Die Chance in der Krise

Petra Plützer

Das Praktikum nach den Osterferien für die Studenten der Freien Hochschule Stuttgart fiel aus, aber heute unterrichtet Max Reschke. An einer Stuttgarter Waldorfschule.

»Das Kollegium dieser Schule hat uns mit offenen Armen empfangen. Ich freue mich sehr, dass ich helfen kann. Diese intensive Unterrichtssituation wird auch für mich eine spannende Erfahrung«, sagt Max Reschke, Student im Master-Kurs. Viele Wochen Online-Unterricht liegen inzwischen hinter dem angehenden Waldorflehrer. Die Hochschule reagierte mit Beginn des Lock Downs schnell und erstellte noch vor den Osterferien einen komplett neuen Stundenplan, der ständig den wachsenden Erfahrungen mit dem neuen Medium angepasst wird. Doch mit dem neuen Projekt »Studierende helfen Schulen« kann er jetzt doch etwas Praxis-Luft schnuppern – und die Schule erfährt durch seinen Einsatz eine wertvolle Unterstützung.

»Die Idee ist einfach, und sie kann eine Win-Win-Situation für beide Seiten sein«, sagt Professor Tomáš Zdražil. »Unsere Studenten der Waldorfpädagogik unterstützen Waldorfschulen in ihrer Arbeit, den Übergang aus der Corona-Krise zu gestalten. Konkret sieht es so aus, dass sie Pausen- und Prüfungsaufsichten übernehmen, Gruppen- und Individualbetreuungen durchführen, vielfältig die Klassen- und Fachlehrer unterstützen. Die Hilfen orientieren sich ganz am Bedarf der jeweiligen Schule.« Nach den Osterferien starteten die ersten Einsätze des Master-Studienjahres an zwei Stuttgarter Waldorfschulen, inzwischen kommen immer mehr Schulen dazu und die Unterrichtspraxis kann auf andere Studienjahre ausgeweitet werden.

Max Reschke betreut und begleitet an zwei Tagen in der Woche eine Förderschülerin der siebten Klasse. »Es geht nicht nur um Deutsch, Mathe und Englisch. Gerade bei Schülern und Schülerinnen mit Förderbedarf wird deutlich, wie wichtig die Unterstützung ist, Zeit sinnvoll zu gestalten, an einer Arbeit dran zu bleiben«, das fiel ihm schon bei seinem ersten Unterrichtsbesuch auf. »Der Gesprächsbedarf nach so vielen Wochen war sehr groß«, erzählt er. Nicht alle haben Geschwister daheim, viele Eltern müssen Beruf und Kinderbetreuung unter einen Hut bringen.

»Wir können jetzt erleben, dass eine Pädagogik der Zukunft nicht auf Leistungssteigerung allein beruhen kann, wie es die Empfehlungen der Leopoldina in diesen Tagen nahe legten, sondern vielmehr auf Salutogenese und Gesundheitsstärkung«, so Zdražil, der das Projekt mit auf den Weg brachte. »Es bedarf jetzt Phantasie und Kreativität, den massiven Einschränkungen etwas abzuringen und etwas Sinnvolles für die Kinder zu erreichen – das ist die zentrale Herausforderung, der wir gegenüberstehen«, betont auch sein Kollege Professor Edwin Hübner, Leiter des hauseigenen von Tessin-Lehrstuhls für Medienpädagogik. Auch hier hat man aus der Not eine Tugend gemacht und pflegt Erfahrungsaustausch mit den Waldorfschulen durch konkrete Angebote der Unterstützung.

Online-Unterricht, aber wie? Vor dieser Frage stehen die Schulen auch in den kommenden Wochen. Mit zunächst kostenlosen Webinaren und einer ausführlichen schriftlichen Handlungsempfehlung, die über die Homepage zur Verfügung steht, lädt der von Tessin-Lehrstuhl der Hochschule seit den Osterferien zu Fortbildungen mit einem intensiven gemeinsamen Erfahrungsaustausch ein. Von der Videokonferenz bis zum Podcast – in dem schriftlichen Dokument hat man nicht nur viele Tipps und Anregungen zusammengefasst, sondern gibt auch einen Überblick über den Einsatz der Software.

»Mit unseren Webinaren haben wir wohl bei den Lehrerinnen und Lehrern einen Nerv getroffen. Inzwischen bieten wir wegen der großen Nachfrage Zusatztermine an«, berichtet Elke Dillmann, ebenfalls Dozentin der Hochschule. »Nach den ersten Wochen des Online-Unterrichts wird der Bedarf an abwechslungsreichen Formaten überall immer größer«, stellt sie fest. Erklärvideos, Podcasts und mehr – das Lehrstuhlteam hat hier einiges zusammengestellt. Pädagogik mit Medien allein ist eben noch lange keine Medienpädagogik.

»Wie können wir die Mattscheibe nach allen Seiten hin durchlässiger und durchgängiger machen? Den Bildschirm sozusagen aufweichen, damit mehr hin- und hergehen kann?« – so formuliert es Professor Sabine Eberleh, die die Studienanfänger unterrichtet. »Es geht darum, in Beziehung zu bleiben – das ist doch genau das, was wir den zukünftigen Klassenlehrern vermitteln möchten«, unterstreicht sie eine wichtige Qualität der Waldorfpädagogik, brandaktuell in diesen Zeiten.

»Natürlich ersetzt mir mein Einsatz in der Schule nicht wirklich mein Unterrichtspraktikum mit einer ganzen Klasse. Aber die Frage danach, wie man als Lehrer eine gute Beziehung aufbauen kann, die ist sehr entscheidend und hier werde ich sicher sehr viel für mich mitnehmen können«, sagt Max Reschke.