Bienen an der Freien Waldorfschule Erfurt

Ulrike Baur, Rüdiger Maron

Bienen fühlen sich nicht überall gleich wohl. Auf Wasser­adern gefällt es ihnen besonders, wie mir ein alter Imker einmal berichtete. So suchten wir also mit einer Wünschelrute nach einem geeigneten Platz auf unserem Schulgelände. Und fanden diesen auch. Mit Respekt und aus einiger Distanz beobachteten die Kinder, wie die Bienen ihren neuen Standort erkundeten. Alle trugen Schutzanzüge. Doch nachdem sie sahen, dass die Bienen weder aufflogen noch Interesse zeigten, zu stechen, wurden sie mutiger und berührten die Bienen sogar. Die Kinder staunten sehr, dass sie sich so weich anfühlten. Danach kamen immer mehr Schülerinnen und Schüler ohne Imkeranzüge zu den Bienen. Obwohl die Beuten am Rande des Schulhofes standen, wo die Kinder spielten, rannten und tobten, wurde kein Kind gestochen.

Im Frühjahr, nach der Überwinterung der Bienen, wurden die Beuten zum ersten Mal wieder zur Kontrolle geöffnet. Die Kinder waren wieder mit Begeisterung dabei. Zur Stachelbeerblüte wurden die Honigräume aufgesetzt. Obwohl die Vermehrung der Bienenvölker über die sogenannte Schwarmvorwegnahme stattfand, gab es Ende Mai dennoch einen Schwarm.

Einige Schülerinnen und Schüler kamen ganz aufgeregt zu mir: »Herr Maron, da sind ganz viele Bienen draußen, alles summt und schwirrt herum!« Wie ein Lauffeuer ging es durch die Schule, die zu diesem Zeitpunkt aus sechs Klassen bestand, und alle standen staunend vor dem Baum, in dem sich die Bienen niederließen. Da der Schwarm ungefähr acht Meter hoch im Baum hing, konnte er nicht eingefangen werden. Unter den Kindern entstand eine große Traurigkeit. Bis heute gibt es immer wieder Schwärme, die stets mit Staunen bewundert und wieder, wenn möglich, eingefangen werden.

Arbeiten mit den Bienen und Verantwortung tragen

Aufgrund des anhaltend großen Interesses an den Bienen bildete sich eine Bienen-AG. Diese bestand zunächst aus sieben bis zehn Kindern, von der zweiten bis zur sechsten Klasse. Die Bienen-AG verrichtet sämtliche Arbeiten. Dazu gehören das Einlöten der Mittelwände, die Reparaturen an den Beuten und das Anstreichen der neugebauten Beuten mit Ökofarbe. Weitere Aufgaben sind die Schwarmkontrolle, die Honigernte und das Verpacken des Honigs. Auf Schulfesten wird der Honig auch von den Kindern verkauft.

Die Bienen-AG übernahm eine Patenschaft für die Freie Waldorfschule Harzvorland. Mit sechs Schülern und zwei Bienenvölkern machten wir uns Mitte Mai auf die Fahrt in das rund 140 Kilometer entfernte Thale im Harz. Fürsorglich gestalteten die Schülerinnen und Schüler ein Plakat, um andere Autofahrer darauf aufmerksam zu machen, dass wir Bienen transportierten. In Thale wurden wir mit großer Freude empfangen. Unsere Schülerinnen und Schüler wurden mit Fragen überhäuft. Wir bereiteten gemeinsam mit einem Elternteil der Thaler Waldorfschule den Stand für die Bienen vor. Dann kamen der Gartenbaulehrer und die Schülerinnen und Schüler zum Garten. Die Kinder der Bienen-AG waren ruhig, die anderen Schülerinnen und Schüler hingegen sehr aufgeregt und neugierig, was jetzt wohl passieren würde. Die Beuten wurden auf Karren aufgeladen und zu ihrem neuen Platz gebracht. Da es an diesem Tag sehr heiß war, öffneten wir das Flugloch rasch. Die Bienen flogen sich ein und interessierten sich für ihre neue Umgebung. Staunend standen die Kinder da und vergaßen dabei, dass sie sich mitten unter den herumschwirrenden Bienen befanden. Es wurde auch niemand gestochen.

Heute sind in der Bienen-AG 18 bis 21 Kinder, meist Schülerinnen und Schüler der Unterstufe. Zu den bereits genannten Arbeiten kommt noch das Säen von Phacelia, Klee, Düngersenf und Waid hinzu. Gepflanzt werden Stauden wie Storchenschnabel, Phlox, Eibisch und Erdbeeren, und als erste Nahrungslieferanten für die Bienen im Frühjahr werden Krokusse, Schneeglöckchen, Traubenhyazinthen und Winterlinge im Herbst von den Kindern gesetzt. Ebenso bauen wir Drahtkäfige, die im Winter über die Beuten gestülpt werden, um den Specht von seiner »Arbeit« (Futtersuche in den Beuten) abzuhalten.

Wenn Kinder in unserer Schule »verklammte« Bienen – durch Kälte flugunfähige Tiere – finden, nehmen sie diese in die Hand, wärmen sie auf und lassen sie wieder fliegen. Die Kinder lernen Kreisläufe in der Natur kennen und entwickeln ein Verständnis für die Entstehung der Biene vom Ei über die Larve zum ausgewachsenen Insekt und die Wichtigkeit der Biene bei der Bestäubung unserer Kulturpflanzen. Einen besonderen Zugang bekam ich über die Bienen zu den Kindern, was allein schon ein Grund ist, Bienen an allen Schulen zu halten.

Rüdiger Maron

Eine Bienenepoche in der 2. Klasse

Es war im schönen Monat Mai, als sich die 2. Klasse der Freien Waldorfschule Erfurt auf den Weg machte, um das Wesen der Honigbiene zu erkunden. Hierzu nahmen wir uns eine vierwöchige Epoche Zeit, wobei sich das Schreiben von Texten und erste naturkundliche Erfahrungen mit Ausflügen in den Schulgarten abwechseln sollten.

Die erste Bekanntschaft mit der Honigbiene machten die Kinder durch die Geschichten des Erzählteiles. Die Geschichten waren aus drei Büchern (Jakob Streit: »Kleine Biene Sonnenstrahl«, »Das Bienenbuch«, Elisabeth Klein: »Das Bienchen Sirr«) zusammengewoben, die allesamt mit viel Liebe und auf eine zum Alter der Kinder passende Weise vom Leben aus dem Bienenstock erzählen. So hörten wir vom Eierlegen der Königin, der Geburt der Biene Sonnenstrahl und der Strenge der Wächterbienen. Die Kinder begleiteten die kleine Biene beim Heranwachsen im Stock, wo sie die verschiedenen Bienenberufe erlernte, bis hin zum ersten Blick in die Welt.

Als Sammelbiene erlebte die kleine Biene einige Abenteuer und begegnete anderen Lebewesen, nicht zuletzt dem Menschen. Zugleich erklangen jeden Morgen im Rhythmischen Teil Zeilen aus dem Gedicht »Schnurrdiburr oder Die Bienen« von Wilhelm Busch:

Sei mir gegrüßt, du lieber Mai,
mit Laub und Blüten mancherlei!
Seid mir gegrüßt ihr lieben Bienen,
vom Morgensonnenstrahl beschienen!
Wie fliegt ihr munter ein und aus
in Imker Dralles Bienenhaus
und seid zu dieser Morgenzeit
so früh schon voller Tätigkeit.

...

Den Hauptteil der Epoche bildete das Erstellen eines Bienenheftes (Bild 1), in dem die zu Beginn des 2. Schuljahres eingeführten kleinen Druckbuchstaben noch einmal geübt wurden. Die Kinder schrieben in ihr Heft das Gedicht von Wilhelm Busch und Gedichte und Lieder aus dem Buch von Elisabeth Klein, wie das Baumeisterlied und das Lied vom Glockenblümchen. Diese Texte wurden mit viel Freude und kleinen sowie großen Bildern illustriert.

Die Königsseite (Mittelseite) im Heft wurde mit der Abfolge der Bienenberufe in Form einer Schnecke gestaltet (Bild 2). Die Zahlen in der Schnecke stehen hier für die Lebenstage der Arbeiterbiene. Mit Farben und einer passenden Legende wurden die im Lebenslauf wechselnden Berufe markiert. In dieser Unterrichtsstunde fassten wir noch einmal die zuvor gehörten Geschichten über die Biene Sonnenstrahl zusammen, die in ihrem Leben die verschiedenen Tätigkeiten erlernt hatte. Einige Kinder nutzten dann noch ihre freie Zeit, um zu jedem Bienenberuf einen eigenen Satz zu formulieren.

Jedes Kind schrieb am letzten Tag der Epoche einen selbst formulierten Text, der mit »Ich mag die Bienen, weil ...« beginnen sollte. Hier kam eine Vielfalt schöner Sätze zusammen, an denen die Klasse große Freude hatte (Bild 3).

Dem Beruf des Baumeisters mit der faszinierend exakten Wabenform widmeten wir ein wenig mehr Zeit. In einer ersten Stunde dazu hatten sich die Kinder viele verschiedene Möglichkeiten der »Parkettierung«, des lückenlosen Ausfüllens einer Fläche mit gleichgeformten Elementen auf kleinen Tafeln ausgedacht. Dann nahmen wir Gläser zur Hilfe und füllten die Tafeln mit sich berührenden Kreisen. An den Berührungspunkten wurden dann Linien (Tangenten) gezogen, so dass die sechseckige Wabenstruktur sichtbar wurde. Nachdem wir dies auf den Tafeln geübt hatten, wurden die Waben in die Hefte gezeichnet und zum Teil mit kleinen Bildern ausgefüllt (Bild 4).

Unser Gartenbaulehrer brachte uns Bienenwachsplatten mit, die sonst als Mittelwände in den Rähmchen den Bienen eine Orientierung zum Wabenbau geben. Mit Hilfe der Platten pausten sich die Kinder Wabenmuster in Originalgröße in ihre Hefte (Bild 3). Anschließend durfte sich jedes Kind eine Bienenwachs-Kerze aus einer Platte drehen und mit nach Hause nehmen.

Eine weitere Übstunde verbrachten wir mit dem Basteln von Summbienen, die beim anschließenden Klassenspiel noch Verwendung fanden. Diese Bienen, bestehend aus Papier, Holzeisstielen und Korkenteilen als Abstandshalter für den Gummi aus Luftballonstreifen, summen wie ein Bienenschwarm, wenn sie durch die Luft kreisen. In dieser Stunde war ein Teil der Kinder mit dem Lösen eines Geruchsrätsels beschäftigt. In kleinen Dosen waren verschiedene Kräuter, Gewürze sowie Propolis versteckt und sollten über ihren Geruch erkannt werden.

Sicherlich den Höhepunkt der Bienenepoche bildeten dann unsere Besuche im Schulgarten. Unter sachkundiger und einfühlsamer Führung näherten sich die Kinder den Beuten. Sie beobachteten die Bienen beim Ein- und Ausfliegen, schauten auf die Flugrichtungen und auf die dort blühenden Pflanzen. Dann wurden die Beuten geöffnet und die Rähmchen entnommen. Die Kinder konnten erkennen, in welchen Waben bereits Eier gelegt waren und wo der Honig lagerte. Wir konnten Drohnen und Arbeiterbienen unterscheiden und waren ergriffen, als wir auf einem Rähmchen sogar die Bienenkönigin entdeckten.

Unser Gartenbaulehrer kam dann am letzten Tag der Epoche zu einem ausgedehnten Frühstück zu Besuch und erfreute die Kinder mit seinem Gastgeschenk, zwei Gläsern mit Schulbienenhonig. »Das ist der beste Honig, den wir je gegessen haben!«, war die einstimmige Meinung im Klassenraum.

Ulrike Baur

Zu den Autoren: Ulrike Baur ist Klassenlehrerin und Rüdiger Maron Gartenbaulehrer an der Freien Waldorfschule in Erfurt.

Literatur: »Honigbienen«, zu beziehen über: Thomas Marti & Britta Lichtenberg, Moschlauer Kamp 26, 22159 Hamburg, E-Mail: thoma49@gmail.com