Rassismus-Vorwurf als Ausdruck eines »Kriegs der Paradigmen«

Richard House

Der Autor dieses wichtigen neuen Werks, Dr. Robert Rose, ist Direktor des Zentrums für Philosophie und Anthroposophie – einer Forschungs- und Ausbildungseinrichtung – sowie Dozent am neuen Masterstudiengang Waldorfpädagogik an der Canterbury Christ Church University in England. Es ist eine wesentliche Tatsache in Anbetracht des Themas, dass Rose im Fach Wissenschaftstheorie promoviert hat. In den Jahren 1992-2012 war er zuständig für den Studienbereich Philosophie und Anthroposophie an der Universität von Plymouth.

Durch das zunehmende Aufeinandertreffen von Ideen Rudolf Steiners mit der Mainstream-Kultur wird die Öffentlichkeit zunehmend auf dessen Ideen einer Gegenkultur aufmerksam. Vor diesem Hintergrund bietet das Zentrum für Philosophie und Anthroposophie Kurse für Lehrer und Lehreranwärter an, außerdem Beratung für Schulen. Es führt Forschungen zur Waldorfpädagogik durch mit entsprechenden Abschlussmöglichkeiten, publiziert und befasst sich mit Kritiken an Steiners Ideen und an der Waldorfpädagogik. In diesen Zusammenhang gehört auch das Buch von Robert Rose, das hier besprochen werden soll. In einer sorgfältigen Analyse setzt es sich mit dem Vorwurf auseinander, in Steiners Ideen ginge eine »rassistische« Ideologie ein.

Die Bedeutung des Themas darf keinesfalls unterschätzt werden. Immer wieder gibt es entsprechende Anstrengungen, um Steiners Kosmologie in Misskredit zu bringen – und was würde sich in unserer Zeit besser dazu eignen, als der Vorwurf des Rassismus? In meinen Lehrveranstaltungen bezeichne ich dieses Phänomen immer als Ausdruck eines »Krieges der Paradigmen«, der die Kultur der »Spätmoderne« gegenwärtig kennzeichnet und bei dem sich Kräfte einer seelenlosen, atheistischen technokratischen »Moderne« auf der einen und solche eines neuen transmodernen Paradigmas einer spirituellen Kosmologie auf der anderen Seite gegenüberstehen.

Globale Ethik

Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis von Roses Werk zeigt, worum es geht: Das erste Kapitel heißt »Einführung in die Kritiken und das Problem des Rassismus«. Die folgenden acht Kapitel geben einen erschöpfenden und unter den verschiedensten Blickwinkeln getätigten Überblick über Rassismus im Verhältnis zum Werk Steiners. Das Buch endet mit einem Kapitel »Erziehung zu menschlichen Werten«, das zeigt, »dass Steiners zentrale Theorie eine Vorstellung von Evolution enthält, die eine POSITIVE, GLOBALE ETHIK zwischen allen Menschen der Erde« fördert. (Hervorhebung im Original). Dies drückt sich z.B. in der Haltung der Lehrer in der Waldorfpädagogik aus, die Werte wie Dankbarkeit, Liebe und Selbstlosigkeit zugrunde legt.

Ein großer Teil des Buchs beschreibt diese globale Ethik in Steiners Werk und weist dadurch die skurrile Unterstellung zurück, dass es in irgendeiner Weise auf Mystizismus, Rassismus oder Faschismus begründet sein soll. »Es gibt keinerlei Verbindungen, Verschränkungen, Brücken oder philosophischen Ähnlichkeiten von Anthroposophie und Waldorfpädagogik zu Mystizismus, Rassismus oder Faschismus und auch keine Sympathien dafür oder praktische Ergebnisse, die damit etwas gemeinsam haben«, so das Fazit von Rose.

Der Schaden, der angerichtet wird hinsichtlich dessen, wofür Anthroposophie steht, ist durch eine solche »Dämonisierung« von Steiner nicht gering. Als Beispiel weist Rose auf den infamen offenen Brief hin, der im Observer 2012 abgedruckt worden ist und in dem eine »schwerwiegende Bedrohung der Wissenschaftserziehung« durch das Vordringen der Waldorfpädagogik unterstellt worden ist.

Philosophische Gründlichkeit

In erfrischender Weise bringt Rose nun die Gründlichkeit des Philosophen in diesen Diskurs hinein, er dekonstruiert unermüdlich die Unterstellungen der Steiner-Kritiker, indem er ihre Grundvoraussetzungen auf den Prüfstand des systematischen Standards logischer Argumentation stellt. Jedesmal endet dies damit, dass sie nicht haltbar sind, da sie diesem Kriterium nicht gerecht werden.

Rose wirft z.B. Fragen auf wie: »Kann eine Formulierung als rassistisch eingestuft werden, wenn die Rasse, auf die sie sich bezieht, gar nicht mehr existiert und wenn sie zu keiner Beschreibung eine Rasse der heutigen Zeit passt?«; und: »Woher weiß man, dass eine einzelne Bemerkung zum Kern einer Theorie gehört?«

Von den vielen entscheidenden philosopischen Argumenten, die Rose herausarbeitet, ist eines besonders wichtig: Steiners Kritiker fassen routinemäßig »ist« und »sollte« zusammen – oder technisch gesprochen, »Ontologie« (etwas, dessen Existenz als gegeben vorausgesetzt wird) und Ethik. Steiner entwickele seine geschichtliche Perspektive als rein faktische Darstellung, so dass sie entweder richtig oder falsch sei. Die Kritiker dagegen nähmen gemeinhin an oder behaupteten einfach, Steiner gehe es um vorschreibende ethische Aussagen über Präferenzen, die mit Rassen zu tun haben. Nichts dergleichen sei tatsächlich der Fall, argumentiert Rose. »Steiners Blick auf Rassen … basiert eindeutig auf ontologischen Annahmen, nicht auf ethischen.«

Bewunderungswürdiges Modell

Man muss den ganzen Text lesen, wenn man die volle Bedeutung und Tiefe der Argumente von Rose ermessen will, in dieser kurzen Zusammenfassung kann man ihnen kaum gerecht werden. Trotzdem kann ein Hauptgesichtspunkt hier erwähnt werden, dass z.B. ein Kritiker wie Peter Staudenmaier aus der Sicht von Rose »Konzepte, die aus der Gegenwart entspringen, in die Vergangenheit projiziert. Mit seinem Forschungsansatz kann sein Verständnis von Steiner nicht wirklich begründet werden.« Außerdem müssten zwei Voraussetzungen erfüllt sein, wenn man Steiner einen belastbaren Vorwurf des Rassismus machen wolle, argumentiert Rose weiter: »eine absolute Behauptung der Überlegenheit (einer Rasse) oder ein moralisches Urteil, das zu einer bevorzugenden Handlung führt und den Verlust von Recht und Freiheit (dieser Rasse) begründet. Solche Behauptungen sind in keiner von Steiners Formulierungen zu finden.«

Was mich bei der Lektüre von Roses Buch am meisten beeindruckt hat, ist die Tatsache, dass es im Fall von Kritikern wie Peter Staudenmaier, die mit scheinbar akademisch ausgestatteter Autorität Kritik am Werk Steiners und seiner Redlichkeit üben, tatsächlich keine Alternative dazu gibt, diesen Kritiken detaillierte »akademische« Argumente (im besten Sinn dieses Wortes) entgegenzusetzen. So kann man ohne Bedenken ins Zentrum ihrer Kritiken vorstoßen, deren Grundannahmen dekonstruieren und ihre Verwurzelung in zweifelhaften Voraussetzungen, falscher Logik und eingeschränkt gültigen Sichtweisen nachweisen, die ihren Gegenstand nur verfehlen können.

Aus meiner Sicht ist Roses Buch ein bewunderungswürdiges Modell für ein solches Vorgehen und es legt die Messlatte für andere anthroposophische Wissenschaftler hoch, die solche unentbehrliche geisteswissenschaftliche Forschung weiterführen wollen. Man darf gespannt sein, wie die Kritiker darauf reagieren.

Literaturhinweis: Robert Rose, Transforming Criticisms of Anthroposophy and Waldorf Education – Evolution, Race and the Quest for Global Ethics, Centre for Philosophy and Anthroposophy, 2013, 203 Seiten. e-Book. Robert Rose: Transforming Criticisms of Anthroposophy and Waldorf Education | Deutsche Übersetzung des Buches

Siehe auch folgende Artikel/Links zum Thema: Dr. Richard House in New View, Ausgabe 68, Sommer 2013, S. 3-6 | http://www.newview.org.uk/

www.waldorfanswers.com:

Auf dieser Platform setzen sich die Autoren Daniel Hindes und Sune Nordwall aus den USA und Schweden intensiv mit den Kritikern der Waldorfpädagogik der letzten Jahrzehnte auseinander.

Siehe auch die Beiträge im anthroblog zu diesem Thema: http://anthroblog.anthroweb.info/category/rassismus/