Ausgabe 10/24

20 Jahre Junge Waldorf Philharmonie

Laurenz Wolf

Im Sommer 2014 habe ich das erste Mal eine Arbeitsphase der Jungen Waldorf Philharmonie als Schlagwerker erlebt. Ich hatte damals schon etwas Erfahrung in verschiedenen Jugendorchestern gesammelt und dachte, ich wisse genau, was auf mich zukommt. Eine Einschätzung, mit der ich nicht vollkommen, aber irgendwie dann doch ziemlich daneben lag.

In der deutschen Musiklandschaft gibt es einen großen Fokus auf die Nachwuchsförderung im Bereich der klassischen Musik. Der Deutsche Musikrat und seine einzelnen Landesverbände betreiben das Bundesjugendorchester und die verschiedenen Landesjugendorchester.

Das Konzept dieser Orchester: wer mitmachen möchte, muss ein Probespiel vor einer Jury absolvieren. Nur wer dieses besteht, wird in das Orchester aufgenommen und hat bis zu seinem 18. Lebensjahr die Möglichkeit, an drei bis vier Arbeitsphasen jährlich mitzuwirken.
Die Junge Waldorf Philharmonie bietet eine Alternative zu diesem Weg, da bei ihr nicht nur die Leistung im Vordergrund steht, sondern neben dem Können auch die Begeisterung für die Musik, die eine zentrale Rolle während der Arbeitsphase spielt.

Allein die freundliche und wertschätzende Atmosphäre, die bei der Ankunft in Filderstadt herrschte, war ein großer Kontrast zu den Jugendorchestern, in denen ich zuvor gespielt hatte. Nach mehreren Stunden Zugfahrt und einer kurzen letzten Etappe mit dem Bus erreichten wir die Waldorfschule Gutenhalde in Filderstadt, die für die nächsten zehn Tage unser Zuhause werden sollte.

Bei der Begrüßung lernten wir direkt die treibende Kraft hinter dem Projekt kennen: das Orga-Team. Eine Gruppe von jungen Leuten, im Alter zwischen 16 und 26 Jahren, die jedes Jahr ehrenamtlich eine Tagung der JWP organisieren, welche typischerweise auf folgende Art abläuft: Zuerst reisen über einen Nachmittag hinweg alle Teilnehmenden an und werden durch das Orga-Team begrüßt. Dann trifft sich das ganze Orchester mit Dirigent Patrick Strub und spielt in einer ersten Gesamtprobe einmal das große Werk des Programmes an. Ab dem zweiten Tag trennen sich die einzelnen Stimmgruppen und proben unter Anleitung von Profimusiker:innen, die in verschiedenen deutschen Profiorchestern spielen, in sogenannten «Stimmproben». Das bedeutet, die Blechbläser:innen proben gemeinsam, die ersten Geigen proben gemeinsam, die Celli proben gemeinsam und so weiter. Nach zwei Tagen findet das Orchester wieder zusammen und probt noch etwa eine Woche im sogenannten «Tutti» das gesamte Programm, bis es dann schließlich auf Tournee geht.

Während der Probenphase gibt es immer wieder verschiedene, vom Orga-Team organisierte Rahmenprogrammpunkte. Da ist zum Beispiel zu Anfang der Tanzkurs. In diesem wird das gesamte Orchester mit ganz viel Spaß auf einen großen Ballabend vorbereitet, bei dem sich alle, aufs Schickste herausgeputzt, auf der Tanzfläche begegnen und durch die Gegend wirbeln.

An einem weiteren wunderbaren Abend findet die «Bad Taste Party» statt, an wieder einem anderen der «Bunte Abend» und zwischen diesen großen Programmpunkten finden immer wieder kleinere Aktivitäten statt, ein gemeinsamer Abend am Lagerfeuer oder eine abendliche Runde Yoga.

Was weiterhin zum großen Gemeinschaftsgefühl beiträgt, sind die zu Schlafsälen und großen Nachtlagern umfunktionierten Klassenzimmer. Durch das intensive Proben und Zusammenleben entwickeln wir als Orchester einen Klang, der ganz besonders durch seine Homogenität und seine Energie überzeugt. Bei den Konzerten begegnet uns jeweils ein absolut begeistertes Publikum.

Seit meiner ersten Tagung habe ich noch vier weitere Male bei der JWP teilgenommen und jedes einzelne Mal war es ein absolutes Highlight meines Jahres. Ich schätze mich überaus glücklich, ein solches Orchester gefunden zu haben, welches nicht nur auf einem sehr hohen Niveau Musik macht, sondern dies auch in einer Gemeinschaft tut, die man bei vielen anderen Projekten vergeblich sucht.

Wenn die JWP heute auf der Bühne steht, sieht man das Ergebnis einer langjährigen Erfolgsgeschichte, die im Frühjahr 2004 ihren Anfang nahm: Sebastian Brüning, ein Schüler der Waldorfschule Filderstadt, gründete die Junge Waldorf Philharmonie als Orchesterprojekt im Rahmen seiner Jahresarbeit für Schüler:innen. Die Idee: Schüler:innen spielen, Schüler:innen organisieren. Diese Idee funktionierte und faszinierte so sehr, dass sich jedes Jahr wieder ein neues Team formt, welches die Musiker:innen zusammentrommelt, die Dozent:innen engagiert und natürlich die Tournee auf die Beine stellt.

Im Lauf der Zeit, die auf die Tagung hinführt, schweißt die Organisation des Projektes das Orga-Team eng zusammen. Bei den rund vier Treffen des Orga-Teams, die im Vorfeld stattfinden, entwickeln sich schon die einzigartige Stimmung voller Energie und Freude, die typisch sind für die JWP und die sich anschließend übertragen auf alle Teilnehmenden. Die Offenheit und die Freude der Orchestermitglieder tragen wiederum uns durch die gesamte Probenphase und durch die Tournee und wenn wir schließlich unser Abschlusskonzert im stets ausverkauften Beethovensaal der Liederhalle Stuttgart zum Besten geben, sind wir dort nicht nur hundert Musiker:innen auf der Bühne, wir sind hundert Freund:innen.

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