Virulogisch: Krieg und Frieden. Anmerkungen zu Corona

Ute Hallaschka

Virus als ein Teil von jener Kraft, die definitiv Böses schafft, hat eine Wirkung, die sich als radikal gut sehen lässt. Es ist nicht zynisch gemeint, sich zu sagen: Das Virus ist dabei, zum Menschheitserzieher zu werden. Ein Kunststück, das in der Vergangenheit andere Erregerformen nicht vermochten. Wir hatten die Bankenkrise, wir haben den Klimawandel – im Bewusstsein. Wellen pandemischen, die ganze Erde betreffenden Geschehens, die uns immer dringlicher verständigen, wo wir stehen.

Als Menschheit stehen wir da. Eine unabweisbare Tatsache ist der Menschheitsorganismus, der faktisch vorliegt. Ob wir wollen oder nicht, wir müssen anerkennen, dass jeder einzelne der rund acht Milliarden, die wir sind, dieser Realität unterliegt – in ihr existiert und anders nicht mehr. Kein einziges Individuum auf Erden kann dieser Teilhabe entfliehen. Es gilt nicht mehr wie früher, wenn die Pest kam, für Privilegierte: Geh weit weg und komm möglichst spät wieder! Wohin jetzt – auf den Mond?

Das Virus ist überall. Es lebt in uns, zwischen uns und vor allem in den Strukturen unserer Lebensgewohnheiten. Viren sind selbst sogenannte biologische Strukturen. Keine ausgesprochenen Lebewesen, dennoch imstande, sich fortzubewegen und zu entwickeln durch Gastwirte. Das sind wir Menschen jetzt, wo es aus dem Tierreich über die Artengrenze gesprungen ist. Eigentlich ist die ganze Erde eine Gastwirtschaft. Eine Stätte, auf der wir ankommen, eine Weile leben und wieder fortgehen. Wir wissen das. Aber was uns hindert, dieses Wissen in die Tat umzusetzen, unsere sterbliche und unsterbliche Natur gleichermaßen zu beherzigen, ist Angst. Aus Angst hamstern und plündern wir – so wie jetzt Klopapier und Nudeln –, aber eigentlich immerzu. Wir beuten die Erde und das Leben der anderen aus, denn auf nichts anderem basiert unsere schmarotzende weltweite Marktwirtschaft inzwischen. Je mehr Angst vor dem Sterben wir haben, umso feindseliger gehen wir mit dem Leben um.

Wir weigern uns, einzusehen, dass wir alle, jedes einzelne Individuum als Teil eines Organismus existieren, ganz real, physisch. Und es liegt tatsächlich ebenso real im Bereich unserer menschlichen Freiheit, mit dieser Weigerung so fortzufahren, dass wir den gesamten Organismus zugrunde richten. Das ist die eigentliche Krankheit, an der wir leiden und auf die das virologische Geschehen nachdrücklich verweist.

Unsichtbar, unfühlbar, ohne technische Apparate nicht wahrnehmbar und doch da, absolut real wirksam in der Körperlichkeit. Was das Virus uns so erweist, empirisch evident und menschlich immanent, ist die Ebene der Lebenskräfte. Es gibt sie real, sie existiert und jetzt wird sie uns individuell zur Gänze beigebracht. Auf dieser Ebene ist alles vernetzt. Das, was uns alle verbindet, ist jedoch die entlegenste Vorstellung für uns. Wir fürchten sie, behaupten, ihr nicht gewachsen zu sein, verdrängen sie permanent, denn sonst wären wir mit den Folgen der eigenen Handlungen in der seelisch-geistigen WHO beschäftigt. Doch diese Verdrängung macht krank, individuell und gesellschaftlich. Ganz egoistisch gesehen, könnte es gesund sein, sich endlich der Wirklichkeit zu stellen, weil es gut tut. Nicht länger verrückt neben ihr her zu leben, doch das braucht Seelenpflege. Man muss sich dran gewöhnen, nur noch in Teilhabe sich ganz zu fühlen.

Nun gehen wir in die Schule des Lebens, um die kosmische Natur unseres Daseins zu erfahren. Wer jetzt noch das Interesse an dieser Ebene verweigern will – der wird in Hausarrest geschickt. Auch ganz interessant, denn nun werden wir konkret erfahren, was und ob uns etwas fehlt, angesichts der tollen sozialen Medien, mit denen wir ununterbrochen im scheinbaren Austausch stehen. Aber eben nicht sinnlich, seinswahrhaftig.

Alles das, was wir in der jüngsten Vergangenheit noch erbittert diskutierten – wieviel Verzicht auf Eigenheit zugunsten der anderen ist zumutbar und leistbar, sieh an, jetzt sind wir selbst der andere oder jeder der Nächste, je nach Betrachtungsweise. Die Diskussion ist vorüber. Was wir meinten, freiwillig nicht leisten zu können, kommt nun als Verordnung über uns. Wir müssen den Fehler jedoch kein weiteres Mal begehen. In Angst und egoistischem Schrecken auf das Ende der Krise zu warten – abgesehen davon, dass niemand weiß, wie das aussehen könnte –, um danach weiter zu machen, als wäre nichts gewesen. Nach dem Erreger wäre dann vor dem nächsten, soviel ist sicher. Sehen wir uns doch endlich diese Krankheit so an, dass sie heilsam werden kann. Das ist keine Frage der Immunologie oder der natürlich notwendigen Impfstoffe, sondern eine innere Wendung, ein Aufbruch in die Neuzeit.

Wenn der Menschheitsorganismus wahrgeworden ist als Faktum, dann handelt es sich in der entsprechenden Wahrnehmung keineswegs um blauäugigen Idealismus, schon gar nicht um Ideologie, sondern um das Ende der Lüge. Dass wir aufhören, uns selbst zu belügen. Wir sind jetzt soweit: Jegliches Elend des einen, und sei es noch so klein und unsichtbar, kann kommen über die Welt aller anderen. So weit, so schlimm. Aber was sollte uns hindern, das Gegenteil für ebenso real zu halten?

Statt der alten Verzicht-Diskussion um eingeschränkte Spielräume der Egoität, welch ein Spielplatz erweiterter Weltanschauung in Seinswirklichkeit. Alles Gute als ebenso wirksam und ansteckend zu verstehen – unsichtbar wie unsere Gedanken, Gefühle und Willensintentionen und doch da! Das wäre eine Bildung. Nicht, dass man in den alten Fehler verfällt und sich gleich wie Gott im Himmel aufführt in der Schöpfung einer neuen Erde. Das wird noch ein bisschen dauern, bis wir in uns gebildet haben, was wir in der Welt in Szene setzen. Aber es ist doch ein Kunstwerk und als solches darf man sich davon schöpferisch angesprochen fühlen.

Wenn das die Botschaft des Virus wäre und nach der Entwicklung der Impfstoffe als Heilkraft und Mittel menschlicher Zukunft aufgefasst werden könnte – Hurra! Wir leben nicht noch, sondern wir fangen gerade erst damit an, Menschen des neuen Zeitalters zu werden.