In Bewegung

Achtsame Einrichtungen

Kirsten Heberer

Überall dort, wo Kinder und Jugendliche zusammen sind, kann Gewalt ein Thema sein. Sie erzählen vielleicht davon, dass sie zuhause Gewalt, Vernachlässigung oder Misshandlung erfahren, oder Lehrer:innen vermuten es. Auch psychische Gewalt und Mobbing unter Schüler:innen kann ein Thema sein. Eine der massivsten Formen von Machtmissbrauch, mit der eine Schule zu tun haben kann, ist sexuelle Gewalt oder Missbrauch an Schüler:innen durch Schüler:innen oder Mitarbeitende.

Grundlage für die Prävention von sexueller Gewalt ist sexuelle Bildung. Wenn Kinder in einer Welt aufwachsen, in der über Sexualität nicht gesprochen wird, wenn sie keine Worte und keine Ansprechpartner:innen zu diesem Thema haben, können sie nicht von sexueller Gewalt berichten.

Präventiv geschieht inzwischen in den Mitgliedseinrichtungen vom Bund der Freien Waldorfschulen einiges. Nach und nach installieren die Waldorfschulen Ansprech- und Vertrauensstellen und viele Schulsozialarbeiter:innen werden bundesweit eingestellt, damit sowohl Schüler:innen einen Menschen haben, an den sie sich wenden können, als auch Mitarbeiter:innen und Eltern.

Im Leitfaden für Pädagog:innen zum präventiven Handeln gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen (herausgegeben vom Verein Selbstlaut 2014) heißt es: «Wirksame Prävention klärt über die verschiedenen Arten von Grenzverletzungen auf und macht Kindern und Jugendlichen Mut, ihren Gefühlen zu trauen und sich Hilfe zu holen. Sie sollen ihre Rechte kennen und über körperliche und sexuelle Selbstbestimmung informiert sein und in ihrer Kritikfähigkeit gestärkt werden.»

Präventiv kann in allen Klassenstufen zu den unterschiedlichen Formen von Gewalt, Mobbing, Cybermobbing und mehr gearbeitet werden. So können Erstklässler:innen den Unterschied zwischen schönen und schlimmen Geheimnissen erfahren, in Bezug auf die verschiedenen Gefühle (beispielsweise »Welche Farbe hat Zorn?«). Fünftklässler:innen werden präventiv zum Thema Mobbing geschult, setzen sich mit Täter-Opfer-Konstellationen auseinander und erarbeiten kleine Rollenspiele. Somit gibt es für jede Klassenstufe Themen im Bereich der Gewaltprävention, zu denen gearbeitet werden kann. Erwachsene wünschen sich meist, dass Kinder bei Berührungen klare Grenzen setzen können. Das ist allerdings selbst für Erwachsene nicht einfach. Mit Schüler:innen deshalb über angenehme und unangenehme Berührungen und Situationen im Alltag zu sprechen und anhand konkreter Beispiele die eigenen Grenzen zu thematisieren und Lösungswege zu erarbeiten, kann Schüler:innen stärken, sexuelle Übergriffe besser zu erkennen, Stopps zu setzen oder Hilfe zu holen.

Falscher Verdacht

Es gibt auch Fälle, in denen eine Beschuldigung von Gewalt zweifelsfrei ausgeräumt werden kann oder sich herausstellt, dass nicht die ursprünglich beschuldigte Person, sondern jemand anderes übergriffig war. In einem solchen Fall hat sie Anspruch auf Rehabilitation. Die vom Verdacht wissende Öffentlichkeit muss darüber informiert werden, dass eine unrichtige Beschuldigung bestanden hat. Zu falschen Anschuldigungen kommt es in der Regel aus zwei Gründen: Entweder es handelt sich um eine Stellvertreter:innen-Beschuldigung, Schüler:innen benennen also andere Personen als Täter:innen, weil die wahre Geschichte zu schwierig, zu traumatisch, zu unaussprechlich ist. Oder andere Krisen und Konflikte liegen dahinter und die Beschuldigung wurde als Strategie benutzt. In beiden Fällen hilft die intensive Beschäftigung mit dem betroffenen Kind. Empfehlenswert ist hier die Zusammenarbeit mit einer Fachberatungsstelle, die um die Dynamik von Beschuldigungen und Falschbeschuldigungen weiß.

Intervention – Blaming the victim: Kinder und Jugendliche haben keine Mitschuld

Grundvoraussetzung für den Umgang mit Traumata, deren Ursache viele Jahre zurückliegt, ist, dass die Betroffenen den Willen und die Kraft haben, um tatsächlich mit der Schule oder der Einrichtung auf die Vergangenheit zu schauen. Für diese sensible Begegnung müssen sich beide Seiten gut vorbereiten, um reflektierend auf vergangene Situationen zu schauen. Eine erprobte Methodik ist, mit dem Kollegium und den Betroffenen mit Unterstützung von außen in das Gespräch zu gehen. Für einen schützenden Raum im Kreis, ist ein Fishbowl (kreisförmige Sitzordnung der Gruppe) ein geeignetes Instrument. Somit kann im kleineren Rahmen gemeinsam auf eine extrem belastende Zeit geschaut werden. Oftmals sind die möglichen Täter:innen nicht mehr in der Schule oder Einrichtung und es müssen Personen gefunden werden, die um diese Situationen wissen und mit ihr tätig sind. Stellvertretend können es auch Personen aus Gremien der Einrichtungen und Schulen sein. Es geht dabei um die Anerkennung der Situationen, die die Betroffenen erlebt haben.

Diese Gesprächsangebote müssen sein, vielen Betroffenen ist das sehr wichtig. Unabhängig von den möglicherweise therapeutischen Begleitungen, die die Betroffenen in Anspruch nehmen müssen, ist eine Bitte um Verzeihung, auch nach Jahren und Jahrzehnten ein unerlässlicher, nur scheinbar kleiner Schritt und kann den Betroffenen bei der Bewältigung helfen.

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