Wer in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts jung war, der ist ein Sinnsucher alter Zeitrechnung. Bis dahin war Sinn in der Welt. Er war irgendwie vorhanden, darin eingeboren, geborgen. Man musste nur herausfinden, welche Nuance der eigenen Persönlichkeit entsprach. Das schien schwer genug, doch die Unternehmung selbst stand außer Frage. Sinn war real und Sinn war ideales Ziel des Lebens. Wir waren die Bogenschützen, die versuchten, ganz eins mit dem Ziel zu werden. Als Abenteurer des eigenen Schicksals ging man früher auf die Reise in die Fremde. Die Welt war der Spielraum des Ich, man konnte sich in der Jugend grenzenlos in die Zukunft entwerfen.
Heutigen Jugendlichen könnte diese Beschreibung, je nach Veranlagung lachhaft oder zum Weinen scheinen. Die Fremde liegt nicht länger in irgendeiner Ferne, sie wartet vor der Haustür. Eine sinnleere Welt, dem Herzen fremd, nur auf Zwecke eingerichtet, auf den Strukturwahnsinn unserer Wirtschaftsweise eingeschworen. Sinn scheint ein Luxusgut, das man sich leisten können muss. Fraglich ist nicht mehr die sogenannte Selbstverwirklichung, sondern die pure Selbstermöglichung. Werde ich Arbeit, Einkommen, Familie ... haben können? Wie es überhaupt möglich sein soll im Gebilde des Irrsinns der Gegenwartswelt zu überleben – mit dieser Hamletfrage ist der heutige Sinnsucher konfrontiert. Ermöglichung spielt viel stärker im Willen als im Gefühl. Damit sind wir trotz allem den Weltidealen von gestern einen Schritt näher und tiefer in existenzieller Hinsicht. Traurig aber ist und bleibt es, dass die letzten Sinnsucher-Generationen es den Heutigen so schwer gemacht haben. Es wird Zeit, dass zu leisten, was wir damals von der Kriegsgeneration gefordert haben: die Aufarbeitung der eigenen Versäumnisse und Schulden. Wir Träumer der Vergangenheit haben uns im Ressourcenverbrauch des Guten und Sinnvollen eine gewaltige Illusion geleistet. In den Worten des Dichters Rilke lautet sie: »Und ich dachte noch, das Leben hörte niemals auf zu geben ...« Jugendliche leben dagegen jetzt in einer Welt, in der sich das Sinnvolle nur noch im lapidaren Sinne Kästners finden lässt: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.«
Sinn liegt damit in der Selbstverantwortung des Handelns. Wir haben den Heranwachsenden eine relativ heillose, lieblose Welt (von wegen: power, flower, love, peace, happyness…) im digitalen Takt, unter dem Kommando des Geldes eingerichtet. Nun sind sie schöpferisch gefordert als Zukunftskünstler neue Quellen der Lebenskraft – denn das ist Sinn – zu erschließen. Das mindeste, was wir dazu tun können, erfordert eine doppelte Kraftanstrengung, die auf den ersten Blick sogar gegensätzlich scheint. Auf jede Bevormundung und Überfürsorge radikal zu verzichten, ihre Autonomie unter allen Umständen zu achten. Zugleich aber als Repräsentanten der sinnvollen Einrichtung der Welt, die Stellung des menschlichen Ich zu verteidigen. Gegen den Sog der Leere, Widerstand zu leisten. Unseren Hoffnungsanker von gestern als Segel in die Zukunft zu setzen. So dass sie sehen: Dasein ist möglich. Herzlich Willkommen in der Welt!