Hella Wiesberger verstorben: Ein Leben im Dienst der Steiner-Gesamtausgabe

Im Oktober 1920 in Bayern geboren, kam sie zunächst als Stenotypistin ans Archiv. »Die kann mehr als nur Schreibmaschine schreiben«, soll Robert Friedenthal schon 1948 über sie gesagt haben. So wuchs sie verhältnismäßig rasch in den von Marie Steiner berufenen Kreis der Herausgeber hinein, wobei ihr die Beherrschung der alten stenographischen Systeme sehr zugute kam, beruht doch die Ausgabe von Steiners Vortragswerk größtenteils auf stenographischen Nachschriften. Hella Wiesberger fühlte sich der Intention Marie Steiners verpflichtet, das gesamte hinterlassene Werk Steiners zu veröffentlichen. Sie hatte Marie Steiner noch auf dem Sterbebett erlebt.

Weit über anthroposophische Kreise hinaus bekannt geworden ist sie mit ihrer Steiner-Bibliographie, die 1961 unter dem Titel »Rudolf Steiner. Das literarische und künstlerische Werk« erschien. Dieses klassische Handbuch diente zugleich als Editionsplan für alle folgenden Bände der GA und machte erstmals die Archivarbeit öffentlich. Es stellt noch immer ein unentbehrliches Hilfsmittel für die Steinerforschung dar.

Unter den zahlreichen von ihr betreuten Bänden der Gesamtausgabe, die sie mit sachkundigem Kommentar versah, verdienen die Bände zur Esoterik (GA 264-269) hervorgehoben zu werden, die damit erstmals der Öffentlichkeit zugänglich wurden. Zu nennen ist auch die im Jahr 2000 erschienene Neuauflage des Briefwechsels Rudolf Steiner / Marie Steiner-von Sivers, die nicht nur neue Briefe enthielt, sondern erstmals bisher abgekürzte Briefanreden im vollen Wortlaut brachte.

Material zur Steinerforschung

Hella Wiesberger ist auch eine erste Bibliographie der Schriften von Marie Steiner zu verdanken. In der Reihe »Rudolf Steiner Studien« gab sie Band I »Marie Steiner-von Sivers – ein Leben für die Anthroposophie« (1988), und Band VII »Rudolf Steiners esoterische Lehrtätigkeit« (1997) heraus. Dieses Werk liefert bedeutendes Material zur Steinerforschung. Von ihr ediert wurden auch Marie Steiners Gesammelte Schriften. Für die Schriftenreihe »Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe« trug sie Wesentliches bei, so etwa grundlegende Dokumentationen zu den Jahren 1917 und 1919.

Nachdem sich Hella Wiesberger 1998 aus dem aktiven Archivdienst zurückgezogen hatte, arbeitete sie ehrenamtlich weiter. So widmete sie sich vor allem einem Projekt, das Marie Steiner besonders am Herzen lag: der Erforschung der letzten drei von teilweise militanter Gegnerschaft überschatteten Lebensjahre Rudolf Steiners. Bis heute erscheinen in diesen Jahren manche Vorgänge unklar, widersprüchlich und tragisch.

Dieses Forschungsprojekt, das von zwei Schweizer Stiftungen gefördert wird, wurde vom Archiv noch im Dezember 2014 angekündigt, wobei neben Alexander Lüscher auch Günter Aschoff als Mitarbeiter genannt wurde. Nun ist Aschoff wenige Tage vor Hella Wiesberger überraschend gestorben. Beide haben wertvolle Vorarbeiten zu diesem Projekt geleistet.

Hella Wiesberger stand jüngeren Forschern bis zuletzt beratend zur Seite. Von ihrem enormen, meditativ fundierten Wissen profitierte auch der von ihr lange Jahre in der Rudolf Steiner Halde geleitete Zweig. Sie zeichnete sich durch ein undogmatisches Wesen und viel Humor aus. Immer auf Ausgleich bedacht, ließ sie sich nicht auf inneranthroposophische Polemiken ein. Wer das Glück hatte, mit ihr zusammenarbeiten zu dürfen, wird sich ihrer in Dankbarkeit erinnern.

nna/wgv