Monatsmeinung

Wie vielfältig sind Waldorfschulen heute?

Angelika Lonnemann
Angelika Lonnemann

Mein Mutterherz blutete. Kurze Zeit später kam ein anderes, älteres Mädchen, nahm meine Tochter an die Hand und sagte «Komm, ich zeig Dir mal den Spielplatz».

Wieso müssen wir uns eigentlich Gedanken machen über Ausgrenzung, Rassismus, Solidarität und kulturelle Vielfalt? Welche psychologischen Faktoren führen zum Einteilen der Umgebung in meine Welt und das Fremde? Rudolf Steiner hat darauf hingewiesen, dass im Menschen soziale ebenso wie anti-soziale Kräfte wirken. In jeder Begegnung pendele der Mensch zwischen dem Sich-Einlassen und der Selbstbehauptung. «Je stärker wir eigenständiges Denken, Fühlen und Wollen entwickeln, umso stärker werden die Kräfte der Selbstbehauptung und des Selbsterlebens», schreibt Albert Schmelzer, Professor für Waldorfpädagogik und Interkulturalität. Er schreibt, dass Menschen keine sozialen Wesen sind, sondern es höchstens werden können. Eine Lernaufgabe also, die für uns als Teil der Gesellschaft unabdingbar ist.

An den Waldorfschulen lässt sich aktuell noch eine große Diskrepanz beobachten zwischen Ideal und Wirklichkeit. Einerseits gibt es den Willen, wie er im Leitbild vieler Schulen und auch in der Stuttgarter Erklärung zu finden ist: «Waldorfschulen stehen allen Kindern offen – unabhängig von Religion, ethnischer Herkunft, Weltanschauung und Einkommen der Eltern». Diese Grundhaltung ist hochgradig inklusiv und solidarisch und passt folgerichtig zum Gründungsimpuls der ersten Waldorfschule, die für benachteiligte Arbeiterkinder gegründet wurde. Andererseits ist da die Wirklichkeit – Waldorfschulen sind weniger divers, was Religion, Herkunft und Finanzkraft der Familien angeht als der Durchschnitt in ihrem Umfeld.

In dieser Ausgabe der Erziehungskunst lassen wir unter anderem eine Mutter mit Migrationshintergrund zu Wort kommen, die von ihren Erfahrungen und Beobachtungen erzählt. Wir blicken zurück auf Rudolf Steiners Berührungen mit jüdischen Menschen und zeigen auf, dass in Sachen Dekolonisierung in der weiten Waldorfwelt noch etliches zu tun ist.

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