neueKUNSTschule Basel

Gilda Bartel

Es ist still. Trennwände stehen zwischen den Arbeitsplätzen. Eine Studentin sitzt mit dem Pinsel in der Hand drei Meter von ihrem Bild entfernt und schaut. Es ist ein Dialog, den sie führt, aber sie hört im Moment die Antwort nicht. Farbflächen, gestern noch in zarten Tönen, sind heute gewachsen zu kräftigerem Grün und Türkis. Vielleicht zu kräftig? Irgendetwas stimmt nicht. Sie entschließt sich, Julitta zu rufen, um mit ihr gemeinsam auf das Bild zu schauen.

In ihrer konturierten, aber zurückhaltenden, zarten Offenheit versucht Julitta Krebs, Mitbegründerin der neueKUNSTschule, wahrzunehmen, was das Problem sein könnte. Die beiden sprechen über den inneren Prozess, den die Studentin gehen muss, um für ihr Bild eine Lösung zu finden. Das geschieht subtil. »Wenn wir Landschaften komponieren, haben wir meistens schon ein festes Bild im Kopf, wie üblicherweise Landschaftsbilder aussehen. Aber versuche zu finden, wie du darüber hinausgehen kannst im Kompositorischen. Versuche so zu komponieren, dass es nicht dieser üblichen Vorstellung entspricht. Schau, was kommen will, wenn du der Komposition etwas mehr Zeit gibst.« Julitta bemerkt sehr wohl die Schritte, welche die Studentin im letzten Trimester gegangen ist. Beschreibend entblättert sie diese Schritte und gibt ihr Wissen über die technisch-malerischen Möglichkeiten dazu. Sie spricht in einer Ernsthaftigkeit der Malerei gegenüber, dem Menschen gegenüber, vor allem aber der Arbeit gegenüber. Es will sich hier etwas entwickeln. Langsamkeit und Genauigkeit sind dafür nötig, wie ein Ertasten. Die Anbindung an den Schaffensprozess erlaubt dichte Gespräche, ohne dass man sich dabei im Persönlichen verlieren würde. Für das Bild wird etwas durchgerungen. Und manchmal auch für sich selbst.

Beim Überschreiten der Schwelle mit der schweren Eisentür zu den alten Industrieräumen der neuenKUNSTschule, tut sich eine erstaunliche Welt auf. Ein wenig klösterlich abgeschieden wirkt es, aber in dieser Stille werden echte Fragen bewegt. Wo liegen die Quellen der Kunst? Wie können die schöpferischen Kräfte im Menschen geweckt werden? Aus diesen Fragen heraus ist für Julitta Krebs und Zvi Szir, beide freie Künstler, der Impuls entstanden, 1997 die neueKUNSTschule zu gründen. Sie haben in den letzten 18 Jahren einen »Werkzeugkasten« entwickelt, mit dem die Studierenden sich innerhalb der Malerei diesen Fragen annähern können. Dabei wird dem Zusammenhang zwischen Innen und -Außenwahrnehmung viel Aufmerksamkeit gewidmet. Wer zum Beispiel im Außen die Proportionen nicht genau sehen kann, wird sie auch im Innern nicht richtig schauen. Andererseits lässt sich die Schulung der malerische Technik nicht trennen von der Art, wie jemand will, fühlt und denkt. Durch den Blick in die Kunstgeschichte, auf die Zeit- und Kultursymptome und auf die Geschichte und Theorie der Moderne können sich die Studenten verorten. Das ist das Terrain von Zvi Szir. »Jedes Kunstwerk wächst aus und in einer Weltanschauung, also aus der Art, wie ich die Welt erlebe, wie ich sie mir vorstelle und in welchem Rahmen ich sie betrachte.« Er steht vor seinen Studenten, in Kapuzenpulli, Jeans und Turnschuhen, und bewegt sich mit so umfassender Intensität und Tiefe in Zeit- und Gedankenzusammenhängen, dass man nicht immer gleich versteht. Aber ahnungshaft, knospenartig öffnet sich etwas beim Zuhören. Um Kunst zu schaffen, braucht es gedankliche Auseinandersetzung, meint er. »Wir haben keinen Kunstbegriff hier an der Schule. Das wäre eine sklerotische Katastrophe. Es gibt viele Gedanken, die uns als KünstlerInnen begleiten, inspirieren, Wege weisen. Neuer Wein braucht neue Schläuche.« Seine legere Warmherzigkeit, gepaart mit seiner Gedankenschärfe, bewirken ein wohltuendes Phänomen, welches selten ist in akademischen Gelehrtenkreisen: man hat hier das Gefühl, dass alle Fragen gestellt werden können, dass es keine dummen Fragen gibt, dass man als konkreter Mensch immer ernst genommen wird.

Es sind zwei Säulen, auf denen die Ausbildung an der neuenKUNSTschule Basel ruht: Wahrnehmung und Denken. Im Spiel zwischen diesen beiden Bereichen erscheint die Welt der Qualitäten, der Farbe, Form, Linie, Komposition, die Welt der verschiedenen künstlerischen Sprachen, sowohl in den Epochen der Geschichte als auch in den  Menschen selbst, die jetzt hier ihren malerischen Weg suchen. Zvi und Julitta hoffen an der Stelle, dass die Studierenden ihre eigene malerische Sprache finden, die nur sie individuell entwickeln können. Es geht ihnen um die Art, wie der Einzelne Stoff und Geist zusammenbringt. Daraus folgt die Tatsache, dass es nicht eine Form gibt, die richtig ist, sondern dass Kunst aus dem Zusammenkommen von Spezifischem und Allgemeinem, von Zeitlichem und Ewigkeit entsteht.

Zur Mittagspause wird es in der kleinen Küche der Schule multikulturell. Liang und Hao aus China kochen sich Tofu mit Kohl, während TalTal und Noga aus Israel sich für einen kleinen Salat entschieden haben. Laura from Holland fragt, wer noch Kaffee will und Emanuel aus Switzerland wird heute den Abwasch machen. »Na mal sehen.« Den Nachtisch aus Kaffee, Zigaretten und Gespräch nimmt man im Hof ein. Zvi schlendert vorbei und ist immer für einen Scherz zu haben. Er kennt seine 18 Studierenden. (In manchen Jahren hatten sie auch schon 35 Studenten.) Sie wollen noch klären, wie am Freitag der Trimesterabschluss begannen wird. Die Schule muss vormittags geputzt werden, weil Sonntag »Tag der offene Tür« ist. Bilder dafür müssen gehängt werden. Bogdan aus Serbien wird wohl eine Nachtschicht einlegen müssen, um sein Bild von der Geburt Ymirs fertig zu malen. »Vielleicht will er ja auch gern am Sonntag ein Schaumalen veranstalten«, lachen die Studenten. »Nein danke.« Gemeinsame Mittagstafel wäre doch gut und dann ab 14 Uhr wie geplant zur Gauguin Ausstellung in die Fondation Beyeler.

Es ist ein familiärer Umgang miteinander. Die Schule ist eine Gemeinschaft, in der jeder mit verantwortlich ist. In den kleinen Klassen hängt der Unterricht vom Einzelnen ab. Jeder Student hat Zugang zu einem Schlüssel, um zu jeder Tag- oder Nachtzeit malen zu können. Jeder Student weiß, dass die Schule durch ihn mit finanziert wird. Man pflegt gemeinsam die Räume und die Umgebung, baut, repariert, erneuert. Einen Aspekt sehen die beiden Dozenten als maßgeblich an, der diese besondere gemeinschaftliche Arbeitsatmosphäre schafft: Allen Studenten und Menschen aus dem Umkreis ist in gewisser Hinsicht bewusst, dass sie noch an einem größerem Projekt teilhaben. Das ist die Frage nach der Zukunft der Kunst.

»Die Malerei ist eigentlich das Urbild des schöpferischen Menschen, das Urbild der Künste, weil sie unmittelbar mit Bildern (nicht Abbildern) beschäftigt ist«, erzählt Zvi. In einem Bild tritt etwas durch etwas anderes in Erscheinung: ein Gesicht durch Ölfarbe, Gefühle durch Klang, der unsichtbare Mensch durch Bewegung. »Die Malerei ist der Übergangsmoment, in dem sich der Mensch nach der Entwicklung der Vorstellungsfähigkeit aus der Gefangenschaft seiner eigenen Seele befreit, sie durchbricht und bildend auf die ihn umgebende Welt einwirken kann, über die Notwendigkeiten der leiblichen Bedingungen hinaus. Es ist der Moment, wo der Mensch vom Geschöpf zu Schöpfer wird.«

Welche Rolle die Kunst allgemein in Zukunft haben wird, bleibt abzuwarten. Wenn wir versuchen, etwas Vergangenes zu reproduzieren, verlassen wir den künstlerischen Bereich. Die Wiederholbarkeit eines Vergangenen verhindert die sich selbst entwickelnde Zukunft, bei der etwas Neues entsteht. Aber an der neuenKUNSTschule hofft man auf etwas Neues, von dem man noch nicht weiß, wie es aussehen wird. Wie in Kinderschuhen stehen Julitta und Zvi mit diesem Fragen da und sprechen davon, dass man sich das Recht auf eine solche "Kindheit" nehmen muss. Fehler zu machen, heißt auch ein Zutrauen zu haben zum menschlichen Schöpfertum. Die Schule ist für die beiden eine Fähigkeiten-Ausbildung. Diejenigen festen Vorstellungen, welche vielleicht die Ritzen für die Gnade verschließen, müssen umgewandelt werden – für Fähigkeiten, die der Mensch in Zukunft brauchen wird.

»Ich sehe Odin nicht«, sagt Zvi bei der Abschlussbildbesprechung der zweiten Klasse. Die Studentin scherzt: »Only clever people can see him.« Technisch hat sie mit deckenden Flächen gearbeitet, um den Erzählstoff aus der Edda malerisch umzusetzen. Er antwortet ihr auf Englisch, weil ihr Deutsch nicht so gut ist. Julitta sitzt auf ihrem Hocker und schmunzelt. »Wenn wir etwas sagen wollen und eine Sprache wählen, die nicht verstanden wird, so werden wir nicht gehört werden. Wenn etwas im Bild nicht bis zu einem gewissen Grad in die Sichtbarkeit gelangt, wird der Betrachter nicht sehen können, was der Maler sprechen wollte.« Wie gelangt das Wesentliche in die Sichtbarkeit? Es tritt durch etwas Anderes in Erscheinung. Nach vier Tagen Hospitation in der neuenKUNSTschule Basel ist für mich wahrnehmbar: meine Art zu schreiben, die Art mit meinem Text umzugehen, verändert sich. Ich werde schöpferisch forschend angeregt, auch wenn ich kein Maler bin. Ich will gern hier bleiben.

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