Wissenschaft

Zukunft besser machen

Thomas Lutze-Rodenbusch
Kräfte warm halten: Soziales Plastizieren beim zuma-Projekttreffen in der Emil-Molt-Akademie im Oktober 2021

Ein Werkstattbericht

Der Beginn unserer Arbeit war eingebettet in die Vorbereitung der Jubiläumsfeiern der ersten Waldorfschulgründung im Jahr 1919. Der Vorstand des Bund der Freien Waldorfschulen (BdFWS) plante ein weltumspannendes Fest. Uns war damals klar, dass mit der Freude über die hundertjährige Erfolgsgeschichte der Waldorfpädagogik auch eine Besinnung darauf stattfinden sollte, was sie ausmacht, warum sie noch heute lebendig ist, und wie sie auch in Zukunft modern bleiben kann.

Zu.Ma-Initiator:innen waren drei Mitglieder des damaligen BdFWS-Vorstandes: Eva Wörner, Hans Hutzel und Thomas Lutze-Rodenbusch. Alle drei auf der Suche nach Menschen, die die Qualität in den Schulen hochhalten und voranbringen wollen. Mit dem Anspruch, Menschen zu versammeln, die in der Waldorfpädagogik Wagnis und Erneuerung verbinden wollen. Und das in der gespannten Erwartung, ob es gelingen kann, die Basis der kompetent Mitstreitenden aus der Peripherie heraus zu erweitern.

Im September 2018 haben wir uns zum ersten Mal in Berlin getroffen. Die Einladung hatte folgendes Muster:

Der Start

Wir baten unsere Vorstandsfreund:innen, uns zwei bis drei ihnen persönlich bekannte Mitstreitende aus Schulen und Seminaren – auch Schulen, die keine Waldorfschulen waren – zu nennen. Wir luden ein, und es kamen 13 Personen. Bis heute hat sich eine Kerngruppe von sieben Menschen stabilisiert. Entscheidende Impulsgeberin war Johanna Seigerschmidt, ehemalige Waldorfschülerin und damals wie heute Didaktische Leiterin und Lehrerin an der Gesamtschule Köln-Pulheim. Unter ihrer Anleitung entwickelten wir unser Ziel und ein Spiel! Mit unserem Ziel wollten wir die Ideen und Initiativen der Beteiligten »pur« haben. Wir wollten nicht durch begriffliche Vorgaben oder inhaltliche Schwerpunktsetzungen von vornherein Gedankenlinien einziehen. Deshalb klang unser Ziel so: Wir initiieren, wecken, gestalten, entwickeln, stärken, ermutigen und suchen: Prozesse, Formate, Orte, Begegnungen, Möglichkeiten an Orten der Waldorfpädagogik, um die dort lernenden und lehrenden Menschen an ihren Wirkungsstätten in ihren Zukunftsideen zu bestärken.

Das Spiel

Die Kerngruppe hatte sich vorgenommen, Einzelne zu ermutigen, an ihrer Schule initiativ zu werden und zur Veränderung Verbündete zu suchen. Die Schwelle sollte niedrig sein. Deshalb haben wir ein Spiel (siehe Hinweis unten) entwickelt, das mit Spaß verknüpft, umsetzbare Zukunftsimpulse kreieren sollte. Mit seiner Hilfe sollten Einrichtungen ihre Zukunftsideen entwickeln, Wege konzipieren und Verantwortliche benennen. Es wurde an alle Schulen und Ausbildungsstätten versandt. Die Vorstellung des Spiels hat auf zwei Mitgliederversammlungen und einer Delegiertentagung einiges Aufsehen erregt. Aber der Rücklauf war nicht üppig. Immerhin. »Mit dem Ende des Spiels begann die Zukunft«, lautete sein Motto. Denn wir spürten, dass es mit dem Umsetzen von Impulsen schwierig blieb, weil immer eine ganze Institution angesprochen war und nicht Einzelne. Die Ideen waren da, aber die Erneuerung blieb aus. Mit dem nächsten Schritt hat sich unser Tagungsimpuls zur aktuellen Veranstaltungsform entwickelt: Die Kerngruppe lädt nach dem Schneeballsystem einzelne initiative Menschen ein, die ihren Impuls bereits mitbringen oder ihn im Rahmen der gemeinsamen Arbeit finden. Die Einladung folgt weiterhin dem Prinzip »von unten nach oben«.

Transformation

Die Arbeitsmethode haben wir weiterentwickelt. Inzwischen wissen wir, dass viele Kolleginnen und Kollegen starke, aber noch recht diffuse Zukunftsimpulse in sich tragen. Manchmal sind sie so groß, dass es aussichtslos erscheint, überhaupt mit der Umsetzung zu beginnen. Manche beginnen mit den Worten: »Man müsste mal …« – hier ist gar nicht klar, wer nun in Aktion treten soll. Oder sie enden mit einer zu großen Gruppe, die in die gleiche Richtung mitgehen muss. Dazu wäre ein Beispiel: »Man müsste mal … die Konferenzen ganz neu organisieren!« – Auch wenn »man« es für noch so sinnvoll und notwendig erachtet, bleibt die Frage ungeklärt, in welche Richtung die Neuorganisation gehen soll. Mancher Impuls erscheint einem selbst aber auch zu klein, als dass man ihn an die große Glocke hängen mag. Zum Beispiel: »Ich würde mit meiner Klasse im Epochenunterricht im Wald gerne ein Baumhaus bauen.« Dabei kann sich durchaus herausstellen, dass das Vorhaben für die Schüler:innen, die Eltern sowie die in der Klasse Unterrichtenden eine markante Veränderung im Miteinander zum Ergebnis hat. Und das wiederum kann Auswirkungen auf den gesamten Schul­organismus haben.

Und wir haben gesehen, dass manche Kolleg:innen ihre alten Impulse und Ideen, die sie in den Lehrberuf hineingetragen haben, wieder entdecken müssen. Sie sind vom Unterrichtsalltag längst überdeckt und irgendwie »verlegt«.

»Regnose«

Um mit diesen Impulsen einen emotionalen, neu gefühlten und dadurch konkreten Kontakt herzustellen, setzen wir die »Regnose« ein. Matthias Horx hat den Begriff eingeführt, als er 2020 darüber reflektiert hat, wie die »Zukunft nach Corona« (Horx, S. 69 ff.) aussehen kann. Man kann sich eine Regnose als einen inneren gedanklichen Zukunftsentwurf vorstellen. Die »Re-Gnose« steht im Gegensatz zur »Pro-Gnose«. Die Prognose, das weiß man von sich selbst, hat den Nachteil, dass sie nur eine Erwartung formuliert, die aus vergangenen und gegenwärtigen Erfahrungen gespeist ist. Prognosen erweisen sich nicht als Impulse zur Veränderung. Eine erfolgversprechende Veränderung hat zur Voraussetzung, dass sich die handelnde Person selbst mit in einen Veränderungsprozess stellt. Regnose heißt: Ich versetze mich fiktiv in eine Zeit, an einen Ort, in eine Personengruppe und in eine Aufgabe, die vielleicht fünf Jahre in der Zukunft liegt. Dann malt man sich die Situation aus, fühlt sich in die Fragen hinein, die anstehen, und entdeckt Dinge, die sich idealerweise verändert haben oder notwendigerweise verändert haben müssen. In einem anschließenden Reflexionsprozess wird realisiert, was sich verändert haben muss, wenn die aus der Zukunft heraus entwickelte Neugestaltung erreicht werden soll. Und ich erkenne meinen eigenen Anteil in diesem Prozess.

Zukunftsszenen

Für den Mai 2021 luden wir zu dem Projekttreffen »Zukunftszenen« nach Berlin ein und arbeiteten zum ersten Mal mit dem Regnose-Prinzip. Es kamen trotz Corona über zwanzig Personen. Aus der individuell-innerlichen Regnose bei Horx haben wir ein szenisches Spiel entwickelt, in dem Formen des Improvisationstheaters eingesetzt werden. Weil das Rollen-Spiel ein »Erlebnis« und keine »Vorstellung« war, gingen im Mai 2021 alle Beteiligten mit sehr konkreten Vorhaben nach Hause, die sie an ihrer Einrichtung umsetzen wollten (siehe dazu: zukunftmachen.org). Für die meisten war geklärt, was der erste Schritt sein sollte.

Soziales Plastizieren

Das Dranbleiben an dem Impuls und an seiner Umsetzung ist eine Schwierigkeit für sich. Um die Kräfte warm zu halten, haben wir zum einen eine Netzseite aufgebaut. Da konnten alle Beteiligten oder Interessierten sehen, was man sich selbst und was die anderen sich vorgenommen hatten. Das sollte als Daueraufforderung wirken. Ende Oktober 2021 trafen wir uns wieder in Berlin zum neuen Projekttag »Soziales Plastizieren«.

Diesmal waren wieder neue Menschen eingeladen, auch die Vorstände der Waldorf-SV, also Schüler:innen, sowie eine Vertreterin aus der Bundeselternkonferenz. Mit der künstlerischen Arbeit zu zweit an einem gemeinsamen Thema waren Überraschungen verbunden. Viele konnten erleben und aussprechen, wie sie sich selbst im Gestalten neu kennengelernt hatten, wie anders das Gegenüber die gemeinsame Zielsetzung angegangen war. Beim Plastizieren im Duett haben wir erlebt, dass Veränderung im Sozialen die Arbeit an einer »unsichtbaren Skulptur« ist. 

Wenn man die Aufgabe hat, mit geschlossenen Augen in eine Wand aus Ton von jeder Seite her Über- oder Durchgänge zu schaffen, ergeben sich unverhoffte und unerwartete Eingriffe, die ich in mein eigenes Konzept einarbeiten muss. Ich kann den Eindruck haben, dass etwas wie eine »unsichtbare Skulptur« im Hintergrund mit formgebend ist. Das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit ist mehr als die Schnittmenge der Konzeptideen der beiden, die da plastizieren. Das ist eine wichtige Erkenntnis für die Arbeit im Sozialen. Meine Ausgangsidee wird immer deutlich anders in ihrer Umsetzung aussehen als ursprünglich gedacht. Das zu akzeptieren, ist ein wichtiger Aspekt des Sozialen Plastizierens. Mit dieser erlebten Erkenntnis, ausgestattet mit neuen Impulsen, was die eigene Herangehensweise betraf, gingen wir auseinander.

Ergebnisse

Nach dem zweiten Workshop zeigten sich erste Ergebnisse, weil einige Projekte – auch durch das Sprechen und Reflektieren darüber – konkrete Gestalt angenommen haben.

Kraftspendende Selbstverwaltung versucht, die pädagogische Arbeit in den Mittelpunkt der schulischen Selbstverwaltung zu stellen. Elias Ordelmans (Krefeld) stellte den Ansatz bereits auf der Delegiertentagung in Witten vor.

Stefanie von Laue (Bundeseltern Konferenz, BuElKo/Hamburg) hatte sich vorgenommen, unter dem Motto Tom Sawyer streicht den Zaun »Zukunft.Machen« bekannter zu machen. Die Bundeselternratstagung (BERT) im Mai dieses Jahres hat Vertreter:innen von »Zu.Ma« eingeladen, und sie werden kommen.

Unter dem Titel Was ist Waldorf? biete ich eine interne Fortbildung für Kolleg:innen an, die in der Oberstufe arbeiten. Die Arbeit hat im Oktober 2021 begonnen. Acht bis zwölf Kolleg:innen haben sich bisher vier Mal getroffen.

Robert Neumann (Stuttgart) und Miriam Rönn (Berlin) hatten sich vorgenommen, Transparente Kommunikation unter Lehrer:innen zu ermöglichen. Das, was an »zukunftmachen.org« bereits zu sehen ist, ist Ergebnis dieser Arbeit.

Cora Klein (Berlin) wollte für bestimmte naturwissenschaftliche Fächer die Epochengrenzen auflösen. Sie hat es umgesetzt und sich bereits in Berlin mit anderen Kolleg:innen vernetzt.

Schüler:innen-Vertretung ermöglichen ist das Projekt der Waldorf-SV. Durch die Corona-Distanz-Notwendigkeiten sind viele Errungenschaften der Waldorfschüler:innenvertretungen verloren gegangen. In den angekündigten Tagungen wird das Projekt zentrales Thema.

Widerstand und Form

Selbst gut angelaufene Projekte müssen lebendig bleiben und projektierte Ideen sollen noch verwirklicht werden. Für die Entwicklung in die Zukunft hinein benötigt man befeuernde Kräfte des »Widerständigen«, aber man stößt auch auf »Widerstand«. Viele begeisternde Ideen schweben zu lange; man schreckt leicht davor zurück, sie umzusetzen, weil etwas von ihrem Charme verloren geht. Man gibt auf, man greift nicht zu. Um sich über diese Kraftgebilde, die untrennbar von der Zukunft sind, Klarheit zu verschaffen, wird »Zukunft.Machen« für den Mai 2022 zum dritten Projekttag einladen. Der Titel ist: »Widerstand und Form«. Im Schmieden von Eisen mit Feuer, Hammer und Amboss und im Plastizieren und Umgestalten von Ton, wieder im Duett, werden wir uns diesen beiden Gestaltungskräften der Zukunft widmen.

Mit unserem nun dreifachen methodischen Zugriff glauben wir die Gestaltung von Zukunft zu initiieren und zu begleiten: »Zukunftsszenen« können Ideen und Projekte initiieren, »Soziales Plastizieren« macht die Gestaltungsprozesse bewusst und »Widerstand und Form« hilft, mit zentralen Gestaltungskräften besser umzugehen.

Hinweis: Das erwähnte Spiel kann man sich unter zukunftmachen.org ansehen und die Spielkarten mit Anleitung auch ausdrucken. Spielen erlaubt.

Literatur: Matthias Horx, Die Zukunft nach Corona. Wie eine Krise die Gesellschaft, unser Denken und unser Handeln verändert, Berlin 2020

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