«Kannst du eigentlich deinen Namen tanzen?» Vermutlich gibt es kaum Waldorfschüler:innen, die diesen Satz nicht schon gehört und danach die Augen verdreht haben. Auch die Neuntklässler:innen der Freien Waldorfschule Hildesheim sind Kommentare über ihre Schule gewohnt, insbesondere von fremden Menschen. Manche Sprüche nehmen sie einfach mit Humor oder überhören sie ganz. Andere stechen dann doch ein wenig. «Ich bin der Meinung, dass die Leute nicht urteilen sollten, wenn sie gar nicht wissen, wie es an der Schule ist», sagt Hannah, eine Schülerin der neunten Klasse. «Ihr pflanzt und umarmt dort Bäume», ist ein häufiger Kommentar, den die Schüler:innen zu hören bekommen. Oder: «Ist das eigentlich eine Schule für Dumme?»
«Ich habe dadurch irgendwie das Gefühl, die reden das schlecht und nehmen uns nicht ernst», sagt Celine aus der neunten Klasse. Und eine andere Schülerin sagt: «Ich antworte meistens überhaupt nicht oder genervt.» Die Neuntklässler:innen haben gelernt, mit Vorurteilen der Schule gegenüber zu leben. Und doch sind sie voller Eifer dabei, als die Sozialarbeiterin der Schule, Chiara Marheineke, und Manuel Ahting verschiedene Aktionen ins Leben rufen, die diese Vorurteile bearbeiten und verändern sollen, in dem sich die Schule nach außen hin zeigt.
Die beiden Erwachsenen haben einige Ideen. Die Innenstadt von Hildesheim verliert immer mehr kleine Geschäfte und die Stadtverwaltung unterstützt daher Start-ups und Pop-up-Aktionen, die sich in den kleinen Ladenräumen präsentieren wollen. Die Freie Waldorfschule hat einen dieser Räume gemietet und dort verschiedene Aktionen stattfinden lassen, um von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.
Die Schule hat schon länger einen eigenen Instagram-Account, der von Ahting betreut wird. Bilder, Dokumentationen des Unterrichts und kleine Filmchen über das Schulgeschehen sollen sichtbar machen, was Waldorfschule ist. Auch andere Mitarbeitende der Schule beobachten Social Media und die Schulsekretärin Monique Oppermann bemerkt zu dieser Zeit auf TikTok den sogenannten «Natürlich-Trend», mit welchem Vorurteile ganz unterschiedlicher Sparten, Berufe, Nationalitäten angesprochen und abgebaut werden sollen. Mit einem Hauch Ernsthaftigkeit und einer Menge Humor begegnen die Menschen hier allen möglichen Vorurteilen, die sie so erleben. Diesen Trend nimmt Chiara Marheineke mit der neunten Klasse auf und dreht ein 35 Sekunden langes Filmchen mit Schüler:innen verschiedener Altersgruppen, in dem die Kinder sagen «Wir sind Waldorfschüler» und dann zum Beispiel «natürlich spielen wir alle ein Instrument» oder «natürlich sind bei uns alle Wände bunt» oder «natürlich umarmen wir Bäume». Schnell wird die Sache mit dem Datenschutz abgeklärt und das Einverständnis der jeweiligen Eltern eingeholt und dann geht das Video am 12. März online.
In Hildesheim können Eltern unter vielen Schulen wählen und die Waldorfschule Hildesheim kämpft, alle Schulplätze zu besetzen und genügend Lehrkräfte zu bekommen. Die anderen Instagram-Beiträge der Schule hatten manchmal 100 Likes oder auch nur 60. Anders das «Natürlich»-Video, das innerhalb weniger Wochen tausende Likes bekommt, drei Monate nach Veröffentlichung waren es knapp 18.000. «Die Reichweite dieses Videos hat uns überrollt», sagt Ahting. Zuerst war die Kommentarfunktion noch aktiviert. Neben sehr vielen positiven Statements tauchten auch negative und kritische Stimmen auf. Zuerst gegen die Schule. Doch irgendwann wurden einzelne Schüler:innen aus dem Video angegriffen. «Zum Schutz der im Film sichtbaren Schüler:innen haben wir dann beschlossen, die Kommentarfunktion zu blockieren», so Ahting.
Offener Umgang mit Kritik
Eine Weile lang kommen weitere Angriffe über die Nachrichten-Funktion des Instagram-Accounts und Ahting zeigt sich offen und bietet den Kritiker:innen an, die Hildesheimer Schule zu besichtigen oder sogar zu organisieren, dass sie eine Schulführung an einer anderen Waldorfschule in ihrer Region bekommen. «Interessanterweise wurde dieses Angebot jeweils nicht angenommen und die Diskussion an diesem Punkt jedes Mal beendet», sagt Ahting.
«Ich habe wieder gemerkt, dass es immer Menschen geben wird, denen es nicht passt, dass es auch Dinge gibt, die einfach anders sind», sagt Hannah. Nach dem Erfolg des Schüler:innen-Filmchens bekommen die Eltern und die Lehrer:innen der Hildesheimer Schule ebenfalls den Auftrag, so einen «Natürlich-Film» zu drehen. Der Film der Eltern ist bereits online und hat auch schon mehr als 8.000 Likes eingeheimst. Also auch hier besteht eine große Aufmerksamkeit. «Wir hoffen, mit dem Film der Lehrkräfte auch zu zeigen, wer wir sind, wer hier arbeitet, den Menschen hier an der Schule ein Gesicht zu verleihen und dadurch neue Kolleg:innen zu finden», so Ahting. Er will die Öffentlichkeitsarbeit weiter voranbringen und meint, das Team hätte noch viele andere Ideen. Die Schüler:innen seien stolz auf ihre Aktion und hofften auf eine Veränderung in der Öffentlichkeit, wie ihre Schule gesehen wird.
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