Es ist schon fünf Jahre her, aber Paula Bleckmann erinnert sich noch genau an ihren Besuch bei der Kinderkommission im Deutschen Bundestag: Zusammen mit Ralf Lankau, einem Professor für Mediengestaltung und Medientheorie an der Hochschule Offenburg, referiert die Professorin für Medienpädagogik von der Alanus Hochschule in Alfter über ihren Fachbereich, die Medienbildung. Kollege Lankau kritisiert die zunehmende Digitalisierung der kindlichen Lebenswelt scharf. Ein junger Politiker in Anzug und Krawatte hört ihm aufmerksam zu und nickt immer wieder eifrig. In der Pause kommt er auf das Professor:innen-Duo zu und fragt Lankau, ob seine Partei ihn zu einem weiteren Vortrag einladen dürfe. Seine Aussagen seien so treffend und wichtig gewesen. Bleckmann versucht, ihrem Kollegen warnende Blicke zuzuwerfen. Sie vermutet, dass dieser nicht weiß, welcher Partei der junge Mann angehört – der AfD nämlich.
Dass Menschen aus dem rechten Lager oder mit rechter Gesinnung, so wie der junge AfD-Politiker im Bundestag, den medienpädagogischen Positionen der Waldorfpädagogik Beifall zollen, ist kein Einzelfall, hat Bleckmann beobachtet. Per se spricht das in ihren Augen weder gegen die Relevanz noch gegen die Evidenz der waldorfpädagogischen Erkenntnisse. Und dennoch hält sie es für brandgefährlich und warnt eindringlich davor: «Als Wissenschaftler:innen sind wir nicht nur der Forschung und ihren Ergebnissen verpflichtet, sondern immer auch der Frage, wem und wo wir damit Anknüpfungspunkte bieten.» Sie findet, auch Digitalisierungs-Kritiker:innen, die undifferenziert kritisieren, müssen skeptisch betrachtet werden. Patrick Bettinger und Sabrina Schröder, zwei Kolleg:innen von Bleckmann, die ebenfalls zum Thema Medien forschen und lehren, schreiben in einem Fachartikel: «Gerade weil diese polarisierenden Perspektiven Anschlussfähigkeit herstellen – auch, wie wir zeigen werden, an neurechte Perspektiven –, halten wir eine Auseinandersetzung mit den Strategien für relevant, durch welche Medien, Digitalität oder die Digitalisierung diskursiv als ,krankmachend‘ dargestellt werden.»
Weshalb aber gibt es überhaupt vermehrt wissenschaftliche Studien in den letzten Jahren, die dem kindlichen Umgang mit Medien massiv schädliche Auswirkungen bescheinigen? Ist die Wissenschaft nach langer Zeit nun endlich auch da angelangt, wo Waldorfpädagog:innen und andere früher längst standen? Von solchen genugtuerischen Gedanken hält Bleckmann nichts. Denn die eine Medienpädagogik gäbe es gar nicht, meint sie. Die Landschaft der Positionen sei schon immer sehr differenziert gewesen. Vielmehr sei es so, dass einer gravierenden Änderung im jeweiligen medienpädagogischen Mainstream eine Änderung der politischen Richtung vorangegangen sei, sagt Bleckmann und erklärt: «Leider beobachten wir überall auf der Welt mehr und mehr nationalistische, rechte Tendenzen. Die gehen einher mit einem Ruf nach ,Back to the roots‘ – im Allgemeinen und auch im Bildungsbereich. Und um diese Forderungen zu stützen, geben sie entsprechende Studien in Auftrag. Zunächst sind da also Verschiebungen an der Macht und erst dann folgt die Auswahl der Studienergebnisse – nicht umgekehrt. Politische Strömungen suchen sich ihre Autor:innen.»
Falsch seien die Ergebnisse dieser Studien, die in erster Linie politische Strömungen verstärken sollen, deshalb nicht. Bleckmann sagt unverhohlen: «Es stimmt: Der ausgeprägte Umgang mit Medien kann Übergewicht, Einsamkeit und Aggressionen bei Kindern hervorrufen. Aber die Frage muss doch lauten, wie wir Kinder langfristig befähigen, das selbst zu regulieren, und wie wir macht- und geldhungrige Großkonzerne an die Kandare nehmen.» Anfangs hätten Forschende sich auf die einfache Frage konzentriert, was Medien mit Menschen machen, insbesondere mit Kindern, und dabei oft zu monokausal gedacht. Dann hätte es einen Perspektivwechsel gegeben und es sei vermehrt erforscht worden, was Menschen mit Medien machen, wie Menschen Medien gestalten und auf unterschiedliche Weise nutzen. Man müsse heute beides integrieren und differenziertere Fragen stellen, fordert Bleckmann: Was machen Medien mit Menschen, die etwas mit Medien machen? Der in Waldorfkreisen so gern zitierte Weg der schwedischen Grundschulen – Tablets wegwerfen, Bücher kaufen – reiche nicht aus. Vorwärts gehen und Kinder ernsthaft befähigen, anstatt sich rückwärts wenden und die gute alte Zeit wieder herbeiwünschen, in der es weder Computer noch Smartphones gab – das muss auch der Weg für eine mündigkeitsorientierte Medienbildung sein, findet Bleckmann.
Der Schutz von Kindern und Jugendlichen, auch vor digital verstärkter Bildungsungleichheit, sollte dabei ganz klar Priorität haben. Dieses Thema sieht die Professorin für Medienpädagogik eigentlich stark im linken Parteienspektrum verortet. Das bräuchten die Rechten nicht neu zu erfinden. «Natürlich suchen und brauchen reformpädagogische Ansätze Fürsprecher:innen. Das ist verständlich und nötig. Wir müssen nur aufpassen, dass wir die richtigen Allianzen eingehen. Die Partner dafür gibt es», mahnt und ermutigt Bleckmann zugleich.
Kinderrechte im digitalen Raum
Kinder haben ein Recht auf digitale Teilhabe, damit sie mehr über digitale Medien erfahren und diese für ihre Fähigkeiten und Bildung nutzen können. Das steht in der 25. Allgemeinen Bemerkung (General Comment) der UN-Kinderrechtskonvention. Sie behandelt die Rechte von Kindern im digitalen Umfeld, unter anderem mit der Berücksichtigung des Rechts auf Bildung oder der Perspektive der Kinder. Auch Kinder können von Cybermobbing, Desinformationskampagnen oder Angriffen krimineller Personen betroffen sein, daher ist eine frühe Aufklärung und Bildung im digitalen Raum sehr wichtig.
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Es gibt viele Bereiche, wo rechte Narrative sich mit der Anthroposophie verbinden wollen. Da gilt es achtsam und selbstkritisch zu sein.
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