Das Düsseldorfer Modell. Die Trennung nach Leistung macht pädagogisch keinen Sinn

Kristina Döring

Hohe Anforderungen im Abitur einerseits und Schüler, die mit der Grundgrammatik und dem Basisvokabular kämpfen, andererseits: Viele Fremdsprachenkollegen hielten da ein gemeinsames Unterrichten der Schüler nicht mehr für möglich, da sie unter diesen Bedingungen den Fähigkeiten und Bedürfnissen beider Gruppen nicht mehr gerecht werden konnten. In den getrennten Leistungsgruppen der Oberstufe (9, 10 oder 11) wurde auch vermehrt mit Lehrbüchern gearbeitet, was sowohl Kollegen als auch Schülern das Trainieren und Überprüfen von Fähigkeiten erleichtern sollte.

Wir haben all dies in unserer Schule nicht. Bei Treffen mit Fachkollegen – etwa auf der jährlichen »English Week« – fühlen wir Düsseldorfer Kollegen uns manchmal wie eine Insel: etwas isoliert im Festhalten an »alten« Strukturen und Grundsätzen, aber häufig auch bestaunt und mit hoffnungsvollen Fragen bestürmt, ob es denn wirklich noch anders gehe. Denn richtig zufrieden mit der Trennung nach Leistung sind doch wohl die wenigsten …

Den Grundsatz, dass Schüler – gerade auch im Fremdsprachenunterricht – von und miteinander lernen, finde ich täglich bestätigt. Angefangen bei der einfachen Wortschatzarbeit, über Grammatikübungen bis hin zu Formulierungsfragen für die eigene Textproduktion ist der Austausch der Schüler untereinander wichtig. Wichtiger als die Lehrerstimme sind die Vorbilder aus einer Gruppe, zu der alle dazugehören wollen, denn es ist ihre Klasse. Wir haben ja als Waldorfpädagogen nicht nur einen Bildungs-, sondern auch einen Erziehungsauftrag. Unser erster Auftrag ist es, ein Lernklima zu schaffen, in dem jeder Schüler mit dem zu Wort kommen darf, was er kann. Dass begabtere Schüler öfter und mit längeren Beiträgen im Unterricht drankommen, muss kein Nachteil sein, wenn die langsameren Schüler dies als Lernangebot annehmen. Natürlich liegt genau hier die Kernfrage: Wie können alle so gefördert werden, dass sie zu ihren angestrebten Zielen gelangen – seien es ZAPs (Zentrale Prüfungen für die mittleren Abschlüsse) oder Abitur? Und auf den Unterricht bezogen: dass die Schüler das Gefühl haben, gefördert zu werden, weiterzukommen, unabhängig von ihrem Leistungsstand. Diese Fragen werden ab der Mittelstufe, aber explizit in der Oberstufe immer drängender.

Motivationsschub durch Klassenspiel in der 10. Klasse

Ein probates Mittel, um alle Schüler gemeinschaftlich in die Fremdsprache eintauchen zu lassen, ist unser englisches Klassenspiel in der 10. Klasse. Auch die Proben und Absprachen laufen mit wenigen Ausnahmen auf Englisch. Die Rückmeldungen von Schülern und Lehrern sind eindeutig: Dieses Projekt ist ein sprachlicher Meilenstein, ganz zu schweigen davon, wie sich die Schüler in dieser Arbeit entwickeln. Nicht nur die begabten Englischschüler übernehmen Hauptrollen, sondern immer auch schwache, die sich durch die Theateraufgabe mit dem Englischen neu und intensiv verbinden und sich und uns beweisen, dass sie durch Fleiß, Übung und Engagement etwas ganz Besonderes leisten können – auf Englisch! Der Motivationsschub, die Freude an der Fremdsprache tragen Früchte im weiteren Unterricht.

Eine Zusatzstunde Englisch in Klasse 11 für die Prüfungen

Die zentralen Abschlussprüfungen (ZAP), denen sich seit einigen Jahren auch die nordrhein-westfälischen Waldorfschulen unterziehen müssen, liefen unserem von Lehrbüchern unabhängigen Unterrichtskonzept diametral entgegen. An die Stelle von Inhalten, die unsere Schüler interessieren und die wir ihnen durch Lektüren im Original vermitteln, an die Stelle von Klassendiskussionen und längerer, selbst verfasster Texte, durch welche die Schüler ihre Persönlichkeit ausdrücken, sollten nun völlig andere Inhalte und Prüfungsformen treten.

Weder wollten wir unseren ganzheitlichen Ansatz umstoßen, noch den Schülern die Möglichkeit nehmen, auf eine solche Prüfung adäquat vorbereitet zu werden. Wir entschieden uns daher, im Prüfungsjahr (Klasse 11) eine Zusatzstunde Englisch für die ganze Klasse einzuführen, die ausschließlich auf diese Prüfung vorbereitet. Die drei regulären Englischstunden in zwei Gruppen blieben ›Waldorfstunden‹. So ist auch für die Schüler unser Schwerpunkt klar und nachvollziehbar: Unser Hauptthema in diesem Schuljahr ist Shakespeare, aber wir üben gleichzeitig (nebenher) für die ZAP. Die Prüfungen werden mit überdurchschnittlich guten Leistungen abgelegt und besonders über die Fähigkeiten unserer Schüler im schriftlichen Teil sind  die Zweitkorrektoren so erstaunt, dass nachgefragt wurde, wie wir die Schüler vorbereitet hätten.

Teamteaching in Klasse 12 bereitet auf das Abitur vor

Nach wie vor soll die 12. Klasse bei uns die Abschlussklasse der Waldorfschulzeit sein und keine Abiturvorbereitungsklasse. Auch hier wollen wir nicht mit dem Prinzip der Klassengemeinschaft brechen. Jede Schule sucht ja derzeit nach Formen für die 12. Klasse, da macht auch unsere Schule keine Ausnahme. Im Hinblick auf den Englischunterricht und die vielen Themen, die dann im Abitur zu behandeln sind, haben wir uns mit Einführung des Zentralabiturs entschlossen, die Erdkunde-Epoche zur Globalisierung auf Englisch zu bearbeiten. Das heißt, der Englischkollege gibt die Epoche gemeinsam mit dem Geographielehrer, so dass dieses Thema gleich­zeitig für zwei Fächer in der 13 vorbereitet ist. Das Teamteaching bringt viele Vorteile mit sich: So stehen den Schülern bei ihren Recherchen im Internet nun zwei Kollegen zur Seite. Durch diese gezielte, längere Einzelarbeit ist Zeit, um auf Fragen von Einzelnen sprachlich und inhaltlich zu antworten und die Schüler in der Vorbereitung auf ihr Abschlussreferat zu unterstützen. Abgesehen davon ist es auch für uns Lehrer eine Freude, einmal im Team zu arbeiten. Solche Kooperationen sind bestimmt auch in anderen Kombinationen denkbar und ausbaufähig.

Auf veränderten Rahmen reagiert

Die drei Besonderheiten unserer Schule (Klassenspiel, Zusatzstunde, Teamteaching) sind geänderten äußeren Anforderungen in den Prüfungsauflagen geschuldet, aber auch unserer unveränderten Überzeugung, dass die Schüler sich insgesamt besser entwickeln, wenn sie in ihrem Klassen- oder Gruppenverband bleiben, der sie nicht nach Leistung voneinander trennt. Lernfreude und Motivation für die Fremdsprache können in der Oberstufe durch die erstgenannte Besonderheit neu entfacht werden. Den Schülern Freude und Motivation zu vermitteln und sie immer wieder zu erneuern, ist unsere Aufgabe als Pädagogen. Wenn das für einen Großteil der Schüler einer Klasse gelingt, tritt die Frage nach dem Leistungsstand des Einzelnen und der Ruf nach leistungshomogeneren Gruppen in den Hintergrund.

Zur Autorin:

Kristina Döring ist Englischlehrerin an der Rudolf Steiner Schule Düsseldorf. Während eines Sabbaticals in Indien arbeitete sie in der Lehrerausbildung für eine entstehende Waldorfschulinitiative.