Das Verhältnis von Mensch und Biene spiegelt sich in der europäischen Kunst seit der Antike: in Legenden, in Form von Schmuck, Gemälden oder Skulpturen huldigen Künstler:innen jenen kleinen Wesen, die weniger als ein Gramm wiegen und als Schwarm so intelligent sind, dass wir ins Staunen geraten.
An vielen Waldorfschulen werden Bienen gehalten. Dort können auch heute Kinder und Jugendliche staunen: über das ständige Anlanden der kleinen brummenden Insekten, die mit ihren gelben Pollenbeinchen vom Nektarsammeln zurück in den Bienenstock fliegen. Dass sich Bienen bei Regen unter Blättern verstecken. Wie sie tänzelnd fliegen, um ihren Kolleginnen Wege zu blühenden Bäumen aufzuzeigen.
Summende Schulimkerei
Dominik Moritz ist 30 Jahre alt und seit zweieinhalb Jahren Lehrer an der Rudolf Steiner Schule Hagen. Als er in seinem Vorstellungsgespräch erwähnte, dass er nicht nur Waldorflehrer, Heilpädagoge, Fachlehrer für Handwerk und Bildende Kunst, sondern auch Imker sei, war das Mitarbeiter:innengremium begeistert. Denn die Schulimkerei war verwaist, nachdem vor einigen Jahren der Bienenstand der Schule von Vandalen verwüstet worden war. Moritz bekam die Stelle, ist aktuell Klassenlehrer einer vierten Klasse und baut die Schulimkerei wieder auf. Derzeit summen und brummen rund 15.000 Bienen jeweils in den drei Stöcken. Langfristiges Ziel ist eine Bienen-AG, in der Schüler:innen aus Klassen 6 und 7 an alle Arbeiten des Imkerns herangeführt werden – auch das sanfte ruhige Arbeiten an den Waben nach dem Räuchern, wenn die Bienen betäubt sind.
An der Hagener Schule arbeitet das Kollegium mit dem Buch Bienen in der Waldorfpädagogik, herausgegeben von Alexander Hassenstein. Darin finden sich auf über 200 Seiten viele Tipps, wie das Wissen von den Bienen von Klasse 1 bis 12 in verschiedenen Fächern weitergegeben werden kann. In der Unterstufe können Schüler:innen Honig schleudern, die Legende des Heiligen Ambrosius hören und die Bienen beobachten. In der Mittelstufe kann man in der Mathematik die Geometrie von Waben untersuchen. «Bei uns liegt in der vierten Klasse der Schwerpunkt darauf, wie wir Wildbienen schützen können – dafür bauen wir Insektenhotels und kümmern uns um Blühpflanzen in unserem Schulgarten», so Moritz. In der Oberstufe bieten sich in der Physik die Beschäftigung mit der sogenannten Kettenlinie an. Die untere Kante einer natürlich gebauten Honigbienenwabe entspricht der Kettenkurve. Dies machen sich Ingenieur:innen im Brückenbau zunutze. Im Biologieunterricht kann die soziale Intelligenz von Insektenstaaten erforscht werden.
Mit und von Bienen lernen
In Hagen findet die Bienenepoche in der dritte Klasse statt. Die Schüler:innen nehmen die leeren Waben aus dem Stock, öffnen die Wachsdeckel und schleudern den Honig. In diesem Alter sei es wichtig, dass die Kinder die Angst vor Bienen verlieren und dass sie sich handwerklich beschäftigen, findet Moritz. Ein Höhepunkt im Unterricht sei es für ihn, wenn sich Kinder dann erstmals trauen, vorsichtig eine Drohne, also die männliche Arbeitsbiene, auf der Hand zu halten.
«Meine Klasse hat vor einiger Zeit mit mir die Beuten geputzt. Leider war ein ganzes Volk gestorben und wir haben die toten Bienen dann gemeinsam beerdigt. Einige Schüler:innen wollten für jede einzelne Biene ein eigenes Grab anlegen, davon sind wir dann doch abgekommen, denn selbst im Winter bestehen Bienenvölker noch aus rund 15.000 Bienen. Aber wir haben eine sehr würdige ehrenvolle Zeremonie daraus gemacht, das werden die Schüler:innen sicher nie vergessen», so Moritz. Zur Bienenpädagogik gehört neben der Arbeit am Bienenstock auch die Umgebungsarbeit: Wiesen mit blühenden Blumen anlegen, Nester von Bienenfeinden wie Wespen aufstöbern und gegebenenfalls umsiedeln.
Im Museum Wiesbaden hat der ehemalige Waldorfschüler und heutige Museumsdirektor Dr. Andreas Henning die Ausstellung Honiggelb – Die Biene in der Kunst kuratiert. Rund 140 Exponate aus sieben Jahrhunderten zeigen das Verhältnis von Mensch und Biene in der Kunst. In der Antike und in der frühen Neuzeit erhielt die Biene Attribute wie Fleiß, Gemeinsinn, Friedfertigkeit, Keuschheit, Weisheit und Wehrhaftigkeit. Honig galt als Speise der Götter: Die Ernährung Jupiters im Kindesalter mit Honig und Milch gehört zu den zentralen Mythen.
Beim Sommerfest an der Hagener Schule können die Schüler:innen Bienentränken bauen. Sie bemalen tönerne Blumentopfuntersetzer mit Mustern in Farben, die Bienen sehen können – blau und grün, denn rot und gelb können Bienen nicht wahrnehmen, obwohl sie fünf Augen haben, zwei Facettenaugen und drei Punktaugen. «Wenn die Kinder dann noch ein bisschen Moos in die Tränke legen, dann können die Bienen auf diesen kleinen Inseln landen und trinken», so Moritz.
Wesensgemäßes Bienenhalten
Dominik Moritz war schon als Kind ein Insektenretter, sah er auf dem Boden eine Biene oder Hummel sitzen, dann nahm er sie vorsichtig auf und setzte sie auf einem Strauch wieder ab. In seinem Pädagogikstudium in Witten-Annen zog er für seine letzte Lehrprobe das Los, dass er mit Schüler:innen einen Wildbienenstamm aufbauen sollte. «Das war schon etwas ganz Besonderes für mich, weil sich meine Leidenschaft für Insekten und mein Lehrersein so verbanden». Dieser Moment löste das Interesse am Imkern aus und Moritz machte in Bochum eine traditionelle Imker-Ausbildung. «Aber irgendwie gefiel mir vieles nicht, weil etliches nicht naturgemäß war, was wir dort lernten. Zum Beispiel, dass wir die Bienenkönigin mit einem Stahlgitter von ihrem Volk trennen sollten», so Moritz.
Dann wurde er auf Mellifera aufmerksam – ein Verein, der sich seit Jahrzehnten für wesensgemäße Bienenhaltung einsetzt. Mellifera vertritt die Haltung, dass das gesamte Bienenvolk einschließlich seiner Waben ein Organismus ist und respektiert den Bien in der Tradition Rudolf Steiners als ein Ganzes. Für die Imker:innen bedeutet dies, dass das Brutnest in seiner Integrität gewahrt werden soll, dass die Bienen Naturwaben bauen sollen und dass die Vermehrung über den Schwarmtrieb funktionieren soll, nicht künstlich über den Kauf von gezüchteten Königinnen und Arbeitervölkern. «Mellifera kennenzulernen, hatte für mich etwas sehr befreiendes», so Moritz. Seither imkert er nur noch in Einraumbeuten, das bedeutet, dass das gesamte Bienenvolk in einem einzigen, nicht unterbrochenen Raum Platz findet und die Bienen ihre Waben selbst bauen. Privat hat Moritz zwei Völker. Und in der Schule gibt es bisher drei Völker. «Wenn mich manche Menschen darauf ansprechen, wieviel Arbeit das Imkern wohl sei, dann stelle ich immer wieder fest, dass es für mich eine große Freude und Entspannung bedeutet, mit Bienen in Kontakt zu sein – also ich brauche kein Wellnesswochenende zur Rekonvaleszenz, ich habe dafür einfach nur meine Bienen», lächelt Moritz.
Der Kurator der Ausstellung Honiggelb in Wiesbaden Henning stellt fest: «Die Biene erhielt im Laufe der Kulturgeschichte keinen eindeutigen Wesenscharakter zugewiesen, sondern vereint plurale Zuschreibungen. Das unterscheidet sie von Tieren, die durch einen einzelnen Charakterzug gekennzeichnet wurden, beispielsweise das fromme Lamm oder der schlaue Fuchs. Die Sinnbilder der Biene sind viel mehr vieldeutig und durchaus auch widersprüchlich. Sie wird als fleißig, nützlich, reinlich, keusch, fromm tugendhaft, weise, gehorsam und gemeinwohlorientiert gedeutet, zugleich aber auch als wehrhaft und aggressiv. Sie produziert süßen Honig, verursacht mit ihrem Stachel aber erhebliche Schmerzen. Sie lebt arbeitsteilig und wird so lang von einer Königin am an der Spitze des Staates beherrscht». Jede Epoche habe ihre eigenen Sinnbilder geschaffen – die Allegorie des Friedens ebenso wie die der Aggression. So zeige etwa ein Kunstwerk in der Ausstellung, wie in einer Belagerung die Angegriffenen Bienenkörbe auf die Angreifer werfen. Napoleon Bonaparte wählte die Biene als kaiserliches Symbol, sie ersetzte die bourbonische Lilie. Bei der Krönungszeremonie Napoleons waren Mäntel, Schleppen, Teppiche und Vorhänge mit goldenen Bienen bestickt, sie sollten für Napoleon Fleiß, Ordnung und Unsterblichkeit symbolisieren.
Im 21. Jahrhundert ist die Biene eine Sympathieträgerin und steht stellvertretend für den Arten- und Naturschutz. Auch der Imker und Klassenlehrer Moritz wünscht sich, dass die Arbeit mit den Bienen zu einer Haltung bei den Schüler:innen führt, die die Natur achtet und die Schöpfung bewahrt: «Mir ist wichtig, dass die Kinder lernen, wie wichtig Bienen und andere Insekten sind für die Ernährung der Menschheit sind. Ohne sie wäre unsere Welt eine andere! Vor allem Obst-, Gemüse- und Ölpflanzen sind auf die Bestäubung durch Bienen angewiesen – ohne Bienen hätten wir also nicht genügend Nahrungsmittel, deswegen ist die Biene für mich das wichtigste Tier der Welt», so Moritz.
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