Die weiteste Anreise hatte ein Kollege aus Oregon/USA, die problematischste zwei Kolleginnen aus Dnipro/Ukraine.
Eingeleitet wurde die Tagung mit einem Vortrag von Günter Graf, Künstler, ehemaliger Kollege und Beuys-Schüler, zum Thema: …mit dem arbeiten, was wirklich vorliegt: den Menschen als Künstler, als Plastiker begreifen. Wie die Arbeit mit den Schüler:innen der unteren Oberstufe ein beständiges Arbeiten an sozialer Plastik ist. Damit war das Thema der Tagung schon sehr gut umrissen: der handwerklich-künstlerische Unterricht in der 9. und 10. Klasse. Ein weiterer Vortrag von Ulrikke[FK1] Stokholm von der Plastikschule in Dornach brachte die Teilnehmer:innen am Sonntag mit einem praktischen Beispiel unmittelbar in die Situation der Schüler:innen. Auf der Bühne begannen knapp zwei Dutzend Kolleg:innen, mit zweimal 30 Kilo Ton je eine Gemeinschaftsarbeit zu plastizieren - zunächst mit der Kraft der Schwere, dann mit der der Aufrichte. Aus den beiden Plastiken entstanden nun Figuren, die aufeinander zugingen und miteinander in Kommunikation traten. Genau so, wie es im Unterricht mit den Schüler:innen und auch in deren Seelen gehen kann.
In praktischen Kursen konnten sich die Teilnehmer:innen nach dem Prinzip miteinander arbeiten, voneinander lernen in verschiedensten Richtungen spezialisieren. In allen Kursen gab es seitens der Kollegen ein breites Spektrum an Vorkenntnissen. Da waren im Kurs Tischlern, offene Zinkung - 11 von 12 Teilnehmer:innen waren gelernte Schreiner. Der Fokus, der sich hier für den Kursvorbereiter ergab, war weniger die perfekte Passung der Holzverbindung, sondern vielmehr die Anregung zur Frage, ob handwerkliche Effizienz im Unterricht wesentlich ist, oder ob es hier eigentlich um ganz andere Inhalte geht, die über die handwerkliche Arbeit transportiert werden. Die Frage, was sollen unsere Schüler:innen im praktischen Unterricht erleben, ist immer wieder die entscheidende. Welche Seelenstimmungen werden an der Hobelbank, welche am Schmiedefeuer gepflegt? So ging es in den weiteren Kursen zum Einstieg in die Kupfertreibarbeit, bei der Aufbaukeramik oder beim Zeichnen immer um das Spannungsfeld, welche technische und künstlerische Handfertigkeit brauche ich als Lehrkraft und was will ich damit bei den Schüler:innen bewirken. Die Bandbreite der praktischen Workshops zeigte einmal mehr, wie fließend der Übergang von Handwerk zu Kunst im Unterricht der Waldorfschule sein muss: Drei Kurse Plastizieren zu Tiergesten, Formen des Lebendigen sowie Abstraktion und Naturalismus, Malen und Zeichen, Schreinern in der 9. sowie in der 10. Klasse. Außerdem Korbflechten, die Möglichkeiten, das bewegliche Spielzeug als Mechanik in der 9. Klasse fortzusetzten und Buchbinden als Vorblick in die obere Oberstufe.
In seinem Impulsreferat am Vormittag machte Steven Wouters (Rotterdam) deutlich, welche Bedeutungen sich hinter den Begriffen Raum, Zeit und Bewusstsein für den Lehrenden verbergen. Dieses Thema wurde in einer Gesprächsgruppe vertieft. Weitere Gesprächsgruppen arbeiteten an Themen wie Werkstattübergabe an einen Nachfolger oder mit gegensätzlicher Perspektive Werkstattübernahme von einem Kollegen - welche Freiheit muss einer neuen Kollegin in der Übernahmephase gegeben werden? Was sind Notwendigkeiten, die von einer Schule einem Anfänger ermöglicht werden müssten? Sicherheit in der Werkstatt, besonders im Umgang mit Maschinen war auch wieder ein Thema.
Im großen Abschlussplenum am Mittwoch wurde deutlich, mit welchem Erfolg die Teilnehmer:innen den Geist in der Materie gesucht und immer wieder auch gefunden hatten. Werkstücke aus dreizehn Kursen bildeten eine große Ausstellung im Festsaal der Überlinger Schule und zeigten deutlich, dass es beinahe egal war, in welchem praktischen Kurs man gewesen ist. Jeder Kurs konnte im Rückblick wie ein Hauptgewinn erlebt werden.
Mehr als ein Drittel der vielen Teilnehmer:innen war das erste Mal auf dieser Tagung und die meisten freuen sich schon auf die nächste Gelegenheit zum fachlichen Austausch und zur Fortbildung. Neben den großen Fachtagungen zu Werken und Kunst im Oktober in Dornach, im Februar in Kopenhagen und in der Karwoche an wechselnden Orten das Werkstattgespräch, ist in den letzten Jahren ein neues Format im Fachbereich entstanden. Die eintägigen Regionaltreffen, zunächst in Schleswig-Holstein und jetzt schon zum dritten Mal auch in Nordrhein-Westfalen erfreuen sich guten Zuspruchs. Gerade in einem Fachbereich, in dem sich das örtliche Fachkollegium in kleinen Schulen oft nur einer Person besteht, ist dieser fachliche Austausch sehr fruchtbar und notwendig.
Das Werkstattgespräch 2024 mit dem Fokus 11. und 12. Klasse findet vom 22. bis 27. März 2024 in der Freien Waldorfschule in Evinghausen statt. Mehr Informationen: werklehrertagung.eu oder auf waldorfschule.de unter Fortbildungen.
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