Frauenprojekt Loheland wird Kulturdenkmal

Loheland, das am Rande der westlichen Rhön liegt, umfasst ein Dorf mit Ausbildungsstätten, darunter auch die 1976 gegründet Rudolf Steiner Schule, eine Wohnsiedlung und einen Bauernhof. Die Gartenanlagen und Gebäude des Siedlungsprojekt wurden vom anthroposophischen Gartenarchitekten Max Karl Schwarz (1895–1963) aus Worpswede gestaltet und angelegt. Max Karl Schwarz wird von Wikipedia als einer der »bedeutendsten Pioniere des biologisch-dynamischen Gartenbaus und Erfinder der Gärtnerhofidee« bezeichnet.

»Als exemplarisches Frauenprojekt der Moderne in der Provinz ist die Siedlung Loheland zweifellos ein Kulturdenkmal ganz besonderer Güte«, konstatierte der Präsident des hessischen Landesamts für Denkmalpflege Dr. Markus Harzenetter auf der Tagung »Was Häuser und Wege erzählen«. Loheland gehöre vermutlich zu den wenigen Siedlungen der Jugendbewegung aus der Vorkriegszeit, die die wirtschaftlichen Herausforderungen zwischen 1919 und 1932 gemeistert haben und bis in die heutige Zeit weitgehend unverändert weiterbestehen.

Die Aufnahme des Loheland-Ensembles in die Reihe der hessischen Kulturdenkmäler war Anlass für die Tagung, durch die Loheland einer größeren Zahl von Wissenschaftlern, Bauenden, Planenden und Bürgern bekannt gemacht werden sollte.

Besondere Atmosphäre

»Die besondere Atmosphäre des Geländes mit dem wunderschönen Blick über die umgebende Landschaft lässt klar erkennen, was Louise Langaard und Hedwig van Rhoden, die beiden Gründerinnnen von Loheland, bewogen hat, sich nach siebenjähriger Wanderschaft 1919 hier niederzulassen«, erläuterte Harzenetter. Hier hätten die beiden Frauen die Ruhe und die Abgeschiedenheit gefunden, um ihre Ideen einer anderen Lebensart und eines neuen Verständnisses der Arbeit zu verwirklichen. Die hessischen Denkmalschützer sehen den Wert der Frauensiedlung Loheland im Kontext der Moderne des 20.Jahrhunderts.

Harzenetter sagte weiter, Gymnastik, Landbau, Handwerk und Kunst seien die wesentlichen Elemente des Konzeptes der beiden Gründerinnen gewesen, die die ersten Silben ihrer Vornamen miteinander verbunden hätten, um das von ihnen erworbene Gelände als »Loheland« zu benennen. Bauen sei bei der Gründung ein notwendiger Prozess gewesen, um das weitläufige, bewaldete Gelände durch Gebäude und verbindende Wege zu formen und zu strukturieren.

Sowohl an den Gebäuden, als auch an der Struktur der Wege lässt sich die besondere Ideenwelt der Loheländerinnen ablesen. Ihre Geisteshaltung »Leben ist Bewegung – Bewegung lebendige Form« habe sich bis heute in der besonderen Stimmung des Ortes, seiner Gebäude und seiner Wege erhalten.

Verortung

Anders als heute sei Gymnastik dabei ein grundlegender Akt gewesen, um sich durch den Körper in geistige Beziehung zum Raum zu setzen und sich somit im wahrsten Sinne des Wortes zu »verorten«, wie Elisabeth Mollenhauer-Klüber in ihrem Vortrag darlegte. Künstlerische Medien gewannen damit bei der Ausbildung junger Frauen zu Gymnastiklehrerinnen eine herausragende Bedeutung. Aber auch das Bauen mit heimischen Materialien, die Ernährung mit Erzeugnissen aus der regionalen Landwirtschaft und das Herstellen von Leder, Textil- und Keramikprodukten aus eigenen Werkstätten spielten eine wichtige Rolle.

In einer Reihe von Vorträgen wurden die geistesgeschichtlichen Hintergründe der Lebensreformbewegung um die Jahrhundertwende dargestellt, die sich von der Industrialisierung, dem Materialismus und der Verstädterung abwandten, um ihre Ideale einer alle Lebensbereiche umfassenden Reform im Einklang mit der Natur und ihren Rhythmen zu verwirklichen.

Neben dem Bauhaus und seinen zum Teil nicht verwirklichten Planungen im Bereich des Bauens wurde auch die Gartenstadt Hellerau in der Nähe von Dresden, der Monte Verità unweit von Ascona im Tessin und Künstlerkolonien im östlichen Europa bei der Tagung einbezogen. »Mit der Welterbebewerbung der Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt ist die Frage der Lebensreformbewegung in diesen Tagen für uns alle von größtem Interesse und ich freue mich, dass wir uns dem Thema durch die Tagung aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln nähern konnten«, so Harzenetter.

Authentische Überlieferung

Die zu den ältesten Häusern der Loheland-Siedlung gehörenden Gebäude, das Eva-Haus und das Sutor-Haus wurden bereits im Herbst 2014 von Hand vermessen, gezeichnet und dokumentiert. Dieses Verfahren, durch das sich neben den Qualitäten auch mögliche Mängel und Schäden am Bauwerk offenbaren, ist die Grundlage für die Sanierung der Gebäude, die nach ihrer Instandsetzung auch wieder bewohnt werden sollen.

Die Namen der 1924/25 und 1933 erbauten Gebäude gehen auf die Bewohnerinnen der Häuser zurück, Eva Maria Deinhardt und Edith Sutor, zwei der bekanntesten, frühen expressionistischen Tänzerinnen. In beiden Gebäuden sind die Ausstattung aus der Entstehungszeit und teils auch das ursprüngliche Mobiliar erhalten. »Eine Erfahrung authentischer Überlieferung, die in dieser Dichte sehr selten ist«, betonte sich Harzenetter.

Forschung und wissenschaftliche Einordnung der Siedlung Loheland stehen ganz am Anfang. Das von Elisabeth Mollenhauer-Klüber geführte Archiv beherbergt eine Vielfalt von Materialien, die weiterer Sichtung und Aufarbeitung bedürfen. »Von Seiten des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen sind wir gerne bereit, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln dazu beizutragen, dass Lücken geschlossen werden und die Siedlung für die Zukunft gesichert wird«, versicherte Harzenetter.

Waggonia

In Anknüpfung an die Tagung fand Anfang Oktober in Loheland dann der Expertenworkshop »Von der Schiene unters Dach – Lohelands Waggonia« statt. Er befasste sich mit vier ausrangierten Reichsbahnwaggons, die über Eck auf Sandsteinfundamente gesetzt und mit Satteldächern und einer Holzverschalung versehen wurden. Das Ensemble erhielt den Namen »Waggonia« und beherbergte die Lederwerkstatt, die Schneiderei und vor allem die Lichtbildwerkstatt Loheland. Da auch der bauliche Zustand dieses einzigartigen Zeitdokumentes immer schlechter wird, sei eine Sanierung unumgänglich, schreibt das Landesdenkmalamt, das »Waggonia« zu den ungewöhnlichsten Denkmälern Hessens zählt. Es zeuge vom Erfindungsreichtum und der Fantasie des ersten Bewohnerinnen von Loheland, die sich ihre dringend benötigten Werkstattbereiche trotz des kriegsbedingten Mangels an Baumaterialien kurzerhand dadurch beschafften, dass sie Eisenbahnwaggons umfunktionierten.

Die ursprüngliche Idee der Siedlung Loheland, Frauen durch eine Ausbildung als Gymnastiklehrerinnen eine selbstbestimmte Existenz zu ermöglichen, fand in der NS-Zeit ihr Ende und wurde durch »systemkonformes Wandern, Singen und Basteln mit Jungmädeln« ersetzt, darauf weist www.lebensreform-zeitgeschichte.ch in einem Rückblick zur Tagung hin.

Während Louise Langaard sich mit der neuen politischen Situation arrangierte, habe Mitgründerin Hedwig von Rohden dem so veränderten Loheland den Rücken gekehrt. Nach 1945 habe man an den Lebensreformprojekten der Zwischenkriegsjahre anknüpfen können durch die Wiederaufnahme der Gymnastiklehrerausbildung und die Gründung der Rudolf Steiner Schule. Weitere Veranstaltungen zur Aufarbeitung der Geschichte von Loheland seien geplant, wird betont.

Quelle: nna