10.30 Uhr in Flensburg. Für die sechs Kolleg:innen der Ganztagsbetreuung an der Freien Waldorfschule beginnt die Arbeit. Im Pavillon, einem Gebäude direkt neben der Schule, besprechen sie den bevorstehenden Tag, teilen Ideen für Aktivitäten, verteilen Aufgaben und bereiten alles vor, um die Schüler:innen ab 11.20 Uhr in der GTS zu empfangen. Von den rund 120 Kindern der Unterstufe kommen etwa 65 regelmäßig her. Nach dem Unterricht bis zum Nachmittag um 16 Uhr finden sie hier eine liebevolle Betreuung und Raum für soziale Begegnung. «Bei uns können die Kinder nach einem fordernden Schultag ausatmen und gucken: Was brauche ich?», erzählt die Leiterin der GTS, Katarina Höpfner. Unterstützt werden das Team und sie von einer Heilpädagogin und einer Springerkraft, die bei Personalnotstand zur Stelle ist.
Eine Insel am Vormittag
Eine der Besonderheiten an der Flensburger Schule ist, dass die Erzieher:innen der GTS auch bei Personalengpässen im Lehrerkollegium einspringen und Vertretungsstunden am Vormittag übernehmen. Die betroffenen Unterstufenklassen können dann einfach in die GTS gehen und sind dort gut aufgehoben. «Das ist für uns natürlich luxuriös», sagt Anna Lindow, Fachlehrerin für Englisch und selbst Mutter von vier Kindern in der Schule und dem angeschlossenen Waldorfkindergarten. Organisiert werden diese Stunden vom Vertretungsregler der Schule, der einen kurzen Draht zum GTS-Team hat und hier unkompliziert Absprachen treffen kann.
Seit Anfang des Schuljahres wird überdies das Konzept der pädagogischen Insel an der Schule praktiziert, das von zwei Kolleg:innen aus der GTS begleitet wird. Kinder, die im Unterricht nicht mitkommen – sei es aus Überforderung, Müdigkeit oder anderen Gründen – finden in den GTS-Räumen eine Insel der Erholung. Hier können sie sich kurz ausruhen, kuscheln oder den Lernstoff in einer entspannteren 1:1-Situation anschauen.
Ein weiterer Pluspunkt ist sicherlich auch, dass eine GTS-Mitarbeiterin die dritte Klasse als Helferin am Vormittag unterstützt, bevor sie nach dem Unterricht in die GTS wechselt. «Die Kollegin hat dann gleich einen ganz anderen Bezug zu den Kindern. Das ist für das ganze Team total wertvoll», so Höpfner. Die Schüler:innen aus den Klassen 1 bis 4 der einzügigen Schule sowie Kinder aus der Förderklasse (die gibt es in jedem zweiten Schuljahr) werden in der GTS klassenübergreifend betreut. Ihnen stehen gemeinsame Räume im GTS-Gebäude zur Verfügung, ein Bewegungsraum mit Spielfahrzeugen, Matten und Kästen sowie ein großzügiges Außengelände mit dem charakteristisch sandigen Boden der Flensburger Endmoränen-Landschaft. Dieses und der alte Baumbestand aus Zeiten, als auf dem Gelände noch Schrebergärten betrieben wurden, laden die Kinder ein, Abenteuer zu erleben und Höhlen zu bauen. «Die Schüler:innen nutzen das Gelände gut und die Klassen greifen hier auch richtig toll ineinander. Da spielt der Drittklässler mit dem Erstklässler und es ergänzt sich sehr schön», weiß Lindow zu berichten. Lediglich die erste Klasse hat noch einen ganz eigenen Raum im GTS-Gebäude, in dem sie auch gemeinsam mit ihrer festen Bezugspädagogin und den Schüler:innen der zweiten Klasse das Mittagessen einnimmt. Die Kinder der beiden höheren Klassenstufen, die schon sicher im manchmal trubeligen Schulalltag angekommen sind, gehen derweil in die Mensa. Hier gibt es immer eine laute und schöne Begrüßung mit der Köchin und ihrem Team. «Wenn die GTS-Kinder in die Mensa kommen, ist gute Stimmung», so Lindow.
Soziales Lernen durch Freispiel
Spätestens nach der Vorlesezeit, die sich für die Klassen 1 und 2 ans Mittagessen anschließt, durchmischen sich die Schüler:innen in der GTS. Die älteren Kinder sind dann oft schon draußen, malen oder beschäftigen sich anderweitig in kleineren Gruppen oder auch allein. Das offene Konzept mit viel Raum für freies Spiel wird ergänzt durch einzelne Angebote der Pädagog:innen, wie Filzen oder Holzhütten bauen. Das Freispiel eröffnet den Kindern viele Möglichkeiten, eigenen Interessen nachzugehen und sich in der sozialen Gruppe zu erleben. «Alle Kinder da mitzunehmen, ist aber auch eine Herausforderung», so die Erfahrung der GTS-Pädagogin Höpfner. «Vor allem die Erstklässler:innen kommen aus kleinen Kindergartengruppen, in denen der Alltag sehr geführt ist. Hier in der GTS erleben sie dann eine offene Struktur mit vielen Kindern unterschiedlichen Alters. Das ist bisweilen auch überfordernd.» Die Kunst sei es hier, auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen und Sorge dafür zu tragen, dass keiner untergehe.
Angesichts des zunehmenden Bedarfs an Plätzen für die Nachmittagsbetreuung und einer damit einhergehenden wachsenden Gruppe etablierte das Team daher einen eigenen Raum für die Jüngsten mit einer festen Bezugsperson. Doch auch für die älteren Kinder ist das Freispiel nicht immer leicht zu ertragen. Zu entscheiden, was will ich jetzt mit der freien Zeit anfangen? Mit wem kann ich spielen? Und zu erleben, mal nicht Teil einer Spielgruppe zu sein, ist für sie bisweilen eine herausfordernde und teilweise auch schmerzhafte Erfahrung, die verunsichert. «Diesen freien Moment so zu gestalten, dass er allen Kindern ein Gefühl der Sicherheit vermittelt, ist ein Balanceakt», findet auch Lindow. Nichtsdestotrotz ist das Freispiel in der GTS für Erzieher:innen und Lehrkräfte sehr wichtig, stellt es für die Schüler:innen doch ein Feld des sozialen Übens dar. «Kinder suchen Reibung und lernen in den vielgestaltigen sozialen Begegnungen andere und sich selbst auszuhalten», so Lindow.
Kommunikation für ein gutes Miteinander
Damit das im Hortalltag gut gelingt, ist ein intensiver Austausch zwischen GTS-Erzieher:innen und Lehrkräften hilfreich. Das hat bereits Höpfners Vorgängerin Ilka Brück erkannt, die als Mutter von Schüler:innen und zeitweise auch Mitarbeiterin im Schulbüro innerhalb der Schule viele unterschiedliche Rollen hatte, Türen geöffnet und Brücken geschlagen hat. «GTS und Schule gehören zusammen und müssen daher auch an einem Strang ziehen», so Höpfner. Das war ein längerer Prozess, der bis in die Anfänge der Schule vor 40 Jahren zurückreicht. Damals gab es eine sogenannte Warteklasse, in der zunächst die Kinder der damaligen Lehrer:innen bis zum Unterrichtsschluss betreut wurden. Später kamen auch andere Schüler:innen dazu.
Mit der Einführung der Offenen Ganztagsschule 2006 in Flensburg etablierte sich dann die GTS als eigenständige pädagogische Einrichtung für die Nachmittagsbetreuung. In den folgenden Jahren wuchs deren Bedarf zunehmend und erforderte eine stetige Anpassung der Strukturen, auch im Zusammenspiel zwischen GTS und Schule. Mittlerweile nehmen ein bis zwei Kolleg:innen aus dem GTS-Team an den wöchentlichen Lehrer:innenkonferenzen teil. Höpfner engagiert sich überdies auch zusammen mit Anna Lindow im Vertrauenskreis. «Wir als Hort bringen uns aktiv mit in die Schule ein», so die Hortleiterin. Außerdem werden die Pädagog:innen aus dem Hort auch regelmäßig zu den Kinderkonferenzen in die Schule eingeladen und bringen damit einen weiteren Blick auf die Schüler:innen mit ein. Andersherum kommen die Lehrer:innen bei Bedarf zur zweiwöchentlich stattfindenden GTS-Konferenz und es besteht immer auch die Möglichkeit, im normalen Betrieb Fragen unter vier Augen direkt zu klären «Es ist eine sehr unkomplizierte Art und Weise, wie wir miteinander umgehen», so die Fachlehrerin Lindow. «Und durch die enge Beteiligung der GTS an unseren Konferenzen haben wir uns gegenseitig immer gut im Blick.»
Natürlich gibt es auch in puncto Kommunikation noch Potenzial nach oben, insbesondere wenn es um den Austausch mit den Eltern geht, findet Höpfner. Gerade das Thema Freispiel werfe gelegentlich Fragen auf, die während der Elternabende noch besser beantwortet werden könnten. Insgesamt nehmen die Kinder das Angebot jedoch bereitwillig an und kommen gerne in die GTS. Und zwar nicht nur die Unterstufenschüler:innen. «Auch die höheren Klassen besuchen uns noch sehr gerne», erzählt Höpfner. So kommt es gelegentlich mal vor, dass ältere Schüler:innen sich einen Ball ausleihen oder eine Partie Schach im Pavillon spielen und geschnittene Äpfel dabei essen. «Die schmecken bei uns immer besser», so Höpfner mit einem Zwinkern. Vor allem die Neuntklässler:innen als Paten der ersten Klasse seien häufiger in der GTS anzutreffen, um ihre Schützlinge zu begleiten oder mit ihnen zu spielen. «Unsere Tür ist für alle Schüler:innen offen.»
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