Digitale Zeitungsredaktion

Karoline Kopp

Kurz nach acht an einem Donnerstag im Januar. Notizblöcke liegen bereit, Kameras und Aufnahmegeräte sind startklar. Linda betritt den Warteraum und bittet um Einlass. »Ganz schön was los heute«, denke ich schmunzelnd und lasse sie herein. Wenige Augenblicke später ist sie drin, im fremden Klassenzimmer in Landsberg am Lech, 800 Kilometer entfernt. So wie einige ihrer Klassenkameraden ist auch Linda heute vorbeigekommen, weil sich bei uns interessante Gäste angekündigt haben.

Kurze Begrüßung, erneutes Klopfen an der Tür des digitalen Klassenzimmers. Als Stephanie Schmidt vom ZDF den Raum betritt, ist allen sofort klar: Das wird spannend heute, hier kommt ein Vollprofi. Direkt werden die Schüler von der aus Düsseldorf zugeschalteten Journalistin in ein Gespräch verwickelt. Dass sie dabei im roten Karohemd in ihrer heimischen Küche sitzt und gemütlich in ihrer Kaffeetasse rührt, erzeugt auf ungewohnte Weise eine Stimmung der Vertrautheit und lässt von Anfang an ein Gespräch auf Augenhöhe entstehen. Da klopft es wieder. Diesmal ist es Serina – ein Mädchen mit der äußerst seltenen und schmerzhaften Schmetterlingskrankheit, über die Stephanie Schmidt eine Reportage gedreht hat. Serina hat sich von ihrer eigenen Schulstunde befreien lassen, um den Schülern aus Landsberg und Mönchengladbach von ihrer Krankheit und ihrem Leben zu erzählen. Fast anderthalb Stunden lang unterhalten wir uns mit den beiden, über Serinas Leben, über Demokratie, die Rolle der Medien und Stephanie Schmidts Arbeit als Journalistin. »Es ist wirklich unfassbar, wie berührend Begegnungen mit fremden Menschen selbst in einer Videokonferenz sein können«, so Klara aus Landsberg. Schul- und klassenübergreifende Live-Interviews mit externen Gästen sind aber nur ein Baustein des Unterrichtskonzepts, das die Klasse 10 der Waldorfschule Landsberg Anfang des Jahres durch die Sozialkunde-Epoche im Corona-bedingten Schul-Lockdown begleitet hat.

Kohärenz im Online-Unterricht?

Als sich in den Weihnachtsferien abzeichnete, dass die Schule im Januar nicht wieder öffnen und der Unterricht in der Oberstufe komplett online stattfinden würde, verlangte die Frage eine Antwort: Wie lassen sich Weltbegegnung, praktische und sinnvolle Arbeit, soziales Miteinander, künstlerisch-ästhetisches Schaffen und denkend-reflektierende Auseinandersetzung mit theoretischen Hintergründen und realitätsnahen Fragestellungen in einer Unterrichtsform umsetzen, die von Distanz und der ausschließlichen Nutzung computergestützter Kommunikationswege geprägt ist? Oder anders formuliert: Wie kann sich auch im Online-Unterricht im Sinne der Salutogenese Kohärenzgefühl einstellen? Jenes Gefühl, das dann entsteht, wenn die Welt als durchschaubar, gestaltbar und sinnvoll erlebt wird. Meine Inspiration fand ich im P-WISE Konzept von Franz Glaw, Dozent am von-Tessin-Lehrstuhl der Freien Hochschule Stuttgart, das fünf Grundprinzipien für guten Medienunterricht benennt: produktionsorientiert (P), Weltbezug herstellend (W), integriert (I), sinnstiftend (S) und entwicklungsfördernd (E). Dementsprechend machte ich mich auf die Suche nach einem geeigneten »Produkt«, das sich online mit den gegebenen technischen Möglichkeiten in einem realen Arbeitszusammenhang umsetzen ließ: Eine Zeitung – digital produziert, analog publiziert, und zwar mit der Aufgabe: »Produzieren Sie statt eines eigenen Epochenheftes eine gemeinsam hergestellte gedruckte Zeitung zu der Fragestellung: Wie verändert das Internet unsere Demokratie?«. Mit einer digitalen Mindmap wurde die komplexe Aufgabenstellung in Teilfragen aufgebrochen: Was ist Demokratie? Was ist das Internet? Wo gibt es Berührungspunkte? Und: Wie macht man denn eine Zeitung?

Schnell wurde klar: Wenn wir uns das alles vorher theoretisch aneignen wollen, dann reichen die drei Wochen Epoche nicht aus. Also alles auf einmal: Theorie, Recherche- und Artikelarbeit in Kleingruppen, Live-Interviews, Layout, Finanzierung und Druckabwicklung.

Wie Meinungen gemacht werden

Thematisch bewegten wir uns von den Grundlagen der Demokratie zur Rolle des Bürgers und den Aufgaben von Medien in der Gesellschaft, gefolgt von einer Betrachtung der Geschäftsmodelle großer Datenkonzerne und deren Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft. Dabei hinterfragten wir die eigene Meinungsbildung und analysierten die Funktionsweisen traditioneller und sozialer Medien sowie die Auswirkungen von algorithmisch gesteuerter Nachrichtenauswahl, Datenanalyse und Klassifizierung von Menschen im digitalen Raum.

Besonders spannend war hier ein Interview mit dem IT-Spezialisten Lars Vosteen, der an der Uni Lübeck am Lehrstuhl für IT-Sicherheit arbeitet. Er hat uns viele Einblicke in das gegeben, was hinter den vielen Apps passiert, die wir jeden Tag benutzen – wie die Daten zusammengeführt und analysiert werden. Die morgendlichen Nachrichtenkonferenzen öffneten den Blick in die Welt, während die Übertragung des Gelernten in eine für eine öffentliche Leserschaft bestimmte Publikation die Herausforderungen und Problemstellungen der medialen Welt erfahrbar machte: Was stelle ich in einem Text an welche Stelle, wie beeinflussen einzelne Formulierungen die Meinungsbildung des Lesers, welche Rolle spielen dabei Bilder und Layout und welche Angaben sind in einer seriösen Publikation über Autoren und Herausgeber zu machen? Bis hin zu der Frage: Decken sich unsere eigenen Wertvorstellungen mit den Geschäftsmodellen möglicher Sponsoren?

Die technische Umsetzung

Die insgesamt 28 Schüler aus Landsberg arbeiteten drei Wochen lang in sieben Teams von je vier Personen mit verschiedenen redaktionellen Jobs. Für das Layout griffen wir auf eine browserbasierte Publishing-Software zurück, die es zulässt, dass mehrere Schüler gleichzeitig an einem Dokument arbeiten und in Echtzeit die Änderungen der anderen verfolgen können.

Darüber hinaus arbeitete die Klasse nicht nur mit anderen Klassen der eigenen Schule zusammen, die unter anderem Cartoons aus ihrem Englischunterricht der Klasse 11 oder einen Artikel über Tiktok aus dem Medienkundeunterricht der Klasse 9 beisteuerten, sondern auch mit der Klasse 10 der Rudolf Steiner Schule Mönchengladbach. Dort entstand unter anderem ein spannender Podcast zur »Rolle und Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks« mit Frank Gollenbeck, der seit mehr als 20 Jahren für ZDF und WDR arbeitet. Die Podcasts sind über QR-Codes in die Print-Publikation aus Landsberg eingebunden.

To be continued ...

Es folgte eine vertiefte Beschäftigung mit aktuellen Zeitfragen und ein intensiverer Austausch über die Grenzen der eigenen Schule hinweg: In den abgesagten Faschingsferien organisierten Lehrer und Schülervertretung eine Projektwoche im Online-Format mit spannenden Rednern wie Gerald Häfner, Seminaren und praktischen Workshops. An der Veranstaltung nahmen auch Schüler aus Mönchengladbach, Düsseldorf und Kakenstorf teil.

»Ich habe gelernt, wie viel Spaß es mir macht, meine Gedanken in einen Artikel für Leser und Leserinnen zusammenzufassen und professionell in der Öffentlichkeit zu wirken. Außerdem habe ich gelernt, mich anders über das Geschehen in der Welt zu informieren und was es eigentlich für wichtige Artikel in unserem Grundgesetz gibt. Besonders gefallen hat mir die Begegnung (zwar in Distanz ...) mit fremden Menschen und die Tatsache, dass ich durch ihre Erfahrungen und Ansichten meinen Horizont erweitern konnte«, fasst Klara aus Landsberg ihre Erfahrungen zusammen.

Zur Autorin: Karoline Kopp ist Lehrerin und Medienpädagogin an der Freien Waldorf Schule Landsberg am Lech und unterrichtet in der Oberstufe Sozial- und Medienkunde.

Literatur: A: Antonovsky: Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit, Tübingen 1997 | F. Glaw: »Medienpädagogik und Gesundheit«, Journal für Waldorfpädagogik, Nr. 2, Kassel 2021.