Der Hof als Lebenslernort

Christina Nunn, Tobias Hartkemeyer

Vor den Herbstferien hatte ich das große Glück mit meiner dritten Klasse eine vierwöchige Epoche auf dem Hof Pente zu verbringen, wo wir jeden Vormittag von 8.30 Uhr bis 12.30 Uhr intensiv in die landwirtschaftlichen Prozesse eintauchten. Vom Garten- und Ackerbau über die Tierhaltung bis hin zum gemeinsamen Musizieren wurden die Schüler Teil des Begegnungsraumes, den die Hofgemeinschaft in einem achtsamen Miteinander bietet.

Die Tage auf dem Hof begannen in der Jurte, die eigens für dieses Projekt aufgebaut wurde. Das Eintreten in die Jurte war schon wie das Eintauchen in eine andere Welt. Der runde Raum unterstützt die Konzentration nach innen: das Licht von oben, der Himmel durch das Kuppelfenster. Hier fand bis 10 Uhr ein leicht verkürzter Hauptunterricht statt, in dem wir die erlebten Inhalte aufarbeiteten und in bildlicher und schriftlicher Form in Epochenheften festhielten. Nach einem gemeinsamen Frühstück begleiteten die Kinder dann in vier Gruppen die Hofgemeinschaft bei der täglichen Arbeit auf dem Hof. D ie »Schönmach-Gruppe« pflegte den Hof, die »Tier-Gruppe« kümmerte sich um die Versorgung der Tiere, die »Obstbaumpflege- Gruppe« strich die Stämme der Obstbäume mit einem Kalk-Lehm- Kuhmistgemisch an und die »Ernte- und Pflanz-Gruppe« war beim Gemüse tätig. Dabei war es wichtig, dass Erwachsene, die in den Gruppen dabei waren, selber tätig waren und nicht die arbeitenden Kinder betreuten. Die Kinder sollen sinnvoll tätige Erwachsene erleben und den Übergang vom Spielen zur Arbeit erfahren. Es war beeindruckend, die Freude und Ernsthaftigkeit der Kinder bei ihren Arbeiten zu erleben. Wenn ich von Gruppe zu Gruppe ging, um mitzuhelfen, erklärten die Kinder mir selbstbewusst, wie ich welche Arbeitsschritte zu verrichten habe. Bei den Kindern tauchten immer wieder echte Fragen auf, die sich aus ihren Tätigkeiten heraus entwickelt haben und die wir in der anschließenden Abschlussrunde in der Jurte aufgriffen. Jede Gruppe berichtete, was sie an diesem Tag getan hatte. Gerne brachten die Kinder Dinge mit, wie zum Beispiel einen ausgehöhlten Rotkohl, in dem die Erntegruppe an diesem Tag eine schlafende Maus gefunden hatte. Nach dem Tagesrückblick machten wir einen Vorblick auf den nächsten Tag, so dass die Kinder wussten, was sie erwarten wird. Eine wunderbare Erfahrung an dieser Epoche war, dass die Schüler und ich als Lehrerin nicht an das Stundenplanraster mit seinen starren Zeiten gebunden waren. Wir hatten natürlich einen Zeitplan, doch konnten wir diesen je nach Wetterlage oder anderen Umständen verändern.

Einmal fühlte sich eine Mutter in der Jurte an ihre Kindheit in Afrika erinnert und wir luden sie ein, uns davon zu erzählen. – Die Beteiligung der Eltern beschränkte sich nicht nur auf Fahrdienst von der Schule zum Hof und zurück, denn die Vormittage auf dem Hof waren mit einem erhöhten Betreuungsaufwand verbunden. Da die Eltern auch kleinere Geschwister mit auf den Hof und auch mit in die Jurte bringen konnten, war es immer möglich, zwei bis drei Eltern zu mobilisieren. Dadurch hatten viele Eltern erstmals die Gelegenheit, die Kinder der Klasse und auch den Unterricht mitzuerleben.

Die Epoche wurde von zwei Festen eingerahmt, an deren Gestaltung ebenfalls viele Eltern beteiligt waren: Michaeli und Erntedank. In Gruppen- und Einzelgesprächen sowie durch Fragebögen wurde die Sicht der Eltern zusammengetragen, wie sie ihre eigenen Kinder erlebt haben. Die Aussagen lassen erahnen, welches Potenzial sich in den Kindern entfalten konnte und mit welcher Innigkeit sie diese Zeit erlebt haben: »Ich erlebe sie im Laufe der Epoche zunehmend zufriedener. Sie wirkt erfüllt und am Nachmittag in sich ruhend von den Dingen, die sie am Vormittag erlebt hat.« – » Sie zeigte Begeisterung und viel Freude an der Arbeit.« – »Er hat Selbstvertrauen und Lebenswillen entwickelt. Er schläft besser ein.« – »Sie fühlt sich wichtig und ernst genommen.« – »Er konnte es nicht erwarten, tätig zu sein, er liebt es, Aufgaben auf körperliche Weise zu bewältigen und ist sehr stolz darüber.«

»Können wir nicht in den Ferien einfach weiter machen?« Diese Idee kam den Schülern, als sich der Monat auf dem Hof dem Ende neigte und die Ferien vor der Tür standen.

Aufgrund der positiven Erfahrungen der Lehrer, Eltern und der Hofgemeinschaft wird das Projekt fortgeführt und die dritte Klasse darf weiterhin an einem Tag pro Woche auf »ihrem« Hof arbeiten. Eine vierwöchige Hausbau-Epoche ist ebenfalls auf dem Hof geplant.

Film-Dokumentation zum Projekt unter www.handlungspaedagogik.org