»Ach, wir Armen!« Waldorflehrer setzen andere Prioritäten – auch beim Gehalt

Norbert Handwerk

Die Gehaltssituation an den Waldorfschulen muss mit neuen Bewusstsein durchdrungen werden. Denn viele Entscheidungen über Gehaltsordnung und Stundentafel sind lange Zeit vor dem eigenen Eintritt in das neue Kollegium getroffen worden. Sie sind mit dem Profil der Waldorfschule so fest verknüpft, dass gar nicht mehr bewusst ist, dass es sich einst um freie Entscheidungen handelte. Wofür haben sich die Lehrerkollegien denn eigentlich entschieden?

 

  • Waldorfschulen lehnen Hierarchien ab und vermeiden Klassenunterschiede zwischen den Pädagogen – ob Kindergärtnerin, Hausmeister, Sekretärin, Klassenlehrer, Fachlehrer, Oberstufenlehrer, Schulleitung oder Geschäftsführer. Die meisten Waldorfschulen haben sich entschieden, allen Angestellten das gleiche (Grund-) Gehalt zu zahlen.
  • Das Waldorf-Grundgehalt ist oft deutlich niedriger als ein vergleichbares im Öffentlichen Dienst. Trotz oft sogar höheren Familienzuschlägen (Kinder, Familienstand) müssen Waldorflehrer Konsumverzicht üben.
  • Im Öffentlichen Dienst wird je nach Ausbildungsvoraussetzung in verschiedene Besoldungsgruppen differenziert. Bei Waldorflehrern zählt nur die Tätigkeit. Es wird nicht unterschieden, ob ein Waldorflehrer beide Staatsexamina als Gymnasiallehrer oder als Fachlehrer »nur« eine Ausbildung als Handwerker hat. Im ersten Fall liegt das Waldorf-Gehalt niedriger, im zweiten höher.
  • Im Öffentlichen Dienst steigen die Bezüge mit dem Alter, die Waldorfschulen lehnen eine »automatische« Gehaltserhöhung in der Regel ab. Aufstiegschancen gibt es als Waldorflehrer nicht, ebenso wenig besondere Zulagen für Engagement, Verantwortung, Fachkompetenz oder Arbeitsbelastung: Geld soll kein Anreiz für Leistung sein.
  • An Waldorfschulen umfasst ein volles Deputat im Durchschnitt 22 Wochenstunden. Lehrer an staatlichen Schulen haben im Vergleich mehr Stunden (je nach Bundesland verschieden, z.B. Grundschule 29, Sek.I 24-26, Sek.II 24 Wochenstunden).
  • Auch wenn die Klassen an Waldorfschulen meist größer sind, so sind doch die Lerngruppen nach dem Hauptunterricht deutlich kleiner, was die Unterrichtssituation für Schüler und Lehrer verbessert. Die Lehrer-Schüler-Relation beträgt an Waldorfschulen etwa 1 zu 14 (statt mindestens 1 zu 17 bis 26 in staatlichen Schulen).
  • Die rechtliche, wirtschaftliche und pädagogische Selbstständigkeit haben ihren Preis. Die Lehrer engagieren sich auch im Schulverein, befassen sich mit den wirtschaftlichen Grundlagen, erarbeiten eigene Gehaltsordnungen und planen Neubauten. Interessant ist hier ein Vergleich mit den Deputats-Entlastungsstunden, die einer vergleichbar großen Schule in staatlicher Trägerschaft zugestanden sind (ca. 40 Stunden für Schulleitung oder Personalrat bei 400 Schülern). Wenn Waldorfschulen wegen der vielfach als zeitaufwändig und belastend erlebten Tätigkeiten in Konferenzen, Gremien und Arbeitsgruppen für ihre Selbstverwaltung mehr Entlastungsstunden gewähren, so muss sich diese Entscheidung bei gleich bleibendem Personaletat gehaltsmindernd auswirken.
  • Für die Zufriedenheit mit dem Gehalt ist nicht nur dessen Höhe oder die des gesellschaftlich Vergleichbaren relevant. Attraktiv wird die Waldorfschule für Lehrer vor allem wegen ihres ganzheitlichen pädagogischen Konzepts, des angenehmen Schulklimas und der gepflegten Umgebung, wegen der netten Schüler und der engagierten, bildungsinteressierten Elternschaft, wegen der Möglichkeit, in einer wirklichen Schulgemeinschaft den Erziehungs- und Bildungsprozess gemeinsam gestalten zu können. All dies ist mit Geld nicht zu bezahlen.

Die Verwirklichung von sozialen Utopien hat ihren Preis!