Seelenwäsche Hintergrundmusik

Roland Benedikter

Hintergrundmusik füllt alle Gemeinschaftsräume aus. Sie ist eine unaufhörliche Injektion unbewussten Desiderats, das zum Konsum als Ersatzhandlung führen soll. Die Konsumgesellschaft produziert immer neue Plastikmusik, der niemand zuhört, die aber jeder wahrnimmt – ja im Alltag wahrnehmen muss, wenn er überhaupt in die Öffentlichkeit geht. Sie ist eine ständige Seelenwäsche im Hintergrund mit dem Effekt der Gleichschaltung, damit niemand aus dem Konsum-Mainstream ausschert.

Diese ständige Hintergrundberieselung hat nur eine Botschaft: Das Leben ist ebenso zärtlich wie sinnlos, ebenso weich wie weiß, ebenso oberflächlich-emotional wie unveränderlich. Alles ist nichts, gib auf, spür das Nichts an dir selbst. Dann gib dich hin, konsumiere, um etwas zu tun und deine Sehnsucht loszuwerden. Kaum ein Radiohit transportiert heute etwas anderes – schon gar nicht die Top 50, die die meisten Radiosender mit wenigen Abwechslungen den ganzen Tag lang spielen, sodass man nach zwei Stunden dasselbe Lied schon dreimal gehört hat. Die Künstler selbst, die diese Musik schaffen, scheinen wie in einem Trance-System gefangen. Sie meinen, kreativ zu sein – und wiederholen hilflos eine Seelenwäsche, der sie selbst unterliegen und die sie selbst unaufhörlich erneuern – über Kulturen, Geschlechter und Generationen hinweg. Das Medium ist hier die Message: Nicht was gespielt und gesungen wird, ist wesentlich, sondern dass es gespielt und gesungen wird als letztlich immer Gleiches. Niemand ist anders, alle sind gleich und ebenso traurig und hoffnungslos wie gelangweilt und »neutral« – und das ist »eben das Leben«. Niemand braucht etwas preiszugeben – weil ja ohnehin alles so ist, wie es ist.

Ist mit der Allgegenwart des kitschigen Inhaltsbreis der Hintergrundmusik nicht das Ende der Geschichte tatsächlich Realität geworden? Wie der Künstler Nick Cave einmal sagte: Man hat alles schon einmal gehört. Es ist wie ein Essen, das jemand schon einmal gegessen und wieder erbrochen hat, das dann jemand anders aufgeleckt, wieder gegessen und wieder erbrochen hat. Die universale Hintergrundmusik ist das einzige, worauf man sich verlassen kann, dass es immer da ist und immer so ist, wie es ist. Sie ist der einzige Ort, wo die ewige Wiederkehr des Gleichen tatsächlich Realität ist – ausweglos, perspektivlos, seinslos, sinnlos. Und stets ansaugend an etwas Reales: den Todestrieb. Hintergrundmusik, wie sie heute unterbewusst – und zum Unbewusstsein auffordernd – alle Räume ausfüllt, ist die Selbstfesselung der freiheitlichen, offenen Gesellschaft an ihren Schatten, ihr Nichts. Sie ist die Suspension, die Aufhängung und Aufhebung der Zeit und des Etwas im Immergleichen. Das Nichts im Innern des Zeitgenossen nimmt hier die Gestalt einer eigenschaftslosen Kombination von Langeweile, Reiz und Dumpfheit an – immer selbstreferentiell und immer im Kreis. Und dabei vergeht die Zeit. Die Hintergrundmusik schlägt die Zeit im Hintergrund tot, während ich sie im Vordergrund zu leben hätte.

Wie den Teufelskreis durchbrechen? Eine Lösung: Öffentliche Räume ohne Hintergrundmusik schaffen. Und das zum zeitgenössischen Kunstraum erklären. Ein Modell: Das Wiener Kaffeehaus. Seine große Errungenschaft: Keine Hintergrundmusik. Stattdessen Sprechen der Menschen und Klappern von Geschirr. Das hat heilsame Wirkung. Man spürt wieder sich selbst, den Raum und die Zeit. 

Zum Autor: Roland Benedikter, Dr. Dr. Dr., ist Zeitanalytiker an der Eurac Bozen, am Willy Brandt Zentrum der Universität Breslau und am Institute for Ethics and Emerging Technologies Hartford, Connecticut. Er ist Co-Leiter des Center for Advanced Studies der Eurac Bozen. Kontakt: rolandbenedikter@yahoo.de.