Es ist Sonntagabend 23 Uhr und endlich sind alle 24 Schüler:innen der zwölften Klasse der Waldorfschule Esslingen an der Ecole Steiner du Haute-Alsace im Elsass angekommen, deren Schulhof und Kindergartenaußengelände wir bereichern wollen. Nach etlichen Herausforderungen und Anstrengungen im Vorfeld geht es endlich los!
Eine ehemalige Kollegin vermittelte uns den Kontakt zu dieser französischen Waldorfschule. Sie wünschte sich zunächst «etwas» für ihren Schulhof. Dann konkretisierten sich die Wünsche: ein Klettergerüst für die Unterstufe, ein Regendach über einer bereits betonierten Bodenplatte für den Kindergarten und ein Podest, um eine vorhandene Rutsche aufstellen zu können.
Ein Klettergerüst mit einbetonierten Robinienstämmen haben wir auch bei uns im Schulhof – wir wussten also, wie so etwas umgesetzt werden könnte. Die Rutsche war klein, doch das gewünschte Dach hatte mit etwa 20 Quadratmetern Fläche bereits die Größe eines üppigen Carports. Eine Konstruktion zu entwerfen, die mit unseren technisch beschränkten Möglichkeiten zu erstellen war, die den oft unterschätzten Windsogkräften standhalten könnte und die sich nicht zuletzt in den kleingliedrigen Garten mit altem Baumbestand harmonisch einfügen würde, wäre eine Überforderung der Zwölftklässler gewesen, zumal der zeitliche Vorlauf nur noch wenige Wochen betrug.
Lange bevor ich Mathematiklehrerin an der Waldorfschule geworden bin, war ich in einem Architekturbüro angestellt, daher waren mir die Schwierigkeiten deutlich, aber auch die Möglichkeiten vertraut, diese anzugehen: Große Spannweiten erfordern große Querschnitte oder aufgelöste Fachwerkträger. Dreiecke sind stabil, Bögen vereinen Stützen und Träger. Einfache Details, die sich wiederholen und sich am Boden vorfertigen lassen, erleichtern das Bauen.
Diese Überlegungen führten zu einem Dach, das in vier einander überlappende Flächen aufgeteilt ist, die alle auf insgesamt vier Stützbögen aufliegen. Diese Bögen sind aus sich kreuzenden Dielen zusammengeschraubt. Jeder Bogen oder Kranz, entspricht mehr als einem Halbkreis, die Konstruktion ließe sich unterirdisch zu einem regelmäßigen Zwölfeck ergänzen. Alle Dielen müssen mit denselben Lochabständen gebohrt werden. Die Dachflächen haben nicht die gleiche Neigung wie die Dielen, das bogenförmige Tragwerk ist vom Dach gelöst und bietet eine den Kindergartenkindern angemessene kleinteilige und klare Struktur.
Das Material hatten wir selbst mitgebracht. Am Montagmorgen teilte sich die Klasse in drei Projektgruppen auf und begann mit der Umsetzung: Das extrem schweißtreibende Ausheben der Fundamente für das Klettergerüst haben alle genauso zuverlässig erledigt wie das exakte Anzeichnen und Bohren der Dielen oder die Arbeiten für das Rutschenpodest. Auch die vierköpfige, täglich wechselnde Küchengruppe versorgte uns gut.
Wir kamen uns gegenseitig räumlich nicht in die Quere, konnten aber den Fortschritt aller Projekte miterleben und bewundern. Ob die einbetonierten Stützen wohl nach zwei Tagen stabil stehen würden? Ob sich die zusammengebauten Bögen so aufrichten lassen würden, dass die Dachträger sicher befestigt werden könnten? Ob die Rutsche beim Runtergleiten stabil stehen würde? Ja, ja und ja – alle auftretenden Probleme ließen sich lösen!
Ihre Freizeit verbrachten die Schüler:innen oft in wechselnden Gruppen spielend. Die Stimmung war trotz der Anstrengungen, der Hitze und der beschränkten Infrastruktur (eine einzige Dusche für alle, und diese nicht mal abschließbar) sehr gut – vielleicht gerade wegen der gemeisterten Schwierigkeiten. Selbst ein achtzehnter Geburtstag wurde gebührend gefeiert, ohne dass alle am nächsten Tag in den Seilen hingen – eine wirklich reife Leistung!
«Die gemeinsame Zeit, vor allem die gemeinsame Arbeit, hat uns als Klasse zusammengeschweißt. Durch die Arbeit und das gemeinsame Ziel hatte man auch mit Menschen zu tun, mit denen man normalerweise nicht so viel zu tun hat. Insgesamt war ich sehr positiv überrascht von dem Ergebnis unseres Projektes und was wir trotz wenig Erfahrungen alles geschafft haben», resümierte eine Schülerin im Anschluss.
Dieser Rückmeldung aus der Klasse kann ich mich nur anschließen. Ich staune immer noch über die gezeigte Tatkraft, die entstandene Dynamik und die Qualität des innerhalb einer Arbeitswoche erreichten Ergebnisses.
Ein Wunsch:
Eine zentrale Anlaufstelle bei der sich einerseits die Arbeitskraft anbietenden Klassen melden könnte andererseits Schulen, die ein für Schüler:innen machbares Projekt realisieren möchten, wäre ideal. Wer macht’s?
Zum Dach:
In Deutschland hätte dieses Dach eine Baugenehmigung erfordert, je nach Größe müsste auch die Statik nachgewiesen werden. Die Abmessungen und Details unseres Daches können als Orientierung (leicht vergrößert zum Beispiel auch als Fahrradüberdachung) bei mir angefragt werden.
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