Baden-Württemberg will Freie Schulen bei der Inklusion außen vor lassen

Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern

Prinzipiell steht es allen Eltern frei, für ihr Kind eine öffentliche oder Freie Schule zu wählen. Schulen in freier Trägerschaft werden durch das Land unterstützt. Die Landesregierung gewährt den Freien Schulen pro Schüler einen Zuschuss, der in etwa 78% der Ausgaben entspricht, die für einen Schüler an einer öffentlichen Schule getätigt werden. Der Fehlbetrag wird durch das Schulgeld der Eltern und die Eigenleistungen der Träger gedeckt. Die Schulgesetzänderung sieht jedoch vor, dass für Kinder mit festgestelltem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot dieser so genannte »Kopfsatz« für den Besuch einer Freien Schule nicht gewährt wird. Für Kinder mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot wird zwar ein Zusatzbetrag für die sonderpädagogische Förderung, nicht aber der »Kopfsatz« als Basisfinanzierung des Schulbesuchs vom Land finanziert. Im Hinblick auf die Personalkosten bedeutet dies, dass die Kosten für einen Sonderpädagogen, der mit einem durchschnittlichen Budget von ca. 3 in der Woche ein Kind unterstützt, finanziert werden, für den Klassenlehrer, der eben dieses Kind im Klassenverband betreut, erhält eine Freie Schule jedoch keinerlei Personalkostenzuschuss. 

Beschränkung des Elternwahlrechts

Die Wahlfreiheit der Eltern wird durch die geplante Gesetzesänderung gravierend eingeschränkt, da diese vorsieht, dass die Beschulung von Kindern mit festgestelltem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot auch an einer allgemeinen Ersatzschule nur im Rahmen einer Gruppeninklusion ermöglicht werden kann. Existiert an einer Schule in freier Trägerschaft, die Eltern für ihr Kind wünschen, keine Gruppe, so wäre es demnach nicht möglich, vom verbrieften (Eltern-)Recht auf freie Schulwahl Gebrauch zu machen. Darüber hinaus legt der Gesetzesentwurf nicht fest, wie die unabhängige Beratung der Eltern durch die staatlichen Schulaufsichtsbehörden erfolgen soll. Um Eltern umfassend und unabhängig über die wohnortnahen Bildungsangebote für ihr Kind zu informieren, wäre eine ausgewogene Information zu allgemeinen Schulen und sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren einerseits, zu den Angeboten staatlicher und Freier Schulen andererseits, notwendig. Nur dann können Eltern ihr Wahlrecht wirklich frei ausüben und zum Wohle ihres Kindes eine Schulwahlentscheidung treffen. Dies würde jedoch erfordern, die sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren sowie die freien Träger in der Gesetzgebung, der Schulentwicklungsplanung und der Beratung als Partner und wesentliche Akteure der schulischen Inklusion im Gesetzestext eindeutig zu benennen. So würde auch den Eltern eine echte Wahlfreiheit zugesichert.

Kooperationen zwischen öffentlichen und Freien Schulen

In vielen Modellregionen haben sich bereits erfolgreiche Zusammenarbeiten zwischen öffentlichen und Freien Schulen entwickelt. Diese sind anerkannt, von den Eltern breit akzeptiert und arbeiten im Sinne des Kindeswohls. Dennoch erschwert die geplante Gesetzgebung die Fortsetzung dieser erfolgreichen Modelle deutlich. Sonderpädagogen einer öffentlichen Schule können künftig keine Schülerinnen und Schüler an einer privaten Regelschule betreuen, Lehrkräfte einer privaten Sonderschule keine Kinder einer öffentlichen Regelschule – auch wenn diese sich in unmittelbarer Nähe befindet oder bereits Kooperationen bestanden. Dieser Umstand ist umso erstaunlicher, da sich landesweit 30 % der Sonderschulen, d.h. der künftigen sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren, (bei den Schulen für Erziehungshilfe sogar 80 %) in freier Trägerschaft befinden. Wie können wohnortnahe Schul- und Unterstützungsangebote für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf geschaffen werden, wenn diese Kompetenzen und Kapazitäten nicht zwangsläufig Berücksichtigung finden? Die Landesregierung verzichtet trotz der Unsicherheit gegenüber dem Thema Inklusion, die in Teilen der Lehrerschaft besteht, darauf, gelingende Zusammenarbeiten fortzusetzen und das Know-how der zahlreichen Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen, die an Schulen in freie Trägerschaft tätig sind, zu nutzen.

UN-konforme Inklusion in Baden-Württemberg nicht möglich

Wie die Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention angesichts dieser Regelungen in Baden-Württemberg angemessen umgesetzt werden sollen ist unklar. Erst im April diesen Jahres mahnte die Monitoring-Stelle der UN-Behindertenrechtskonvention an, »dass die Eltern von Kindern mit Behinderungen nicht frei über die Art der Bildung und Dienstleistung für ihre Kinder entscheiden können.« Sie fordert vielmehr »in allen Bundesländern den Zugang zu einem qualitativ hochwertigen, inklusiven Bildungssystem herzustellen, einschließlich der notwendigen Finanzmittel und des erforderlichen Personals auf allen Ebenen.« Durch die vorgeschlagenen gesetzlichen Regelungen lähmt die Landesregierung die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und macht eine erfolgreiche schulische Inklusion in Baden-Württemberg unmöglich.

Zu den Verbänden innerhalb der AGFS zählen die Schulstiftung der Erzdiözese Freiburg, der Verband Deutscher Privatschulen – Landesverband Baden-Württemberg, die Stiftung Katholische Freie Schule der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der Evangelische Schulbund Südwestdeutschland und das Evangelische Schulwerk Baden und Württemberg, die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Waldorfschulen sowie die Vereinigung Deutscher Landerziehungsheime e.V. Die AGFS in Baden-Württemberg vertritt insgesamt 640 allgemeine und berufsbildende Ersatzschulen – einschließlich Sonderschulen – mit ca. 120.000 Schülerinnen und Schülern. Hinzu kommen rund 500 Ergänzungsschulen, die keine staatliche Entsprechung haben.