Erfahrungen und die Rhythmen des Lebens.

Ab der Mittelstufe ergibt sich aus der Sinneslehre ein anderer Ansatz, über den Einsatz von Medien zu entscheiden. Nun bekommen die mittleren Sinne mehr Aufmerksamkeit. Die Schüler:innen ergreifen aus der körperlichen Reifung die Fähigkeit, in der Welt tätige und handelnde Menschen zu werden, auch indem sich die sinnlichen Erfahrungen des Riechens, Schmeckens, Sehens und Wärmeempfindens weiter ausbilden. Dabei spielen individuelle Sympathie und Antipathie (»jemanden riechen können«), das eigene Gespür für Ästhetik, die individueller werdende Wahrnehmung, auch von geschmacklosen Äußerungen, Beleidigungen und Ungerechtigkeiten, sowie das Taktgefühl eine Rolle. Die Schüler:innen merken, wenn sie nicht ernst genommen werden und hinterfragen diese Wahrnehmung mehr. Das gilt für ihre Hobbies, ihre Freundschaften und ihre Spiele (auch Computerspiele). Es ist das Gefühlsleben, das sich anreichert und die Empathiefähigkeit, die wächst.

Einen Computerunterricht halte ich daher in dieser Zeit nicht für zwingend notwendig. Zuerst wird jede Durchführung durch die Mittel einer Schule bestimmt. Sowohl bei der Anzahl und Verfügbarkeit von Computern und Mikrofonen, Bearbeitungsprogrammen etc. als auch durch entsprechend versierte Kolleginnen und Kollegen, die bereit sind, medienkundig zu arbeiten. Nicht zuletzt bedarf es einer umfassenden technischen Wartung der Geräte. Hier entstehen, wenn Medienbildung ernst genommen wird, neue Arbeitsstellen an Schulen. Die Geräte können nicht nebenbei gewartet und betreut werden.

Mit diesen Voraussetzungen lassen sich Epochen gestalten, in denen der Medieneinsatz bewusst angeleitet wird. Dazu gibt es Erfahrungen im »Team-Teaching« mit Epochen wie Geographie, Ernährungslehre oder der Biographie-Epoche. Die Recherche im Internet wird dabei von einer Lehrperson in kleinen Gruppen angeleitet, während die anderen Schüler an den Inhalten der Epoche arbeiten, dann wird gewechselt. Am Ende der Epochen haben alle Schüler:innen selbst am Computer recherchiert, in Gruppen ihre Themen bearbeitet und auch vorgetragen. Es ist sinnvoll, über die Erfahrungen mit dieser Art des Arbeitens zu sprechen, um für weitere Epochen darauf aufzubauen.

Das Recherchieren ist ebenso zu üben wie das Lesen und Schreiben. Siebtklässler:innen (aber auch Oberstufenschüler:innen) tun sich mit den Ergebnissen großer Suchmaschinen schwer, nicht nur, weil sie nicht immer relevant, manchmal verstörend sind, sondern auch, weil die Texte nicht für Kinder geschrieben sind und ein langes Scrollen auf Dauer ermüdend und langweilig ist. Kindersuchmaschinen oder vorher bereits selbst recherchierte gute Links oder gar eigene Videotutorials helfen den Schüler:innen dabei, langsam erfolgreicher beim Recherchieren zu werden.

Ebenso verhält es sich mit dem Verfassen eines Textes oder einer Präsentation. Es braucht viel Erfahrung und Übungszeit, um die richtigen Formatierungsbefehle zu finden und zu speichern, das Ergebnis zu verschicken oder zu präsentieren. Sollte es möglich sein, solche Epochen ab der 6. Klasse immer wieder durchzuführen, kann beim Erreichen der Oberstufe ein gewisses Können vorausgesetzt werden.

Nicht zuletzt ist das Tippen zu nennen. Auch hier braucht es mindestens ein Jahr des regelmäßigen Übens, bis eine gewisse Sicherheit in der Anwendung des Zehnfingersystems gewonnen ist. Sollten keine Aufgaben in den weiteren Klassenstufen folgen, in denen das Zehnfingersystem angewendet wird, nutzt man die Zeit ggf. besser für andere Dinge. Die wenigsten Schüler:innen sind in diesem Alter bereit, freiwillig zuhause weiter zu üben.

Grundlegend ist aber die Art des Denkens, die hinter den Aufgaben steht. In dem Moment, wo geduldet oder sogar erlaubt wird, dass Ergebnisse aus dem Internet abgegeben werden, sollte sich die Fragestellung der Aufgabe ausnahmslos ändern. Es kann dann nicht mehr um die Wiedergabe einer Biographie an sich oder die Darstellung eines Landes gehen. Um das eigene Denken zu lernen, sind Fragen nach Zusammenhängen, Vergleichen oder Stellungnahmen geeignet. Im besten Fall ruft die Fragestellung eine Debatte hervor. Gute Quellen zu finden, die Argumente zu verstehen und wiederzugeben und daraus unter Umständen auch gegenteilige Standpunkte innerhalb einer Klasse zu entwickeln, scheint mir eine vielversprechende Aufgabe auf dem Weg zur Medienbildung.

Natürlich bieten sich auch einmalige Aktionen an, zum Beispiel eine Biographie als Hörspiel zu verarbeiten, Kurzfilme zu drehen oder Musik zu komponieren. Vom Unterrichtsinhalt unabhängige Film- oder Musikprojekte realisieren die Schüler:innen heute lieber auf den Smartphones und Tablets daheim, in teilweise ausgesprochen sehenswerter Qualität. Es lässt sich also in der Schule weder »Medienkompetenz« damit erreichen, noch lohnt sich der Aufwand für Kolleg:innen, wenn es kein eigenes Herzensanliegen ist.

Abgewogen werden muss schulspezifisch, ob eine sechste Klasse beispielsweise wirklich vor PCs gehört. Das »Einstiegsalter« zu den eigenen Smartphones und Geräten liegt mittlerweile klassendeckend in der siebten Klasse. So ist zu überlegen, ob der »ernsthafte« Umgang mit dem Arbeitsgerät Computer nicht vor die Zeit des eigenen Handys gehört.

Ein möglicher anderer Ansatz besteht in einem praktischen Zugang: Gerade aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten nehmen Schüler:innen gerne an sogenannten Reparatur-Werkstätten teil. So lernen sie die »Hardware« kennen und können bei entsprechender Begleitung die Funktion der Komponenten des Computers kennenlernen. Auch das Thema »Stromverbrauch« wird immer relevanter.

Es ist bei all dem unabdingbar, zwischen Aufklärung über Gefahren und Anwendungskenntnissen hinsichtlich des Zwecks eines Medienunterrichts zu unterscheiden:  Die Gefahren erklären sich nicht nebenbei bei einem Hörspielprojekt; die Fähigkeit, einen Computer aufgabenspezifisch zu benutzen, lässt sich nicht im Klassenzimmer erklären. Die Gefahren besprechen wir in dieser Zeit (und vorher) sinnvollerweise mit den Eltern.

»Radikal Digital« in der Oberstufe

Reinhard Sprenger schreibt in seinem Buch Radikal Digital: »Digitalisierung bedeutet nicht die Macht der Maschinen oder die Herrschaft der Algorithmen. Sondern die Konzentration auf das Wesentliche. Auf das, was nur Menschen leisten.« (Sprenger, 2018).

Der Übergang in die Oberstufe sollte Ausgangspunkt der Diskussion über die Medienkunde in der Mittelstufe sein. Die Erwartungen an die Schüler:innen in der Oberstufe müssen den Möglichkeiten bzw. der Medienpädagogik der Schule angepasst werden.

Gehen wir von einem nachhaltigen Medienkundeunterricht ab der Mittelstufe aus, dann können die Schüler:­innen bereits Informationen (nicht nur aus dem Internet) beschaffen, verstehen und zunehmend sinnvoll ein­bringen. Sie können souverän mit der Technik umgehen (sowohl mit den eigenen Geräten als auch mit Schul­computern) und sicher mit technischen Mitteln kommuni­zieren und präsentieren.

Wenn diese Fähigkeiten nicht angeleitet und geübt worden sind, muss das in der Oberstufe gegebenenfalls mit ausreichend Zeit nachgeholt werden. Es ist nicht zu erwarten, dass sie zuhause, frei von Lerninhalten, von Eltern angeleitet oder autodidaktisch von allen Schüler:innen erlernt werden können, so dass darauf in der Oberstufe aufgebaut werden kann. Hier ist zu bedenken, dass die Schüler:innen dann schon eine gewisse »Internet-Karriere« haben und ernsthafter Grundlagen-Unterricht viel pädagogisches Geschick, altersspezifische Aufgaben und vor allem ausreichend Zeit braucht.

Es kommt in der Oberstufe in Bezug auf die Sinneslehre aber auch etwas Neues hinzu: die oberen Sinne, also Hör-Sinn, Sprachsinn, Gedankensinn und schließlich der Ich-Sinn. In ihnen finden wir vieles, was wir uns für die erwachende Urteilsfähigkeit der Jugendlichen wünschen: Zwischen den Zeilen lesen, die Interpretation von Informationen, die Gabe, das innere Erleben mit den eigenen Äußerungen in Übereinstimmung zu bringen, zielführende Gedanken zu entwickeln und Zusammenhänge selbst herzustellen, Vertrauen in das zunehmende eigene Erfahrungswissen (das ist mehr, als das Internet weiß), individuelle Begegnungen und Interesse am Anderen, dem Fremden. Und darüber hinaus entwickelt sich die Frage nach dem Sinn im Leben.

Jährliche Medienepochen wären gut

Es wäre wünschenswert, wenn wir den Jugendlichen in der Oberstufe zunehmend einen Unterricht mit im Lehrplan integrierten Anteilen von Medienarbeit anbieten könnten. Das kann (z.B. mangels Ausstattung) eine reine Medienkunde-Epoche pro Jahr sein, wo dringend Themen wie Filterblasen und Echokammern, Datenschutz, Meinungsbildung in Zeiten von Fake News, Wahrnehmung und Kommunikation, die Auswirkungen der digitalen Welt bzw. der künstlichen Intelligenz eruiert werden.

Aber das ist auch der sinnvolle Einsatz im Unterricht selbst. Die Fernlernzeit hat viele Möglichkeiten offenbart, an welchen Stellen digitale Hilfsmittel eingesetzt werden könnten – und das auch auf sinnvolle Weise.

Eine umsetzbare Idee können hinsichtlich des selbständigen Lernens Plattformen sein, auf denen Schüler:innen relevante Unterlagen zum Nachholen und Vertiefen eigenverantwortlich abrufen können. Im Sprachunterricht bieten sich als Hausaufgaben Sprachaufnahmen an – auch, weil sich manch einer zuhause vielleicht eher traut, laut in der Fremdsprache zu sprechen als vor der ganzen Klasse. Insgesamt kann in geisteswissenschaftlichen Fächern mehr auf Audioaufnahmen gesetzt werden, mit dem Ziel, die Sprach- und Ausdrucksfähigkeit in den Mittelpunkt zu rücken und zum gegenseitigen Zuhören zu animieren. CAD-Programme sind für den Handwerksunterricht denkbar – etwa als zusätzliches Instrument der Darstellung in der Planungsphase oder bei Präsentationen. Im künstlerischen Bereich hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Es gibt eine Bandbreite von elektronisch gesteuerten Ausdrucksmöglichkeiten, Druckverfahren, Lichteffekten, Bildbearbeitungsprogrammen etc., die in das Repertoire aufgenommen werden können. Es ließen sich auch die Möglichkeiten der Tabellenkalkulation in vielen Unterrichtssituationen einsetzen. Wir wünschen uns, dass unsere Schüler:innen die Statistiken in den Medien verstehen, sie hinterfragen und eigene Schlüsse daraus ableiten und sich nicht von Diagrammen beeindrucken lassen, von denen sie nicht wissen, wer sie aus welchem Grund erstellt hat!

Was wäre mit einem IT-Praktikum in der Oberstufe? Viele Schulabgänger:innen erhoffen sich heute einen Beruf, inspiriert von »e-Sportlern« und Influencern, bei dem sie etwas »mit Computern machen« können. Ein Einblick in die Arbeitswelt einer IT-Abteilung ermöglicht das Verständnis der Prozesse dahinter und kann manche Illusion nehmen.

Fächerübergreifende Epochen, z.B. zum Thema Netzwerke, können den Schülerinnen und Schülern zu aktuellen und relevanten Erkenntnissen verhelfen.

Jedenfalls darf es nicht mehr um irgendwo in den Stundenplan gepressten Computerunterricht gehen, der mit dem Rest des pädagogischen Tuns nichts zu tun hat. Es geht um integrierte, praktische und sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten als Ausblick auf das, was in der Welt auf unsere Schüler:innen wartet.

Literatur: R.D. Precht: Jäger, Hirten, Kritiker: Eine Utopie für die digitale Gesellschaft, München 2018 | R. Sprenger: Radikal Digital: weil der Mensch den Unterschied macht, München 2018

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