Ausgabe 11/25

Annäherungen und Kontraste

Simone Helmle

Abschiedskreis                              Workshop Fenchelsamenernte         

Erleichterung – der Flug von Stuttgart über Wien nach Kairo ist geschafft! Vor dem Flughafengebäude in Kairo wartet Mohammad. Ein bekanntes Gesicht, denn Mohammad – Deutschlehrer in den Sekem Schulen – war gut zehn Monate zuvor mit sieben seiner ägyptischen Schüler:innen  für zwei Wochen an der Waldorfschule Silberwald in Stuttgart zu Gast. Die entstandene Wärme dieser beiden Wochen ist noch spürbar. Dennoch sind die Beziehungen neu aufzubauen. 

Bis Sekem sind es gut anderthalb Stunden Fahrt mit dem Bus entlang hoher Häuserschluchten, über Sand, vorbei an Buden und kleinen Supermärkten, an Neubausiedlungen und Abbruchhäusern. Der Verkehr ist ein Gewimmel aus Bussen, Autos, Eselkarren und Fußgänger:innen. Angekommen in Sekem, wird es ruhig. Vögel sind zu hören. Ein erstes Gruppenfoto im Sonnenuntergang. Es ist früher Abend und die Menschen, die in Sekem arbeiten, und die Kinder und Jugendlichen, die zur Schule gehen, sind in den umliegenden Ortschaften und Städten zu Hause.

Bereits im Ankommen bemerken die Schüler:innen aus Deutschland, wie schattig und bunt es in Sekem ist. Einfach gehaltene, weißgetünchte Häuser mit farbigen Fensterrahmen. Angelegte Wege, die mit Palmen gesäumt sind, überall kleine bepflanzte Kreisel und Plätze, die ausstrahlen, dass sich hier Menschen treffen.

Ankommen
 

Die Unterkunft liegt in direkter Nachbarschaft zum Hauptgelände. Das hat den Charme, jeden Morgen zusammen mit den anderen Menschen anzukommen. Die Mahlzeiten nehmen wir in der Cafeteria für die Arbeiter:innen ein. Die ägyptischen Schüler:innen werden am Abend dieses ersten Tages erwartet. Mit Staunen nimmt die Gruppe aus Stuttgart wahr, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dafür die Einwilligungen der ägyptischen Eltern zu bekommen. Die Schüler:innen aus Stuttgart erinnern sich, dass ihre Gäste aus Ägypten ein Jahr zuvor ihre erste Auslandsreise gemacht haben und Urlaub, Jugendfreizeiten oder ein Hobby mit Auswärtsübernachtungen hier nicht üblich sind. Mit der gemeinsamen Unterkunft wird die Gruppe zu einer gemischten Jugendgruppe. Den Rahmen setzt der Rhythmus des Schultages. Diese beginnen mit einem  Morgenkreis. Die ägyptischen  Schüler:innen gehen danach wie gewohnt in ihren Klassen. Die Silberwaldschüler:innen nehmen an Workshops der Berufsschule teil. Arbeiten in der Holzwerkstatt, Näherei und Landwirtschaft stehen auf dem Programm. 

Pyramiden, Moscheen, Märkte
 

An zwei freien Tagen geht es in das neue ägyptische Museum und zu den Pyramiden von Gizeh sowie in das altislamische Kairo mit seinen Moscheen und dem Markt. An den Abenden wird gespielt, manchmal getanzt und gesungen. Die Mädchen aus Stuttgart werden an einem Abend zum gemeinsamen Gebet eingeladen. Sie schildern, wie es sich anfühlt, mit Hingabe eingekleidet und an die Hand genommen zu werden. Die Sorge, etwas falsch zu machen, wich schnell.

Intensiv erlebt wurden Besuche bei den Familien der Sekem-Schüler:innen. Ein großes Gewimmel im Schulbus, der sich den Weg durch die engen Straßen bahnt. Wenn sich das Tempo verlangsamt, sieht man Müll an den Straßenrändern und auf Brachflächen. Kinder auf Motorrädern; Kinder, die Ziegen hüten; Kinder, die Ball spielen. Am Abend beschreiben die Schüler:innen die Häuser ihrer Gastgeber und die kargen Küchenverhältnisse. Sie beschreiben das üppige Essen und die Warmherzigkeit der Eltern, Geschwister, Cousinen und Cousins. Sie beschreiben, mit welchem Eifer die Partnerschüler:innen aus dem Englischen ins Arabische übersetzt haben und alles andere mit Händen und Füßen ging. Sie beschreiben, wie es sich für sie anfühlt, fremd zu sein und anders auszusehen.

Auch für die ägyptischen Schüler:innen, die für unsere Begegnung von Zuhause weg sind,  ist es eine neue Erfahrung. Sie spüren gleichzeitig Heimweh und sind doch ganz im Glück. An dem Tag sind alle gewachsen. Der 18-jährige Raven hat  es so beschrieben: «Mein Intellekt hat mir nicht mehr geholfen. Mein Herz hat sich geöffnet und da war so viel Liebe, ich bin herzerwärmt, das hätte ich nicht für möglich gehalten.»

Für die beiden Ausflugstage hatten wir den gleichen Reiseführer namens Achmed. Dazwischen all die gemeinsamen Abende, die Tage in der Schule und den Werkstätten und der Familienbesuch. Auf die Frage nach einem Wort, mit dem er sich an die Gruppe erinnern wird, sagt Achmed, ohne zu zögern: «Respekt!» Er lächelt und fügt hinzu: «Ich erlebe hier Jugendliche, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Sie zeigen solchen Respekt vor dem so andersartigen Leben. Hier beginnt Frieden.»

Unsere Reise war nur möglich, weil uns das Land Baden-Württemberg und die Sekem-Stiftung mit Sitz in Stuttgart finanziell und organisatorisch unterstützt haben. Dafür sind wir sehr dankbar. 

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