Ausgabe 11/23

Als Regenbogenfamilie an der Waldorfschule

Christina Reinthal

In Berlin – und wahrscheinlich auch in etlichen anderen Bundesländern – ist es ja so, dass man sich eigentlich bereits in der Schwangerschaft nach einem Kindergartenplatz umschauen muss, eigentlich am besten schon noch früher. Meine Frau und ich haben das bei der Geburt unseres Kindes vor etwa zwölf Jahren nicht gemacht, sondern wir haben erst kurz nach der Geburt damit angefangen. Wir waren dabei zunächst recht entspannt, denn wir waren nicht darauf angewiesen, direkt nach Ende des ersten Lebensjahres einen Kindergartenplatz zu haben. Entsprechend gelassen schauten wir uns einige Kindergärten in unserer Umgebung an, wobei uns schnell klar war, dass es ein Waldorfkindergarten sein sollte. Daraufhin ließ die Entspannung dann doch nach, da wir nun auch wussten, wie begehrt die Plätze in Waldorfkindergärten sind. Entsprechend aufgeregt schrieben wir unsere Bewerbung und gingen zum ersten Gespräch mit einer der Erzieherinnen des Kindergartens, bei dem wir uns beworben haben. Wir fühlten uns sofort wohl in der ruhigen und harmonischen Atmosphäre der liebevoll eingerichteten Räume und wurden von der Erzieherin sehr freundlich empfangen. Unser damals knapp einjähriges Kind streckte ihr sofort die Ärmchen entgegen. Ich erinnere mich nicht, dass die Tatsache, dass wir eine Regenbogenfamilie sind, ein besonderes Thema in diesem Gespräch war. Es ging einfach ganz allgemein und völlig wertfrei um die häusliche und familiäre Umgebung des Kindes. Ebenso erging es uns etwa drei Jahre später, als wir an einen anderen Waldorfkindergarten wechselten und später auch bei den Aufnahmegesprächen in der Waldorfschule.
In allen drei Fällen sahen wir es nicht als Selbstverständlichkeit, aufgenommen zu werden und bangten jedes Mal ein bisschen, ob wir den Platz bekommen würden, weil wir wussten, dass es viele gab, die diesen Platz haben wollten. In allen drei Fällen merkten wir, dass man sich sehr darüber freute, Vielfalt in die Gruppe oder Klasse und in die jeweilige Elternschaft bringen zu können. Eben weil wir eine Regenbogenfamilie sind, wurden wir aufgenommen und nicht, obwohl wir das sind.
Dieses Gefühl blieb im Waldorf-Alltag erhalten: Erzieher:innen, Lehrkräfte aber auch Eltern und Verwandte und Bekannte aus dem Umfeld von Schule und Kindergarten begegneten uns stets mit völlig unaufgeregter Freundlichkeit. Natürlich stellten manche Kinder Fragen, vor allem im Kindergarten: «Warum hast du zwei Mütter?» oder «Wer ist deine richtige Mama?» Aber nach kurzen Erklärungen war das Thema auch schon wieder abgehakt. Sicher auch, weil es eine entsprechende Haltung dazu zu Hause am Abendbrottisch gab.
Ich fühlte mich als lesbische Mutter im Waldorfumfeld oft freundlicher aufgenommen und auch sicherer als in manch anderem Umfeld. Ältere Herren in der Nachbarschaft hatten zum Beispiel doch mal größere Probleme, unser Familienmodell zu verstehen. Besonders unangenehm war für uns auch die Prüfung durch Jugendamt und Gericht bei der Stiefkindadoption. Eine Stiefkindadoption ist bei einem gleichgeschlechtlichen Paar notwendig, damit das leibliche Kind des einen Elternteils auch rechtlich gesehen das Kind der Ehepartnerin wird. Das ist ein deutlicher Unterschied zu heterosexuellen Ehepaaren: Hier gilt ein Kind, das in die Ehe geboren wird, immer automatisch als Kind des Vaters, auch dann zum Beispiel, wenn der Ehemann bekanntermaßen unfruchtbar ist und das Kind durch künstliche Befruchtung entstand. Auch bei nichtverheirateten Paaren ist das einfacher: man geht zum Amt und erklärt, dass man der leibliche Vater ist. Für Regenbogenfamilien ist das anders. In einem mitunter langwierigen Gerichtsverfahren, das erst sechs Wochen nach der Geburt des Kindes angestoßen werden kann, wird die Eignung der Eltern als Eltern geprüft. Das hat sich auch mit der Einführung der «Ehe für alle» nicht geändert. Für dieses Verfahren mussten wir einen Anwalt beauftragen und natürlich auch Gerichtskosten bezahlen. Rein aus finanzieller Sicht könnte man dies schon als Diskriminierung bezeichnen. Das Verfahren beinhaltet auch den Hausbesuch durch Mitarbeitende des Jugendamtes. Die Wohnung wird angeschaut, es werden viele Fragen gestellt. Sowohl die Mitarbeiterin des Jugendamtes, die uns besuchte, als auch der Richter, der die Stiefkindadoption später gerichtlich beschloss, sagten etwas achselzuckend zu uns: «Tja, also, ich habe jetzt nicht den Eindruck, dass Sie sich das nicht gut überlegt hätten.» Offensichtlich war ihnen beiden nicht klar, dass man als nicht-heterosexuelles Paar ohne eine Vielzahl von Überlegungen gar nicht erst zu einem Kind kommt. Wir lächeln noch zwölf Jahre später müde darüber.
In unseren beiden Waldorfkindergärten und in der Waldorfschule hingegen wurden wir mit offenen Armen aufgenommen. Wir waren in den Kindergartengruppen und sind auch in der Klasse unseres Sohnes die einzige Regenbogenfamilie und kennen auch im weiteren Umfeld keine. Rein statistisch gesehen ist das nicht erstaunlich: weniger als 0,01 Prozent der Kinder in Deutschland leben in Regenbogenfamilien. So hatten wir in der Kleinkindzeit unseres Kindes deutlich mehr Kontakt mit Regenbogenfamilien. Das war so, weil wir diesen Kontakt aktiv gesucht haben, aber auch weil ich durch meine damalige Arbeit als Chefredakteurin eines queeren Stadtmagazins ohnehin mehr Kontakt zu dieser Personengruppe hatte. Später wurde uns der Kontakt mit den Familien der Kinder, mit denen unser Sohn täglich zusammen ist, wichtiger und, da wir uns dort auch sehr wohl fühlten, nahm der Kontakt zu Regenbogenfamilien ab. Auch beruflich wechselte ich vor einigen Jahren in den anthroposophischen Bereich. Als queere Person fühle ich mich auch hier ebenso wohl wie an der Waldorfschule meines Kindes. Und um nochmal auf die Statistik zu kommen: Ich habe sogar den Eindruck, dass der Anteil von LGBTIQ*-Personen, die im anthroposophischen Bereich arbeiten, leicht überdurchschnittlich ist. Aber das ist nur so ein Gefühl, das ich als sehr angenehm empfinde. Ganz sicher ist: Als Regenbogenfamilie in der Waldorfschule fühlen wir uns einfach gut.

 

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