Ausgabe 06/24

Bildung am ganzen Tag

Angelika Lonnemann

Im Dezember 2021 hat der Bundestag das neue Ganztagsförderungsgesetz beschlossen. Es sagt aus, dass in Deutschland ab August 2026 zunächst alle Kinder der ersten Klassenstufe einen Anspruch darauf haben, ganztägig gefördert zu werden. Der Anspruch soll in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet werden, damit ab August 2029 jedes Grundschulkind der Klassenstufen eins bis vier einen Anspruch auf ganztägige Betreuung hat. Der Rechtsanspruch wird im Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII) geregelt und sieht einen Betreuungsumfang von acht Stunden an allen fünf Werktagen vor. Der Rechtsanspruch soll auch in den Ferien gelten, lediglich vier Wochen im Jahr muss es keine Betreuung geben. Eine Pflicht für Eltern, das Angebot für ihre Kinder in Anspruch zu nehmen, gibt es nicht. Organisieren müssen das offiziell «Ergänzende Förderung und Betreuung» (eFöB) genannte Projekt die Kommunen, die sich jedoch an ihr jeweiliges Schulgesetz in ihrem Bundesland halten müssen. Der Bund gibt dafür rund 3,6 Milliarden Euro, wie die Länder dies jedoch weiter nach unten verteilen, ist noch offen.

Aktuell bieten bereits rund 80 Prozent der Waldorfschulen in Deutschland eine nicht-schulische Betreuung an, je nach Bundesland nennt sich das Kernzeit, Hort oder offene, teilgebundene oder gebundene Ganztagsschule (GTS). Je nach Bundesland arbeiten dort entweder ausschließlich Fachkräfte oder auch pädagogische Laien.

Weiterbildung startet im September
 

Damit alle Waldorfschulen dieses Angebot machen können und es eben auch wie vorgesehen täglich acht Stunden und in einem großen Teil der Ferien bieten können, startet die Weiterbildung im September an fünf Standorten: in München, Stuttgart, Dortmund, Hamburg und Berlin wird dies an den jeweiligen Seminaren für Waldorfpädagogik angeboten. Dozierende, die sonst grundständig Waldorferzieher:innen ausbilden, führen die Weiterbildung durch. Eine Besonderheit ist der Campus Mitte Ost in Leipzig, dort wird schon seit 2020 eine Hortner:innen-Ausbildung angeboten.

Das neue Angebot richtet sich an Menschen, die jetzt schon in Waldorfschulen arbeiten oder die bereits staatlich geprüfte Erzieher:innen sind, aber noch keine waldorfpädagogische Ausbildung haben. Es läuft über einen Zeitraum von zwei Jahren und beinhaltet 400 Unterrichtsstunden, inklusive einer Praktikumsphase. Nach erfolgreicher Lehrprobe erhalten die Absolvent:innen ein Zertifikat.

«Unser Projekt trägt den Namen Bildung am ganzen Tag und nicht Bildung am Vormittag, Betreuung am Nachmittag», sagt Claudia Leuze. Sie ist Ausbildungsrätin in Vertretung für den Bund der Freien Waldorfschulen und hat das Konzept für die «Weiterbildung für waldorfpädagogische Grundlagen« gemeinsam mit Sabine Cebulla-Holzki, Geschäftsführerin der Vereinigung der Waldorfkindergärten e.V., und Thorsten Schweizer, Dozent an der Akademie für Waldorfpädagogik Mannheim, ausgearbeitet.

Nur gemeinsam ist Bildung am ganzen Tag möglich


Den Initiator:innen ist es wichtig, dass Lehrkräfte, Erzieher:innen und andere Pädagog:innen vor Ort an den Schulen in einen Dialog auf Augenhöhe gehen, um das richtige Konzept für die Ganztagsbetreuung an der jeweiligen Schule zu entwickeln. «In diese Planungsteams kann man auch Eltern und Schüler:innen einladen und deren Bedürfnisse können in den Prozess miteinbezogen werden«, betont Deodat von Eickstedt. Er arbeitet für das politische Netzwerken des BdFWS und ist der Spezialist für die rechtlichen Hintergründe des Bundesgesetzes.

Waldorfschulen seien als Ersatzschulen nicht verpflichtet, das Gesetz umzusetzen, sie würden sich aber eventuell Nachteile einhandeln, wenn sie keine vergleichbaren Leistungen anböten, wie die benachbarten staatlichen Schulen, so Eickstedt.

«Wir verstehen diese Entwicklung als eine sehr große Chance, Waldorfpädagogik neu zu denken. Wenn wir uns aus dem Korsett von Einheiten von 45 Minuten für eine Schulstunde befreien und Bildung über den ganzen Tag verteilen könnten, dann ließen sich ganz neue Visionen von Waldorfschule entwickeln», sagt Leuze. Damit lasse sich im wörtlichen wie im übertragenen Sinne «mehr Atem» in den Schultag bringen.

«Mit der Zusammenarbeit von Lehrkräften und Sozialpädagog:innen oder Erzieher:innen lässt sich unserer Meinung nach die Qualität von Waldorfpädagogik an den Schulen erheblich verbessern», ergänzt Eickstedt. Diese multiprofessionellen Teams sollen die sinnvolle Tagesgestaltung der Kinder neu konzipieren. Rechtlich verantwortlich sind jedoch nicht die Kollegien von Schulen und Kindergärten, sondern die Träger. Sie könnten möglichen Interessierten die Weiterbildung empfehlen.

«Wir planen, die Ausbildung so auszurichten, dass die Waldorfschulen anders als die staatlichen Schulen bereits im September 2026 für alle vier Grundschulklassen die Bildung am ganzen Tag anbieten könnten», so Claudia Leuze. Und falls eine erheblich größere Nachfrage an Weiterbildungsplätzen besteht, ließen sich auch noch weitere Standorte dafür finden.

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