Ausgabe 10/24

45 PS für die Zwölftklassarbeit

Katrin Kühne

Drei Meter lang, zwei Meter breit, mit Kettenrädern und aufgesetzter Kabine: So sieht die Zwölftklassarbeit von Jona Höing aus. Der Schüler hat sich zwei Jahre lang mit dem Bau eines motorbetriebenen Kettenfahrzeugs beschäftigt. Ein außergewöhnliches Engagement, findet Volker Lueneberg. Er ist Gartenbaulehrer in Dinslaken, betreut auch die Arbeiten in der Schmiede und hat Jona bei seinem Projekt begleitet. «In meiner 20-jährigen Erfahrung als Waldorflehrer habe ich noch nie eine so aufwändige Jahresarbeit gesehen», so Lueneberg. In vielen Stunden – über tausend dürften es nach Jonas Einschätzung wohl gewesen sein – hat der Schüler an dem Fahrzeug gearbeitet. Angefangen bei den Achsen fertigte er den kompletten Rahmen, die Konstruktion für den Motor und die Antriebsräder des Kettenschleppers, baute alles zusammen, lackierte das Gestell und brachte den Motor eines alten VW Polo 86 C an. Die Stahlketten, alte Ketten eines Dieselpanzers, die Jona einem Schrotthändler abgekauft hatte, greifen perfekt in die handgefertigten Antriebsräder. Das aufgesetzte Fahrerhäuschen in Rot besteht aus der halben Karosserie eines alten Mini Coopers – ein Überbleibsel seiner Achtklassarbeit. «Ketten, Kabine und Motor sind das einzige, das ich nicht selbst gemacht habe», erklärt der 18-Jährige.

Mit Plan und Ausdauer


Bevor er im Winter 2022 mit dem Bau des Fahrzeugs startete, erstellte Jona zunächst genaue Zeichnungen vom Fahrzeug im Maßstab 1:20 und plante die gesamte Antriebstechnik, die bei einem Kettenfahrzeug ganz anders ist als bei einem Auto auf Rädern. «Diese Vorarbeiten haben mir geholfen, das Fahrzeug eins zu eins vom Plan auf die Werkstücke zu übertragen. Außerdem wusste ich so, welche Teile ich wo einbauen und was ich noch kaufen musste.» Einige Schraubensorten musste er in großer Stückzahl kaufen, andere Teile fertigte er selbst an. Fündig wurde der Schüler dabei auch auf dem lokalen Wertstoffhof. Hier fand er anderthalb Meter lange Rohrstücke aus einer großen Lieferung mit Verschnitten vom Stahlbau, die sich hervorragend für den Rahmen eigneten. Schwingarme und Antriebswelle plante er auf dem Millimeterpapier, sodass er diese am Ende einfach abmessen und aus dem Metall zuschneiden konnte. Im Laufe seines Projekts brachte sich Jona alles Mögliche zum Thema Arbeitssicherheit bei, war an der Drehbank tätig, bediente das Schweißgerät, flexte, schliff und feilte unzählige Werkstücke und legte Kabel. Zwischendurch musste er seine Pläne an der einen und anderen Stelle auch wieder anpassen.

Wenn Jona nicht gerade Schulunterricht hatte, war er mit seinem Projekt beschäftigt. «Ich habe meinen ganzen Alltag nach der Arbeit an dem Fahrzeug ausgerichtet», so der Schüler. Dank Lueneberg, der Jona einen Schlüssel für die Schule beschafft hatte, konnte er jederzeit die Schmiede als Werkstatt nutzen. In der Schule waren auch all seine Materialien gelagert. In den Ferien verdiente er sich Geld dazu, um die benötigten Materialien zu kaufen – 2.500 Euro investierte er insgesamt in sein Projekt. Bei schweren Arbeiten, wie die Kabine auf das Gestell zu setzen oder den Motor richtig einzubauen, hatte Jona auch mal Hilfe von seinem Vater. Lueneberg stand ihm ebenfalls mit Rat zur Seite, besonders wenn es um Fragen rund um die Metallverarbeitung und Statik ging. Der Lehrer schätzt vor allem Jonas Selbstsicherheit in Bezug auf seine eigenen Kompetenzen und die Ausdauer, die es braucht, um so ein Vorhaben erfolgreich umzusetzen. «Er hat nie den Kopf in den Sand gesteckt», bewundert Lueneberg Jonas Haltung auch angesichts von Schwierigkeiten. Die gab es immer mal wieder. Auch die erste Probefahrt endete mit einer Panne. In der Annahme, das Getriebe sei kaputt, baute Jona den kompletten Motor wieder aus, um dann zu merken, dass nicht das Getriebe Probleme bereitet hatte, sondern die Antriebsachse gebrochen war. Am Ende ging sein Plan aber auf und er hatte ein fahrbares Auto auf Ketten geschaffen, dass es auf dem Schulhof auf bis zu 20 Kilometer pro Stunde brachte.

Lernprozess als innerer Antrieb


Geschwindigkeit war jedoch nicht Jonas Antrieb, als er sich dafür entschied, diese aufwendige Arbeit anzugehen. Schon seit jeher interessiert er sich für Fahrzeuge und die Technik dahinter. «Besonders Kettenantriebe haben mich schon immer fasziniert», erzählt Jona. «Dahinter steckt so eine Technik, wie Schienen, die sich selber legen. Das ist schon ein krasses Prinzip.» Warum das also nicht selber bauen? So schwer kann es nicht sein, dachte sich Jona und fing einfach an. Auch die Arbeit mit Metall findet der 18-Jährige schön. «Mit so simplen Mitteln wie Metall, einer Flex und einem Schweißgerät kann man eine Struktur erstellen, die stabil ist. Das geht mit Holz zum Beispiel nicht. Wenn man zwei abgesägte Holzteile aneinander leimt, hält das nicht mehr so wie vorher», erklärt er. «Strukturen aus Stahl sind dagegen so stabil, als wären sie aus einem Stück. Mit diesem Material hat man grenzenlose Freiheit und Kreativität.»

Jonas Zwölftklassarbeit steht jetzt erstmal eine Weile rum, bis er sie dann in ein paar Monaten zum Verkauf anbieten will. «Mir ging es bei dem Projekt eigentlich nicht darum, was am Ende rauskommt. Es ist schon schön, dass alles gut geklappt hat und das Fahrzeug auch fährt. Viel wichtiger ist mir aber, dass ich währenddessen unzählige Dinge gelernt habe», resümiert der 18-Jährige. Nach der zwölften Klasse geht Jona von der Schule ab und hat sich auch schon über eine Ausbildung zum Industriemechaniker informiert. Dabei hat er allerdings festgestellt, dass er sich alles, was er in der Ausbildungszeit lernen würde, bereits selbst beigebracht hat. Deshalb will er erstmal ein Jahr reisen – vielleicht kommt ihm dann ein neuer Gedanke. Etwas mit großen Maschinen, Motoren und Metallverarbeitung wird es aber wohl werden. Bis dahin macht Jona seinen eigenen Pkw – den er im Übrigen auch selbst zusammengeschraubt hat – fit für den TÜV. Außerdem plant er schon das nächste Großprojekt: Den Umbau eines geländetauglichen Unimog.

Kommentare

Es sind noch keine Kommentare vorhanden.

Kommentar hinzufügen

0 / 2000

Vielen Dank für Ihren Kommentar. Dieser wird nach Prüfung durch die Administrator:innen freigeschaltet.