Homeschooling in Corona-Zeiten

Marianne Kleimann Sevåg

Eines sind die Vorschläge, Pläne und Aufgaben der Lehrer, die über das Internet kommuniziert werden, ein anderes ist die reale Situation zu Hause und der lebendigen Menschen. Ist es möglich, den mündlichen Stil, die lebendigen Geschichten und Gespräche, alle praktisch-künstlerischen Aufgaben und all den neuen Lernstoff mit einem »Steiner-Dreh« für ein Heimstudium zur Verfügung zu stellen?

Kleine Kinder – und große

Die älteren Schüler können eine Zeit lang gut mit Hausaufgaben leben, unterstützt durch etwas Rhythmus im Alltag sowie Kontakt zu Lehrern und Mitschülern über das Internet – und gleichzeitig die Möglichkeit, zu Hause an praktischen Arbeiten teilzunehmen und vielleicht etwas Neues und Nützliches außerhalb des Lehrplans der Schule zu lernen.

Die jüngeren Kinder haben ein anderes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, sie brauchen die Anleitung und Anwesenheit der Erwachsenen. Kleine Kinder haben noch nicht das Vermögen, sich selbst zu tragen und zu ernähren, sie brauchen die direkte Unterstützung, die sie normalerweise von Lehrern und Mitschülern erhalten und die nicht so einfach über das Internet kommuniziert werden kann. Für sie ist es auch wichtig, die Bildschirmzeit so weit als möglich zu reduzieren. Damit liegt viel mehr Verantwortung bei den Eltern: Einen Rhythmus festlegen, mit praktischen Aufgaben aktiv sein, Zeit für das Erzählen von Geschichten und das Spielen und Lernen einplanen etc. Obwohl die Lehrer gute Beiträge leisten – und es ist beeindruckend, wie engagiert, breit und kreativ die Vorschläge sind –, müssen die Eltern die individuelle Fähigkeit der Kinder kennen, still zu sitzen und sich zu konzentrieren, im Gleichgewicht mit dem Bedürfnis nach Spiel und Bewegung.

Erfahrung aus anderen Ländern

In jedem Fall bietet der Ausnahmezustand den Eltern die Möglichkeit, einen kleinen Einblick in die Waldorfpädagogik zu bekommen. Die Zeit mit den Kindern – abhängig von der familiären Situation und den Möglichkeiten – eröffnet neue Perspektiven und Einsichten. Viele Länder, wie zum Beispiel Australien und die USA, haben eine lange Tradition im Steiner-Homeschooling. Oftmals sind die Initiativen aus der großen Entfernung zur nächsten Waldorfschule entstanden, manchmal ist es aber auch der Wunsch nach mehr Freiheit bei der Entwicklung der Pädagogik für die eigenen Kinder. An einigen Orten gibt es eine Verbindung zu einer »Mutterschule«, an anderen Orten handelt es sich um ein unabhängiges Netzwerk. Die älteste waldorfpädagogische »Schule« für Homeschooling in den Vereinigten Staaten, Oak Meadow, wurde bereits 1975 gegründet, weil sie ihr Eigentum verloren hatten. Seitdem hat sie das Konzept des Homeschooling weiterentwickelt, jetzt auch verbunden mit einer weiteren Initiative, die die Natur als Klassenzimmer erkundet (Vermont Wilderness School). Manchmal kann ein Problem zur Entwicklung von etwas Neuem führen!

Homeschooling erfordert immer Elternarbeit, Entwicklung von Lernmaterialien und ein aktives Netzwerk. In der digitalen Welt gibt es viele Programme, die nützliche Apps anbieten, z.B. das Kennenlernen der Vögel im Wald oder das Säen von Kräutern, die gegessen werden können. Diese Vorschläge können aufgegriffen werden. Der Unterricht erfolgt nicht digital, sondern über Eltern, die später dann mit den Kindern live kommunizieren. Viele suchen Hausunterricht, weil sie ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder enger mit der Natur und einem ökologischen Lebensstil verbinden möchten, und zwar in einer »steinerinspirierten« häuslichen Bildung. Viele Jahrzehnte Erfahrung haben gezeigt, dass Waldorfpädagogik in der Tat besonders gut für den Heimunterricht geeignet ist, nur setzt es eben einen echten Willen bei den Eltern voraus.

Homeschooling versus Fernunterricht

Und dann kam plötzlich Corona. Die Pandemiewarnung führte zur Schließung von Schulen und Kindergärten in vielen Ländern, und im Handumdrehen brüteten Waldorflehrer auf der ganzen Welt in ihren Home offices neue und kreative Anstrengungen aus. Dieser Ausnahmezustand hat uns eine Mischung gegeben, eine Art Fernunterricht mit häuslicher Unterstützung. Wenn diese Lernformen sich als gut erweisen, werden wir sie vielleicht auch weiterführen können – vielleicht auch dann, wenn die Welt wieder einigermaßen normal geworden sein wird. Indem wir nun in das kalte Wasser hineingeworfen werden, sammeln wir Erfahrung, sowohl Lehrer als auch Eltern und Schüler. Später wird es viele interessante Gespräche geben! Norwegen ist an vielen Orten ein Land mit ähnlich großen Entfernungen wie Australien oder Grönland. Vielleicht können unsere Erfahrungen in dieser Corona-Zeit auch in Skandinavien und Mitteleuropa eine Tür aufstoßen für die Entwicklung waldorfpädagogischer Homeschooling-Plattformen?

Zur Autorin: Marianne Kleimann Sevåg war 30 Jahre lang Waldorflehrerin in allen Altersstufen, unter anderem Gründungslehrerin der Nordstrand-Steinerskolen in Oslo. Derzeit leitet sie die beiden nördlichsten Waldorfkindergärten der Welt, in Tromsø und – 2019 gegründet – in Langfjordbjotn.

Links zu Waldorf-Homeschooling:

Australien:

http://homeschoolaustralia.com/articles/other/steinerinspired.html
https://fearlesshomeschool.com/steiner-waldorf-homeschooling/
https://themulberryjournal.com/about

Vereinigte Staaten:

https://www.thehomeschoolmom.com/homeschooling-styles/waldorf-homeschooling/
http://www.waldorfhomeschoolers.com/
https://www.homeschoolhere.com/waldorf-homeschool-method/
https://waldorfinspiredlearning.com/resources-for-waldorf-homeschooling/
https://www.time4learning.com/homeschooling-styles/waldorf.html
https://www.oakmeadow.com/oak-meadow-and-waldorf/
https://vermontwildernessschool.org