Für Begegnung sensibilisieren – 1000 Teilnehmer bei großem Waldorfkongress in Dresden

Rund 1000 Waldorfpädagogen aus ganz Deutschland trafen sich zu Workshops, Vorträgen und Exkursionen in der sächsischen Landeshauptstadt. Der Titel der Tagung lautete »Gegenwart anerkennen – Zukunft wagen«.

Auf einer Pressekonferenz zum Kongress hob BdFWS-Vorstandsmitglied Henning Kullak-Ublick die Bedeutung der Erziehung zur Selbständigkeit gerade in der heutigen Zeit hervor: »Wir brauchen eine Pädagogik, die starke, autonome Menschen aus unseren Kindern macht, die Lösungen für die Probleme der Zukunft finden«. Der Kongress solle den Lehrern dabei helfen, »Schönheit und Leichtigkeit in der Pädagogik« zu entwickeln und im Unterricht zum Erleben zu bringen.

Der Neurobiologe Prof. Joachim Bauer von der Universität Freiburg, der den Eröffnungsvortrag zum Kongress hielt, bescheinigte der Waldorfpädagogik auf der Veranstaltung, dass sie aus der Sicht der modernen Hirnforschung »viele Dinge in vorbildlicher Weise beachtet, die eine gute Pädagogik ausmachen«. In der heutigen Konsumgesellschaft sieht er die Gefahr, dass der Mensch auf eine Reiz-Reaktions- Maschine reduziert wird. Zugespitzt betrachtet beinhalte diese Konsumgesellschaft eine Reihe von Suchtpotenzialen wie die Nutzung der neuen Medien oder auch ungesunde Ernährung. Eine gute Pädagogik bringe demgegenüber Kinder zum Innehalten und zur Reflexion.

Für das Gelingen des pädagogischen Prozesses ist aus der Sicht der Hirnforschung die konkrete persönliche Beziehung zu den Kindern von zentraler Bedeutung. Das Gehirn übersetze die Aufmerksamkeit, die dem Kind entgegengebracht werde, in »biologische Antwortprozesse«, so die Erkenntnisse der Forschung zu den Spiegelneuronen. Für die große Kraft, die diesen Resonanzprozessen innewohne, müssten die Lehrkräfte sensibilisiert werden.

Auch die Chance, Kinder aus Migrantenfamilien in der Schule besser zu fördern, hänge von der Wertschätzung der Lehrkräfte ab. »Ich sehe die Möglichkeit der Entwicklung dieser Kinder nicht so pessimistisch. Wenn ihnen Respekt und Empathie entgegengebracht wird, ist gute Pädagogik auch über ethnische Grenzen hinweg möglich«. Schule sei der Raum, in dem Integration noch am ehesten geleistet werden könne. Bekomme ein Kind nur gespiegelt: »Aus dir wird sowieso nichts«, werde es sich objektiv kognitiv auch schlechter entwickeln.

Auch Walter Riethmüller, der den dritten großen Kongress der Waldorfschulbewegung initiierte, unterstrich die Bedeutung der Begegnung im pädagogischen Prozess.

Lehrkräfte hätten die Möglichkeit, sich einerseits vergangenheitsorientiert nur um Fehlervermeidung zu bemühen oder andererseits auf die Wiederholung gut gelungener Methoden zu konzentrieren. Doch das Wichtigste sei, den Blick direkt auf die Kinder zu richten und zu fragen, was sich in ihnen während eines definierten Zeitraums verändert habe und was sie einem entgegenbrächten. »Dieser Blickwinkel öffnet das Tor für die Begeisterung und garantiert, dass ich mich als Lehrer wirklich in der Gegenwart befinde, erst daraus kann Neues in der Zukunft entstehen.« Das sei der Prozess, den Rudolf Steiner mit dem Begriff »Erziehungskunst« bezeichnet habe, der mehr umfasse, als nur eine künstlerisch inspirierte Gestaltung des Unterrichtsgeschehens. Die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, könne aus Sicht der Waldorfpädagogik u.a. durch künstlerisches Üben gefördert werden. Deshalb umfasst das Tagungsprogramm auch eine große Anzahl von künstlerischen Kursen und Workshops.

An der Freien Waldorfschule Dresden ist man »sehr stolz« darüber, die Tagung auszurichten, wie das Mitglied der Schulleitung, Andreas Becker, auf der Pressekonferenz betonte. Die Dresdner Waldorfschule ist mit über 800 Schülern und 26 Klassen eine der größten freien Schulen in Dresden. Ihre Schülerzahl wachse stetig, »aufgrund der Qualität und Innovation, um die wir uns bemühen«, so Becker. Deswegen wurde in diesem Sommer eine weitere Waldorfschule in Dresden gegründet. Die erste Dresdener Waldorfschule hat eine bewegte Geschichte, sie wurde zweimal geschlossen, das erste Mal 1941 vom NS-Regime und dann – nach dem 2. Weltkrieg wiedergegründet – von der DDR. 1990 wurde sie unmittelbar nach der Wende von Eltern und Lehrern zum dritten Mal gegründet – wieder im alten Schulgebäude in der Jägerstraße in der Dresdner Neustadt. Die Tagung bot auch Veranstaltungen zur Schulgeschichte.