Die Mädchen von Zimmer 28

Lisbeth Wutte

Die Schule ist jung. Sie wurde 2014 gegründet und hat zur Zeit drei Klassen. Nachdem sie die ersten Jahre in der Grundschule Terezín untergebracht war, musste sie ab August 2017 nach Trebusin ausweichen, in eine kleine Stadt, die mit dem Bus von Terezín aus in 40 Minuten zu erreichen ist. Die Schulinitiative betrachtet diese Unterbringung aber als Übergangslösung. Sie fühlt sich weiterhin mit Terezín verbunden und sucht dort nach passenden Räumen.

Warum? Weil es den jungen Pädagogen und Teilen der Elternschaft ein besonderes Anliegen ist, die Verbrechen, die im Ghetto Theresienstadt an Juden und jüdischen Kindern begangen wurden, nicht der Vergangenheit zu überlassen – zumal diese noch in allen Ecken und Winkeln anwesend und spürbar ist. Es gehört zum Grundkonzept der Waldorfschul-Initiative, an der Umwandlung und Heilung der Stadt mitzuwirken.

Die Ausstellung ist Teil des »Room 28-Bildungsprojekt«. Die Grundlage dafür bildet die Geschichte einer Gruppe von jüdischen Mädchen, die zwischen 1942 und 1944 im Zimmer 28 eines Mädchenheimes im Ghetto Theresienstadt zusammenlebten. Die Mädchen waren nach dem Einrücken deutscher Truppen verfolgt, aus ihrer Heimat vertrieben und schließlich ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert worden.

Etwa 50 Jahre nach Kriegsende nahmen einige der einstigen Mädchen Kontakt zu anderen Überlebenden ihres Zimmers auf, mit dem Wunsch, für alle Kinder in Theresienstadt, die den Holocaust nicht überlebten, ein bleibendes Gedenken zu schaffen. 1996 lernte die Autorin Hannelore Brenner im Rahmen eines Hörfunk-Features über die Kinderoper »Brundibár« diese Gruppe von Frauen kennen. Aus dieser Begegnung entwickelte sich ein Grundlagenbuch zum Leben der Mädchen und 2016 ein umfangreiches Bildungsprojekt.

Parallel zum Buch entstand 2004 eine Ausstellung zum Leben der Mädchen, die zwischenzeitlich in mehrere Sprachen übersetzt und weltweit gezeigt wurde – allein im deutschsprachigen Raum an über 70 Orten.

Blick in die Zukunft

Am 17. November 2017 kehrte die Ausstellung an den Ausgangspunkt des Geschehens zurück. Bei der feierlichen Eröffnung beschäftigten sich die Vernissage-Beiträge von Hannelore Brenner und Katarína Hurychová mit der Frage, welche Funktion die Dauerausstellung und das »Room 28-Bildungsprojekt« für die Schule haben könnten – verbunden mit der Hoffnung, dass gerade an diesem Ort ein lebendiger deutsch-tschechischer Dialog stattfinden möge, der Geschichts-, Ethik- oder Demokratiepädagogen motiviert, mit ihren Jugendlichen eine ein- oder mehrtägige Exkursion nach Terezín zu unternehmen.

Die Ausstellung und die Biografien der »Mädchen von Zimmer 28« ermöglichen einen konkreten und personalisierten Zugang zur damaligen Zeit. Zum Beispiel das Poesiealbum von Flaska, in dem ihre Zimmergenossinnen den Sehnsüchten und Wünschen für eine bessere Zukunft bewegend Ausdruck verleihen. Oder das Theresienstädter Tagebuch von Helga Pollak-Kinsky, geschrieben im Zimmer 28, das den jugendlichen Leser mit den Augen einer Gleichaltrigen durch das unheilvolle Geschehen von damals führt. Gleichzeitig können Schüler die Häuser, Straßen und Orte, von denen in den Texten gesprochen wird, selbst gut auffinden, da das Ende des 18. Jahrhunderts errichtete Theresienstadt denkmalgeschützt ist und sich seit 1945 nicht viel verändert hat.

»Room 28« beinhaltet weit mehr, als den Blick in eine leidvolle Vergangenheit, es richtet ihn in die Zukunft! Warum? Den damaligen mitinhaftierten pädagogischen Betreuerinnen der Mädchen war es trotz der menschenverachtenden Umstände, denen sie selbst ausgesetzt waren, ein Anliegen, die Kinder »vor der Entwertung des Guten zu retten« (Fredy Hirsch). Hierin liegt die Besonderheit der Geschichte der Mädchen – sie stellt die Frage nach dem Sinn menschlichen Lebens allgemein. Damit offenbart sie etwas Universelles, Zeitloses, wonach Jugendliche heute wie damals fragen.

Im Zimmer 28 spielte Kunst eine entscheidende Rolle. Es gab viele musikalische Aktivitäten – dank der Betreuerin Ella Pollak, die Pianistin und Musiklehrerin war. Auf dem Boden der Magdeburger Kaserne wurde die geliebte Kinderoper »Brundibár« aufgeführt.

Neben den öffentlichen Darbietungen gab es auch pädagogisch-therapeutischen Kunstunterricht. Unter Friedl Dicker-Brandeis, einer Absolventin der Bauhaus-Schule Weimar, entstanden zwischen 1943 und 1944 über 4.000 Kinderzeichnungen, die heute unter traumatherapeutischen Fragestellungen auf großes Interesse stoßen.

Jugendlichen einen personalisierten Zugang zu dieser dunklen Zeit zu ermöglichen ist wichtig, da es im 21. Jahrhundert (bald) keine Zeitzeugen mehr geben wird.

Zur Autorin: Lisbeth Wutte ist Theaterpädagogin und freischaffende Dozentin für Sprache und Wortkultur. Seit 2010 engagiert sie sich in der künstlerisch-therapeutischen Nothilfe in Krisengebieten und arbeitet mit Flüchtlingskindern und deutschsprachigen Jugendlichen.

Literatur: H. Brenner-Wonschick: Die Mädchen von Zimmer 28. Freundschaft, Hoffnung und Überleben in Theresienstadt. Restexemplare erhältlich als Teil des »Room 28 Schulpakets«:

www.room28education.net/schulpaket/

H. Pollak-Kinsky: Mein Theresienstädter Tagebuch 1943-1945 und die Aufzeichnungen meines Vaters Otto Pollak, Edition Room 28, Berlin 2014 | H. Brenner: Theresienstadt. Die Mädchen von Zimmer 28. Kompendium 2016. Room 28 Bildungsprojekt, Edition Room 28, Berlin 2016 | H. Brenner: Theresienstadt. The Girls of Room 28. Compendium 2017. Room 28 Educational Project

www.room28education.net | www.room28projects.com | www.edition-room28.de | www.room28.net | www.svobodnazs.cz