Goodbye Michael House School. Die zweite englische Waldorfschule schließt

Sven Saar

Die Schule hätte – so geht ein hartnäckiges Gerücht – die erste Waldorfschule der Welt sein können: Noch vor dem ersten Weltkrieg sprach die englische Anthroposophin Edith Brenda Lewis Rudolf Steiner auf seine Schrift »Die Erziehung des Kindes« an und schlug vor, in diesem Sinne könne man doch mit den Kindern der Fabrikarbeiter ihres Vaters im nordenglischen Ilkeston arbeiten. Es wurde dann zunächst nichts daraus, aber Miss Lewis ließ nicht locker: Sie errichtete auf dem Fabrikgelände der »Meridian Hosiery« ein Haus, in dem für die Arbeiter Weiterbildungs- und Eurythmiekurse angeboten wurden – das Michael House!

Die erste Schule wurde dann 1925 in London gegründet, aber zwei ihrer Lehrerinnen kamen 1934 nach Derbyshire, um hier mit Hilfe von Edith Lewis’ Nachlass die zweite zu gründen. 85 Jahre lang war sie die einzige lebensfähige Waldorfschule in einer englischen Arbeiterstadt – alle anderen sind dort, wo man mehr Mittelklasse und Bildungsbürgertum finden kann.

In den siebziger Jahren wurde das von Rex Raab entworfene Schulgebäude an die britische WELEDA verkauft, die dort seitdem ihren Hauptsitz hat, und die Schule zog ein paar Meilen stadtauswärts ins Grüne, in ein ehemaliges Verwaltungsgebäude des Kohlenbergbaus. Die Schülerzahlen stiegen nie über die magische Zahl 200, und durften nie unter die 100 sinken. Jahrzehntelang wurde improvisierte Pionierarbeit geleistet! Menschen, die später die Bewegung entscheidend beeinflussen konnten, haben hier ihre Laufbahn begonnen: Ron Jarman, Christopher Clouder und Martyn Rawson haben alle als Junglehrer in Michael House gearbeitet.

Auch für mich war es die erste und in vieler Hinsicht prägende Schule: Hier erlebte ich meinen ersten Klassenzug, und war von ernsthaften, selbstlosen und restlos idealistischen Menschen umgeben. Die Kinder und Eltern hatten etwas besonders warmherziges – man fühlte sich bei allem Alltagsstress anerkannt und geschätzt. 

Finanziell war es immer schwer, da wir ja ausschließlich auf Elternbeiträge angewiesen waren: Jedes Jahr ging uns im Sommer das Geld aus, und ein Stück des Schulgartens wurde an die Weleda verkauft, um die Augustgehälter bezahlen zu können. Als der Garten dann ganz verkauft war, entließen wir uns alle im Juli, gingen stempeln und stellten uns im September wieder ein. Für meine Frau und mich, immerhin beide voll beschäftigt, machte das ganze 100 Pfund Unterschied im Monat!

Über die letzten zwei Jahrzehnte sanken die Schülerzahlen, und das Schulgelände musste mehr und mehr vernachlässigt werden. Eine großartige Waldorf-Kinderkrippe brachte eine Zeit lang Hoffnung, doch die Schulden wuchsen, und die ohnehin armseligen Gehälter schrumpften immer mehr. Als im vergangenen Dezember dann OfSTED (staatliche Inspektion) ins Haus kam, die Schule für unzureichend befand und umfassende Verbesserungsmaßnahmen verlangte, war es gleich ein ganzer Eimer, der das Fass zum Überlaufen brachte: Dieser Herausforderung war die entkräftete Schule wohl einfach nicht mehr gewachsen. Meinen ehemaligen Schülern traten die Tränen in die Augen, hatten sie hier doch eine einzigartig farbenfrohe und unbeschwerte Kindheit verbracht.

Die Verantwortlichen hoffen, so bald wie möglich eine neue Initiative beginnen zu können. Vielleicht muss man das Alte loslassen können, damit etwas Neues an seine Stelle treten kann. 

www.michaelhouseschool.co.uk