Ausgabe 06/24

Bothmer Gymnastik: Geist und Physis im Gespräch

Diana Stegmann

1922 begann der ehemalige Offizier Fritz Graf von Bothmer als Lehrer an der ersten Waldorfschule in Stuttgart zu arbeiten. Er entwickelte die neu zu gestaltenden Inhalte des Waldorf-Sportunterrichts. Dieser sollte nicht nur der körperlichen Ertüchtigung dienen, sondern sich an der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen ausrichten und sich in einen gemeinsamen, fächerübergreifenden Lehrplan einfügen. Steiner meinte: «Bei der Eurythmie würde es sich darum handeln, dass man eine Art findet, künstlerisch auszudrücken die seelische Dynamik; beim Turnen, dass man den Menschen mit Bezug auf seine Gleichgewichts- und Bewegungsverhältnisse in Beziehung zur Welt darstellt.»

Bei den Übungen, die von Bothmer in den folgenden Jahren entwickelte, erhielt er immer wieder Hinweise von Rudolf Steiner. Dieser beobachte die Entwicklung wohlwollend. Es waren Jahre der Entwicklung und die Erstlehrer:innen hatten große Freiheiten im Forschen und gemeinsamen Arbeiten. Mit seinem Kollegen Hans Strauß, der ebenso Turnlehrer in Stuttgart war, entwickelte von Bothmer bis 1926 insgesamt 27 Übungen. Als Rudolf Steiner 1925 starb, war die Gymnastik in ihrem Wesen gefestigt und entwickelt, aber noch nicht abschließend ausgearbeitet. Von Bothmer begann ab 1925 Kurse zu geben, den ersten für Schauspieler:innen aus Dornach, die von seiner Bewegungsform gehört hatten. Seine Gymnastik wurde bei den sogenannten Erziehungstagungen der Waldorfschule gezeigt und erste Kurse, unter anderem mit Ärzt:innen, fanden statt. Bis 1938 wurden die nun nach Bothmer benannten Übungen im In- und Ausland gezeigt. Dann erfolgte durch die Schließung der Waldorfschulen und das Verbot durch die Nazis ein abruptes Ende in der Öffentlichkeit. Im privaten Rahmen forschte von Bothmer weiter und begann, Menschen in dieser Gymnastik in Deutschland und England auszubilden. Am 13. November 1941 starb von Bothmer in Salzburg.

Es dauerte dann einige Jahre, bis mit der Gymnastik vertraute Menschen wie Gretl Krause begannen, Kurse zu geben und eine Ausbildung zu organisieren. Aus dem Bedürfnis, die entwickelte Gymnastik zu erhalten und zu bewahren, entstand der Wunsch, eine Schule zu gründen und eine umfassende Ausbildung zu ermöglichen. Seit 1977 entstanden Bothmer-Gymnastik-Ausbildungen, die sich zu einer mehrjährigen Ausbildung entwickelten und es gelang 1982 die Gründung der ersten Graf Bothmer Schule in Stuttgart. Nach zwanzig Jahren musste die Schule 1999 aus finanziellen Gründen schließen.

Eine Weiterführung der Ausbildung fand dann zum Beispiel am Seminar für Waldorfpädagogik an der Freien Hochschule in Stuttgart statt. Viele Menschen, die die Gymnastik erlernten, nahmen diese in ihre Arbeit im In- und Ausland mit auf und es entstanden verschiedene Strömungen innerhalb der Gymnastik, die sich durch ganz Europa, ja sogar über die Welt verzweigten. Im Jahre 2000 wurde dann hierzulande der Berufsverband für Bothmer Gymnastik gegründet. 2003 wurde die zukünftige Ausbildungsstruktur der Bothmer-Movement-International (BMI) konkretisiert und 2005 begann die vierjährige berufsbegleitende Ausbildung in Deutschland sowie in verschiedenen Ländern Europas.

Bis heute finden Ausbildungen in der Bothmer Gymnastik in Deutschland, Ungarn, Russland, Rumänien, Slowenien, England, Frankreich, Dänemark, Spanien, den Niederlanden und der Schweiz statt. Die jüngsten Kurse entstanden in Lettland, Tschechien, Thailand und in Polen. Die intensive Arbeit mit der Gymnastik hat eine weitere Entwicklung als Therapieform, die Bothmer Therapie, hervorgebracht.

Verändert haben sich im Laufe der Jahre die Menschen, die die Bothmer Gymnastik in Seminaren oder in Ausbildungen erlernten. Früher waren es zum einen hauptsächlich Sportlehrer:innen, die im Turnunterricht die Gymnastikübungen mit den Kindern und Jugendlichen erarbeiteten, und zum anderen eine kleine Anzahl von Therapeut:innen, die ergänzend zu ihrer Arbeit in der rhythmischen Massage, der Osteopathie oder der Physiotherapie ihr Fachgebiet mit der Bothmer Gymnastik erweiterten.

In den letzten Jahren ist diese Gymnastikform neben dem Sportunterricht an den Waldorfschulen auch zu einer Bewegungsschulung für viele Menschen in unterschiedlichen Berufen geworden, die eine Balance im Alltag suchten. Durch die Bothmer Gymnastik findet ein deutlich erlebbares Zusammenspiel zwischen Körper, Seele und Geist statt und in der Gymnastik erleben wir unseren Körper in der Bewegung, immer im Hinblick auf unsere Aufrichtekraft, die uns als Menschen ausmacht. Verschiedene Raumqualitäten werden als Teil des eigenen Wesens erfahren und die Verhältnisse von Innen und Außen, Leichte und Schwere oder Vorne und Hinten neu ausgelotet und damit festgefahrene Lebensmuster und Gewohnheiten bewusst neu geordnet. Eine Balance wird hergestellt in den Richtungen des Raumes, im Inneren unseres Körpers, in unserem Denken, Fühlen und Wollen.

Im September 2025 beginnt an der Hofschule Wendisch Evern nahe Lüneburg eine neue Ausbildung in der Bothmer Gymnastik. An acht Wochenenden und in zwei Intensivwochen wird das Grundjahr der vierjährigen Ausbildung angelegt.

Informationstag: 1. Februar 2025

Kontakt: diana.stegmann@posteo.de, 05861 98 62 339, www.bothmer-movement.de

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