Waldorf im indischen Silicon Valley

Chris Bennett

Die Eltern fanden sofort Vertrauen zu ihrer Arbeit und verlangten bald, dass der Kindergarten zu einer Schule ausgebaut würde.

Eine gute Bekannte von Sunitha hatte ihr Kind an der ersten Waldorfschule Hyderabads, Sloka, die damals seit drei Jahren bestand. Von ihr kam der Rat, an den Einführungskursen in die Waldorfpädagogik, die dort stattfanden, teilzunehmen, und diese Methoden dann in ihrem kleinen Kindergarten anzuwenden. So kamen Sandhya und Sunitha zum ersten Male nach Sloka, wo sie an einem von Tine Bruinsma und Miriam Haenen geleiteten Kurs teilnahmen. Da Sloka schon voll war, meinte Tine, dass die beiden eine zweite Waldorfschule in Sekunderabad gründen sollten. Als sie erfuhren, dass im Mai 2000 ein dreiwöchiges Waldorfseminar in Mumbai stattfinden würde, beschlossen sie, sich sofort anzumelden. Dort habe ich Sandhya und Sunitha kennengelernt. Die zwei traditionell gekleideten Damen fielen sofort auf, und manche Kursteilnehmer fragten sich, wie sie wohl mit dem Ganzen zurechtkommen würden, insbesondere den lebhaften rhythmischen Übungen. Und siehe da, in einem Sari kann man sich doch sehr leicht bewegen! Bald wurden diese zwei lebensfrohen Damen von allen aufs Herzlichste aufgenommen.

Eine Schule wird gegründet

Nach Hause zurückgekehrt, erklärten Sandhya und Sunita auf einem Elternabend, dass der Kindergarten von nun an als Waldorfkindergarten geführt werde. Die Eltern stimmten größtenteils freudig zu, und der Kindergarten wurde fortan Diksha genannt. Diksha ist die Gabe der Weisheit, des Wissens, die der Guru dem Schüler anbietet. Im Juni 2000 eröffnete die Schule. Ein Elternteil bot ein neues, größeres Gebäude an, das sich damals im Vorort Karkhana befand.

Gleich von Anfang an war es den Beiden wichtig, dass auch Kinder aus armen oder unterprivilegierten Schichten die Schule besuchen durften. Dank des IHF (Internationaler Hilfsfonds) und einigen Einzelspendern kommen seitdem etwa zehn Prozent der Schüler aus solchen Familien. Außer Sandhya und Sunitha sind auch andere Lehrerinnen dort tätig. Die Sprache innerhalb der Schulmauern ist Englisch, wie in fast allen Privatschulen Indiens. Die kleinen Kinder, die zu Hause Telugu, Hindi oder Urdu sprechen, bekommen in der Schule nur Englisch zu hören. Indische Kinder lernen Sprachen sehr schnell, viele wachsen mit zwei oder drei verschiedenen Sprachen auf. Es kommt vor, dass Eltern aus verschiedenen Sprachgebieten sich nur auf Englisch verständigen können. Dasselbe gilt für Lehrkräfte untereinander, da jeder Bundesstaat Indiens eine eigene Sprache und oft auch eine eigene Schrift hat.

In Dezember und Januar 2001/2002 habe ich die zwei damals bestehenden indischen Waldorfschulen (Tridha in Mumbai und Sloka in Hyderabad) zum ersten Mal besuchen können, und bei dieser Gelegenheit besuchte ich auch den kleinen Diksha-Kindergarten in Sekunderabad. Das winzige Gelände innerhalb der hohen Mauern hat mir sehr gefallen; ich fühlte mich sofort zu Hause. Die Räume waren schön ausgestattet, wie in jedem Waldorfkindergarten, und außerdem auch noch mit vielen bunten indischen Stoffen in schönen Farbtönen versehen. Im kleinen Garten stand alles in voller Blüte; eine große Sandkiste hatte dort auch ihren Platz.

Es war ein neues Erlebnis für mich, einer Kindergruppe zu begegnen, in der alle Kinder ähnlich aussahen, mit schwarzen Haaren, brauner Haut und eben diesen schönen, dunkelbraunen Augen. So begann meine bis jetzt zwölfjährige Verbindung zu Diksha. Im folgenden Jahr gab es dann eine erste erste Klasse, eine Gruppe von siebzehn Kindern, die mit großer Begabung von Sandhya geführt wurde. Die nächste Klasse wurde von Sunitha geführt, und langsam wuchs die Schule heran, bis die Räume völlig ausgefüllt waren.

Als Sandhyas Klasse in der sechsten Jahrgangsstufe stand, kamen, wie so oft auch anderswo, viele Fragen von Seiten der Eltern: Ist die Schule akademisch genug? Wie sieht es mit den Prüfungen, die am Ende der zehnten Klasse stattfinden müssen, aus? Die Schule braucht doch ein größeres, geeigneteres Gebäude, wie jede andere normale Schule? Manche Kinder wurden aus Angst abgemeldet, blieben aber im engen Kontakt mit den Klassenkameraden und mit der Lehrerin. Alle diese Fragen und Sorgen führten zu einer großen Änderung – der Planung eines eigens für Diksha gebauten Schulhauses. 2010 fand der Umzug ins neue, nur halbfertige Gebäude im Stadtteil Tumkunta, am Nordrand von Sekunderabad, statt. Manche Familien machten den Umzug nicht mit, da die Entfernung zu groß und der Schulweg zu lang war.

Unter der sicheren Führung von Sandhya und Sunitha wuchs die Schule bis zur zehnten Klasse heran. In der Neunten musste man beginnen, die Schüler auf die bevorstehenden Prüfungen vorzubereiten, was natürlich manche Kompromisse im Oberstufenlehrplan mit sich brachte. Die Schüler bestanden die Prüfungen in fünf Fächern mit großem Erfolg. Alle kamen gut durch. In der ersten zehnten Klasse hatte ein Schüler 100 Prozent in zwei Fächern (2012). In der nächsten, von Sunitha geführten Klasse, bestand ein Junge mit 100 Prozent in allen Fächern (2013). Und trotzdem zweifeln manche Eltern immer noch an der Waldorfpädagogik!

Aber langsam kann die Waldorfpädagogik in dem riesigen Land Indien Fuß fassen, dank der enormen Leistung von Pioniergeistern wie Sandhya und Sunitha, die mit viel Arbeit, unter großen Opfern und mit einer endlosen Begeisterung und Liebe zu den Kindern diese Arbeit vorwärts bringen.