Renate Keller Ignacio bildete Frauen aus der Favela zu Waldorferzieherinnen aus und so entstand ein Netz von kleinen Kindergärten und -krippen zwischen und in den Holzhütten der Favelas, die zusammen mit den Eltern im gemeinsamen Arbeitseinsatz kindgerecht verschönert wurden. Es bildeten sich Lichtpunkte für die im stinkenden, schlammigen, trostlosen Leben der Favela wohnenden Menschen. Paulo Roberto Ignacio stellte seine langjährige Erfahrung als Schreiner den Jugendlichen zur Verfügung und half, dass sich viele von ihnen selbständig machen konnten und den Sprung aus der Favela schafften. Die Waldorflehrerin Ute Craemer kämpfte unermüdlich um die finanziellen Mittel und lebte der wachsenden Mitarbeiterschaft einen unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen vor, auch wenn sie teilweise mit drogensüchtigen Jugendlichen konfrontiert war, die vor keiner Gewalttat zurückschreckten.
Die brasilianischen Slums werden Favelas genannt und entstanden vor allem in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Angezogen von der wachsenden Industrie in Sâo Paulo und vertrieben von den anhaltenden Dürren im Nordosten Brasiliens, wanderten Millionen Menschen in die Stadt und bauten sich notdürftige Unterkünfte an steilen Hängen, neben Autobahnen und anderen Risikozonen in den Außenbezirken, der sogenannten Periferia.
So entstanden auch die Favelas Monte Azul, die Peinha und Horizonte Azul, mit denen sich während der 80er und 90er Jahre die Aufbauarbeit der Associação immer tiefer verband. Zu den Mitarbeitenden aus den Favelas, die zum großen Teil wenig oder keine formelle Bildung vorweisen konnten, aber durch das harte Leben gebildet waren, gesellten sich sozial engagierte Menschen aus der brasilianischen Mittelschicht, die das Glück hatten, einen Beruf gelernt zu haben, und so zum Gelingen des Ganzen beitragen konnten. Es kamen jährlich freiwillige junge Helfer aus Deutschland, Japan, den USA und vielen anderen Ländern, um während eines einjährigen Freiwilligendienstes ihr Leben mit den Favelabewohner:innen zu teilen und, verwandelt durch diese Erfahrung, ihrem eigenen Leben einen neuen Sinn zu geben.
Allmählich merkten wir, dass dieses bunte Miteinander eine Schule ist, in der jede:r manchmal Lehrer:in und manchmal Schüler:in sein kann. Wir nennen diese Schule Soziale Bildungswerkstatt mit dem Motto Arbeitend Lernen - Lernend Arbeiten. So haben alle Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich sowohl beruflich als auch menschlich und künstlerisch weiterzubilden. Dazu bieten wir jährlich Workshops, Studiengruppen, thematische Feste und Kurse an. Das Highlight ist unser monatlicher Integrationstag. An diesem Tag treffen sich die Mitarbeitenden im Kulturzentrum oder auf dem Sportplatz im Zentrum der Favela oder in Horizonte Azul im Schatten der großen Bäume, um zusammen an einem Jahresthema zu arbeiten. Im Jahr 2023 war das Thema zum Beispiel Differenzen respektieren. Dieses Jahr lautet das Thema Die Anthroposophie im Tun von Monte Azul. Meistens wird jemand für einen kleinen Vortrag eingeladen, dann bilden sich Gruppen, in denen ü das Gehörte reflektiert und künstlerisch erarbeitet wird. Zum Schluss stellt jede Gruppe den anderen das Erarbeitete dar. Beim gemeinsamen Mittagessen können sich die Menschen der verschiedenen Arbeitsbereiche besser kennen lernen.
Monte Azul ist gewachsen, so wie wir es uns niemals erträumt hätten: Heute sind wir über 2.000 Mitarbeitende, davon etwa 1.750 im Familiengesundheitsprogramm (ESF) und etwa 270 in den sozialen, pädagogischen und kulturellen Angeboten, einschließlich Gesundheitsstation und Geburtshaus. Angesichts der großen Zahl von Mitarbeitenden bei den Gesundheitsposten war es immer eine Herausforderung, dort auch die Werte von Monte Azul zu vermitteln, die unter anderem auf Wahrhaftigkeit, Respekt, Verantwortung und dem ganzheitlichen Entwicklungspotential eines jeden Menschen beruhen. Dies änderte sich ausgerechnet in der schlimmsten Zeit der Corona-Pandemie, als jeder pädagogische oder kulturelle Bereich von Monte Azul eine Patenschaft für einen Gesundheitsposten übernommen und durch menschliche Zuwendung versucht hat, die Mitarbeitenden an dieser so harten Front zu ermutigen und ihnen für ihre Arbeit zu danken.
Neben dieser positiven Entwicklung haben wir aber auch mit enormen Herausforderungen zu kämpfen. In ganz Brasilien wird die Ganztagsschule eingeführt. Die Kinder müssen täglich von 7 Uhr morgens bis 16 Uhr nachmittags in der Schule sein. Die Schulen bieten keine Infrastruktur für künstlerische, sportliche oder spielerische Aktivitäten, geschweige denn für gesunde Ernährung. Soziale Organisationen wie unsere haben diese Infrastruktur in den Favelas jahrelang aufgebaut und müssen nun zusehen, wie diese durch qualitativ fragwürdige Angebote ersetzt wird, wenn nicht ein Weg der Kooperation gefunden werden kann. Monte Azul geht da mit gutem Beispiel voran. Die Musikschule geht einmal in der Woche in die naheliegende staatliche Schule Zulmira und führt mit den dortigen Schülern Orchesterproben durch. Wir hoffen, dass wir solche Kooperationen Schritt für Schritt vertiefen können.
Dann leidet Monte Azul auch unter den ständig wachsenden legalen und administrativen Auflagen innerhalb der Verträge, die wir mit der Stadtverwaltung haben und von denen wir finanziell abhängig sind. Um denen gerecht zu werden, brauchen wir hoch qualifizierte Mitarbeitende, müssen neue digitale Systeme einführen, Zertifikate erwerben und Vieles mehr. Das alles kostet Geld. Auf der anderen Seite sind unsere Privatspenden vor allem in Deutschland aus verschiedenen Gründen stark zurückgegangen.
Wir werden aber alles daran setzen, unsere Mission weiter erfüllen zu können, denn unsere Arbeit soll ermöglichen, dass Liebe zwischen Menschen entsteht, die Vielfalt wertgeschätzt und die menschliche Entwicklung gefördert wird. Wir wollen durch Erziehung, Kultur und Gesundheit Gelegenheiten schaffen, um in Freiheit soziale Ungerechtigkeiten zu mindern und uns für das Gleichgewicht der Umwelt einzusetzen.
Zur Autorin: Renate Keller Ignacio, Waldorfpädagogin, Mitgründerin und Präsidentin des Sozialwerks Associação Comunitária Monte Azul.
renate@monteazul.org.br
Vortragsreise von Renate Keller Ignacio in Deutschland
Mehr Infos zur Reise: monteazul.org/blog
10. Mai | 19.00 Uhr | Stuttgart
Ort: Rudolf Steiner Haus Stuttgart, Zur Uhlandshöhe 10, 70188 Stuttgart
Kontakt: info@rudolfsteinerhaus.org
14. Mai | 18.00 Uhr | Hamburg
Ort: Rudolf Steiner Haus Hamburg, Mittelweg 11-12, 20148 Hamburg
Kontakt: info@rudolf-steiner-haus.de
15. Mai | 19.00 Uhr | Lüneburg
Ort: Rudolf Steiner Schule Lüneburg, Walter-Bötcher-Str. 6, 21337 Lüneburg
Kontakt: info@waldorf-lueneburg.de
16. Mai | 18.00 Uhr | Hamburg
Ort: GLS-Bank, Düsternstraße 10, 20355 Hamburg
Kontakt: info@gls-entwicklung.de
18. Mai | 15.00 Uhr | Bremen
Im Rahmen der Monte-Azul-Kulturtage 2024
Ort: Waldorfschule Bremen Osterholz, Graubündener Straße 4, 28325 Bremen
Mehr Infos: https://monteazul.org/save-the-date-fuer-die-kulturtage-in-bremen-17-bis-20-mai
22. Mai | 18.00 Uhr | Bochum
Ort: GLS-Bank, Christstraße 9, 44789 Bochum
Kontakt: info@gls-entwicklung.de
24. Mai | 18.00 Uhr | Kreuzlingen
Ort: Apollo, Konstanzerstrasse 32, 8280 Kreuzlingen
18.00 Vortrag, 20.00 Benefiz-Konzer
26. Mai | 12.30 Uhr | Berlin
Ort: Christengemeinschaft Prenzlauer Berg, Schwedter Strasse: 3-4, 10119 Berlin
28. Mai | 19.00 Uhr | Berlin
Ort: Anthroposophische Gesellschaft, Bernadottestr. 90-92, 14195 Berlin
Spendenkonten
- Zukunftsstiftung Entwicklung
IBAN: DE 05 430 609 67 0012 330 010 BIC: GENODEM1GLS (VWZ: ACMA F308)
- Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V.
IBAN: DE47 4306 0967 0013 0420 10 BIC: GENODEM1GLS (VWZ: ACMA)
- Stiftung Freie Gemeinschaftsbank, Basel, Fonds ZSE Monte Azul Brasilien
IBAN: CH26 0839 2000 0282 2031 5 - BIC/SWIFT: FRGGCHB1XXX
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