Jan Sauerwald ist ehemaliger Waldorfschüler, Vater zweier Waldorfschüler im Alter von acht und zwölf Jahren und Geschäftsführer sowie Programmleiter der Grimmwelt Kassel. Vor zwei Jahren zog der Kurator und Kulturmanager mit seiner Familie ins nordhessische Kassel und leitet seitdem eines der wichtigen Ausstellungshäuser der Stadt. Zu den Aufgaben der Stelle als Geschäftsführer gehören die Finanzen, Fundraising und Förderanträge sowie Abstimmung mit Gesellschaftern des Hauses. Weiterhin erarbeitet er den inhaltlichen Rahmen in allen Ausstellungsbereichen, lädt Kurator:innen ein, plant Wechselausstellungen sowie die inhaltliche Ausrichtung des Hauses und der Dauerausstellung. Die zeigt das Leben und Wirken der berühmten Sprachwissenschaftler und Märchensammler Jacob und Wilhelm Grimm. Unterstützt wird Jan Sauerwald dabei von einem zehnköpfigen Team, mit dem er die nunmehr seit zehn Jahre bestehende Grimmwelt zu einem Erlebnisraum für Jung und Alt macht.
Ganz zufällig ist diese Aufgabe sicher nicht an den 50-Jährigen gelangt. Zuvor war er viele Jahre im Berliner Kunst- und Kulturbetrieb tätig, unter anderem als Studioleiter des skandinavischen Künstlerduos Elmgreen & Dragset, als Leiter des künstlerischen Büros der KW Institute for Contemporary Art und zuletzt als Direktor des Urban Nation Museum for Urban and Contemporary Art. Seine intensive Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst sowie Kunst im öffentlichen Raum und einer zeitgenössischen Ausstellungspraxis haben ihn letztlich in die Grimmwelt geführt. Das ist zumindest der eine Erzählstrang. Der andere gründet in seiner Begeisterung für Sprache, Literatur und Geschichte, die bis in seine Schulzeit zurückreicht.
Welterfahrung im praktischen Sinne
Drei Waldorfschulen hat Jan Sauerwald im Laufe seine Kindheit und Jugend besucht. Geboren 1973 im nordrhein-westfälischen Warstein wurde er zunächst in der Hiberniaschule im heutigen Herne – damals noch die kreisfreie Stadt Wanne Eickel – eingeschult. Das Verhältnis zur Schule war ein Enges, nicht nur, weil seine Mutter hier auch als Lehrerin arbeitete, sondern vor allem, weil die Familie – wie auch andere Familien von Lehrkräften – in einem Wohnhaus direkt auf dem Schulgelände wohnte. Sauerwald beschreibt das riesige Gelände als Abenteuerspielplatz und grüne Oase inmitten der industriellen Stadt des damals noch wenig ansehnlichen Ruhrpotts.
Mit Zwischenstopp an der Freien Waldorfschule Heilbronn landete der gebürtige Westfale dann schließlich an der Waldorfschule Schwäbisch Hall im nördlichen Baden-Württemberg. Hier verbrachte er den längsten Teil seiner Schulzeit. Insbesondere in der Oberstufe nahmen ihn die Fächer Deutsch und Geschichte sehr ein, was vor allem auch an den Lehrpersonen lag. «Der geschichtliche Raum, der bei uns in der Oberstufe hinsichtlich Informationen und Herangehensweisen aufgemacht wurde, stand in einem radikalen Unterschied zu dem, was meine Freunde vom Gymnasium mitbrachten», erzählt er. Das hat ihn geprägt. Auch die künstlerisch-handwerklichen Unterrichtsinhalte sind ihm noch lebendig vor Augen: «Ich habe in meiner Schulzeit gelernt, wie man selber ein Hemd näht und einen Hocker baut. Diese Erfahrungen möchte ich auf gar keinen Fall missen.»
Dieser große Raum für Welterfahrung im ganz praktischen Sinne begeistert Sauerwald noch heute für die Waldorfpädagogik. «In meiner Karriere bin ich jetzt zwar eher im inhaltlich theoretischen Bereich gelandet, aber das wundert auch nicht, denn die Sprache und Literatur sowie historische Themen haben mich auch schon in der Schule eingefangen.» Nachdem er als einer der ersten Waldorfschüler in Baden-Württemberg das Fachabitur gemacht hatte, absolvierte er zunächst eine Ausbildung zum Buchhandelskaufmann. An der FH Potsdam studierte er dann Arts management & cultural work und schlägt mit seinem Engagement in der Kasseler Grimmwelt nun einen Bogen zwischen dem einen und anderen.
Raum schaffen für Erlebnisse
«Mir gefällt an meinem Job besonders, dass die Grimmwelt kein klassisches Museum ist, sondern eine Bildungseinrichtung sowie ein Erlebnis- und Vermittlungsort», sagt er. Das wird vor allem deutlich an der aktuellen Sonderausstellung, die noch bis zum 13. Oktober zu sehen ist. Im Imaginarium lädt eine märchenhafte und geheimnisvolle Großrauminstallation die Besucher:innen dazu ein, in die Welt des tschechischen Marionettentheaters einzutauchen. Ausgestellt wird ein außergewöhnlicher Fundus aus dem Puppen- und Wandertheater der Brüder Forman sowie befreundeter Künstler:innen aus der Tschechischen Republik und Deutschland. Interaktive Exponate aus Holz und mit mechanischen Elementen ermöglichen eine haptisch-sinnliche Begegnung. Kunstvoll handgefertigte Marionetten dürfen ausprobiert und vor der eindrucksvollen und fantastischen Kulisse zum Leben erweckt werden. Digitale Elemente gibt es hier keine, dafür umso mehr echten Kontakt. Es darf angefasst, ausprobiert und gespielt werden. «Als wir die Türen zum Imaginarium geöffnet haben, sind wir kaum damit hinterherkommen, die Marionettenfiguren wieder zu entzerren und die Spielstationen aufzuräumen», erzählt Sauerwald über den großen Erfolg der Ausstellung. «Wir müssen die Exponate jeden Tag vor Öffnung der Ausstellung sortieren, reinigen und wieder an ihre Orte bringen, denn alles wird wie verrückt genutzt.»
Auch in der Dauerausstellung der Grimmwelt gibt es für Kinder und Erwachsene viele Möglichkeiten, die Inhalte lebendig zu erfahren. Das Erleben drückt sich für den zweifachen Vater aber nicht nur im Äußeren aus. «Als Leiter eines Ausstellungshauses zum Thema Märchen begeistert mich auch, dass diese einen fantastischen Übungsraum eröffnen, in dem wir selbst wachsen können», erklärt er. «Denn der Großteil der Märchen sind Selbstermächtigungserzählungen: Die Hauptfiguren erleben oftmals fürchterliches, aber sie trauen sich was, sie sind mutig und am Ende wird alles gut.»
«Eine fantastische Aufgabe»
Für Sauerwald ist insbesondere die Sonderausstellung Imaginarium ein gelungenes Beispiel für das Museum der Zukunft, das er vornehmlich als einen Ort des Anfassens und Ausprobierens begreift. «Wir erleben immer wieder, dass die Besucher:innen eine starke Sehnsucht nach einer praktischen Nutzung von Ausstellungsexponaten haben», erzählt er. Seine Vision ist es, das Museum zu einem dritten Ort zu machen, also einem Begegnungs- und Erfahrungsraum, der allen offensteht. «So ein Haus zu leiten ist natürlich eine fantastische Aufgabe», findet er. «Es gibt viele Möglichkeiten, es zu einem Ort für die gesamte Gesellschaft zu machen und damit die Sprache und Literatur sowie das Leben und Arbeiten der Brüder Grimm für alle Bevölkerungsschichten zu erschließen und erfahrbar zu machen.»
Die Ausstellung: Imaginarium – Das Theater der Brüder Forman und ihrer Freunde wird bis einschließlich 13. Oktober in der Grimmwelt Kassel zu sehen sein.»
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