Ausgabe 11/24

Betrachten Anthroposoph:innen Krankheit als Schicksal?

Wolfgang Müller

In bestimmten Bereichen ist das ja auch heute selbstverständlich. Wenn ich im Alter Lungenprobleme bekomme und einst ein starker Raucher war, dann spricht manches dafür, da einen Zusammenhang zu sehen. Die Anthroposophie dehnt diesen Gedanken nur um die Kleinigkeit aus, dabei nicht nur im Rahmen eines Lebens zu denken, sondern auch Wirkungen aus früheren Leben in Betracht zu ziehen. Steiner sagt tatsächlich, dass sich ein Verhalten oder eine Verirrung in einem früheren Leben in einem späteren quasi körperlich ausprägen könne. Eigentlich so, wie auch beim Raucher ein Verhalten eine körperliche Konsequenz haben kann.

Was aber beim Raucher allgemein als logisch gilt, wird der Anthroposophie von ihren Kritiker:innen als fatalistischer Unsinn ausgelegt. Einer ihrer Lieblingsvorwürfe lautet ja, Anthroposoph:innen sähen überall nur Karma am Werk und fänden Krankheiten deshalb nicht weiter schlimm, weil sie ja die gerechte Strafe für frühere Sünden seien. Das ist nun eine primitive Verzerrung des Karma-Gedankens. Nirgends spricht Steiner im Zusammenhang mit Karma von Strafe. Im Übrigen bliebe dann auch ganz unbegreiflich, warum es überhaupt eine anthroposophische Medizin gibt! Diese setzt in Wirklichkeit alles daran, Leiden zu heilen oder wenigstens zu lindern.

Ohnehin haben alle anthroposophischen Ärzt:innen auch die übliche medizinische Ausbildung durchlaufen. Sie kaprizieren sich keineswegs allein auf Alternatives; schon Steiner konstatierte, die moderne Medizin habe «ungeheuer viel getan für die Verbesserung der Gesundheitsverhältnisse». Nur versucht die Anthroposophie, gegenüber der stark somatisch orientierten heutigen Medizin größere Horizonte ins Auge zu fassen und die körperliche Ebene in einem umfassenderen Kontext zu sehen. Was überaus wohltuend auf die moderne Kultur ausstrahlen könnte. Denn deren Fixierung auf die physische Ebene ist letztlich ein reines Angst-Programm: Als körperliche Wesen werden wir immer verlieren, wir sind die Sterblichen, wie es die alten Griechen so schön kurz und ungeschminkt sagten. Erst in einem größeren Bild kann der Mensch Frieden und Gelassenheit finden.

 

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