Faust for Future

Ute Hallaschka

Letzteres ist leicht zu begründen: Die Aufführung ist phantastisch! Andrea Pfaehler (Regie) und Eduardo Torres ( Eurythmie) haben es geschafft diese beiden Künste so miteinander spielen zu lassen, dass man endlich einmal sieht, wozu Eurythmie im Stande ist, wenn es wirklich dramatisch wird. Und das Schauspiel ist perfekt. Alles stimmt, handwerklich gekonnt, witzig, charmant und das Wichtigste: Es wird so gesprochen, dass man versteht, wovon das Ganze handelt. Von uns, von unserem Leben und unserer Not. Faust verheizt für seinen Lustgewinn die ganze Welt, er macht Geld, macht Immobilienspekulation, macht alles mit Macht, was andere umbringt. Und die Erde ginge unter, wenn da nicht noch etwas anderes wäre. Das ist die Liebe – das wichtigste Jugend-Thema überhaupt.

Ludowika Held, als Gretchen in der Hauptrolle ist 17 Jahre alt. Sie hat aber schon hinreichend Theatererfahrung als Mitglied der Jungen Bühne, die Andrea Pfaehler in Dornach gegründet hat. Es spielen viele junge Leute mit in dieser Inszenierung.

Wer weiß, wann und ob es die Gelegenheit nochmal gibt, den Komplett-Faust in einer Aufführung von neun Stunden zu sehen. Wie das mit der Kunst in Zukunft weitergeht – falls die Weltwirtschaft zusammenbricht –, das ist auch so eine Gretchenfrage.

Aber wo soll die Freiheit herkommen, die wir brauchen, um das Drama unserer aktuellen Wirklichkeit zu ändern? Die kommt nur aus der Phantasie. Und wo lebt die? In jedem einzelnen Menschenherzen. Aber sie braucht Nahrung, um nicht zugrunde zu gehen.

Denken wir mal, mit ein bisschen Mut und Herzenskraft voraus, statt immer nur hinterher. Stellen wir uns vor: Im Herbst fängt Schule an und kein Mensch geht hin. Wir nehmen die Schule einfach selbst in die Hand oder machen ihr Beine und lassen ein Kunstwerk daraus werden. Sagen wir, die Aufgabe lautet: Wie kommen wir zum Faust? Denn der kommt nicht mehr so einfach zu uns. So wie in anderen Weltgegenden Schule ausfällt, weil Kinder zur Arbeit gehen oder Wasser holen, könnten wir doch wenigstens einfach mal nach Dornach zum Theater laufen. Das gibt’s bekanntlich auch nur, wenn Zuschauer kommen. Was sich da unterwegs alles lernen lässt … Man kann natürlich auch den Zug nehmen und die Finanzierung ist schon im Vorfeld ein Projekt.

Wir fuhren 1981 mit dem Stuttgarter Jugendseminar zur Faust Aufführung. Die Quartiere waren überbucht und so hatten wir keinen Ort zum Übernachten. Da wurde der Atomschutzbunker in Arlesheim für uns geöffnet. Das soll auch heute noch möglich sein. Welch ein Erlebnis! Ich sehe uns noch, wie wir in einer langen Schlange durch die Tore in den Untergrund marschierten, in dem wir eine Woche hausten. Wer das einmal erfahren hat, der weiß für die Ewigkeit, was es bedeutet, auf einer lebendigen Erde im Freien und an der frischen Luft zu leben.

Es gibt so viele Möglichkeiten von dem, was Schule in Zukunft sein kann. Was sie jedenfalls ist: ein Ort, an dem sich Menschwerdung ereignet. Denn wir sind nicht einfach so Mensch, wie die Tiere, Tiere sind – wir müssen es werden. Jeder von uns zu der einzigartigen Person seines Daseins. Nur so wird die Erde überleben. Weiß Gott, und Goethe!