Ausgabe 06/25

Ein Stück Welt

Katrin Kühne


«Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?» Diesen Satz aus dem Märchen Hänsel und Gretel der Brüder Grimm kennen sicher die meisten. Nicht ganz so alt wie die Erzählung, dafür umso berühmter ist die gleichnamige Oper des Komponisten Engelbert Humperdinck (1854 bis 1921). Was von dessen Schwester zunächst als häusliche Theateraufführung geplant war, begeisterte Humperdinck und regte ihn zur Komposition einer abendfüllenden Oper an. Diese wurde am 23. Dezember 1893 am Hoftheater in Weimar uraufgeführt.

Im Dezember 2024 war die Oper auch auf der Bühne der FWS Kassel zu erleben. Hier führte die fünfte Klasse unter Leitung von Klassenlehrerin Katia Hornemann und Musiklehrer Esteban Cordi in einer Koproduktion mit der Sopranistin und Gesangslehrerin Traudl Schmaderer eine eigene Inszenierung des Opernklassikers auf. Hauptdarsteller:innen waren Schülerinnen von Traudl Schmaderer und der Musiklehrer der FWS Helmut Weckesser, der in die Rolle des Vaters schlüpfte. Die fünfte Klasse unterstützte das musikalische Spiel als Kinderchor und Statist:innen in einzelnen Szenen. Zusammen mit Esteban Cordi verstärkten drei Schüler aus der siebten Klasse das Ensemble um ein Streichquartett.

«Hänsel und Gretel eignet sich optimal als Adventsoper für Kinder», erklärt Grünhage, die das Projekt koordinierte. 2023 gab es schon einmal eine Zusammenarbeit mit Schmaderer – damals wurde mit ihrer damaligen Klasse die Oper Dido und Aeneas von Henry Purcell an der Kassler Waldorfschule aufgeführt.

Von Kindern, Tieren und Engeln


Die Oper Hänsel und Gretel erzählt in drei Bildern die Geschichte der armen Familie eines Besenbinders und deren zwei Kindern, die sich im Wald verirren und der bösen Hexe begegnen. Anders als im Märchen werden Hänsel und Gretel in der Opernfassung jedoch nicht von ihren Eltern ausgesetzt. Vor Freude über das bevorstehende Abendessen – Reisbrei mit Milch – vergessen die von Hunger gequälten Kinder ihre häuslichen Pflichten und tanzen ausgelassen um den Tisch herum, als die Mutter (nicht wie im Märchen die Stiefmutter!) nach Hause kommt. Wütend über die Untätigkeit ihrer Kinder stößt sie versehentlich den Milchkrug um und schickt die Geschwister hinaus, um wenigstens ein paar Beeren auf den Tisch zu bekommen. Inzwischen ist auch der Vater heimgekehrt. Es dunkelt draußen, doch Hänsel und Gretel sind noch nicht wieder zurück. Der Vater befürchtet, dass sie in die Nähe des Ilsensteins gekommen seien, wo eine böse Hexe haust. «In der Oper lieben beide Eltern ihre Kinder und machen sich vor Sorge wegen der Hexe auf, um sie zu suchen», erklärt Grünhage. Das ist weniger märchenhaft als vielmehr romantisch und zeugt von der Epoche, in der die spätromantische Oper entstanden ist.

Im zweiten Bild kommen Hänsel und Gretel beim Durchstreifen des Waldes vom Weg ab. In der Inszenierung an der FWS begegnen ihnen die Bewohner des Waldes, dargestellt von den Schüler:innen der fünften Klasse, die ganz nach Wesensart des jeweiligen Tieres mal schleichend, mal gefährlich und mal neugierig auf den Inhalt des Picknickkorbes in einer Mischung aus Theater und Eurythmie Hänsel und Gretel zu Leibe rücken. «In dieser Szene sind die Kinder ganz in das Tierhafte eingestiegen», erzählt Hornemann. Im Spiel erscheint dann das Sandmännchen und beruhigt die verängstigen Geschwister. Gemeinsam singen sie den berühmten Abendsegen, währenddessen die Tiere des Waldes sie andächtig umrahmen. In einer nun ganz eurythmischen Performance schweben einige Schüler:innen als Engel verkleidet auf die Bühne und geleiten Hänsel und Gretel schützend in den Schlaf. «In dieser Szene entstand eine große Innigkeit», beschreibt Grünhage. «Hänsel und Gretel sind verlassen und empfehlen sich Gott im größten Vertrauen an. Die Tiere kommen aus dem Wald dazu geschlichen und erleben diesen Segen auch. Das war wunderschön.»

Nachdem das Taumännchen die beiden aus dem Schlaf geweckt hat, erscheint Hänsel und Gretel im dritten Bild das Knusperhäuschen. Die hungrigen Geschwister erliegen der Versuchung des mit Lebkuchen und Süßigkeiten überzogenen Häuschens und geraten in die Fänge der bösen Hexe. Die Verlockung und deren Folgen sei ein starkes Motiv, das auch heute noch Brisanz habe – wenn auch auf eine andere Art und Weise, findet Hornemann. Gerade für Kinder sei es daher ein großer Gewinn, so eine Musik erleben zu dürfen, und jede:r nehme hieraus etwas anderes für sich mit. Zum Glück geht die Geschichte für Hänsel und Gretel gut aus. Mit einer List stoßen sie die Hexe in den Ofen und der böse Zauber löst sich auf. Dargestellt durch Schüler:innen der fünften Klasse werden die Lebkuchenkinder, die das Häuschen zieren, wieder lebendig und auch Vater und Mutter Besenbinder finden ihre Kinder wieder. Dann geht der Vorhang zu. «Das war schon große Bühne», sagt Katia Hornemann rückblickend.

Vom Üben, Spaß haben und Wachsen


«Die Oper ist anspruchsvoll», findet Grünhage. Dabei bestehe nicht unbedingt der Anspruch, dass die Kinder alles verstehen müssten. Zwar hatte Hornemann im Unterricht mit ihrer Klasse auch über inhaltliche Aspekte der Erzählung gesprochen, in der Vorbereitung der Oper erlebten die Kinder aber nur einzelne Szenen. «Den ganzen Zusammenhang haben sie dann erst bei den vielen Durchgangsproben verstanden, in denen auch Motive wie Hunger oder die Sorge der Eltern deutlich wurden», so Hornemann. Insgesamt lag der Schwerpunkt für die Klasse aber mehr auf dem Künstlerischen, so war die Oper für die Schüler:innen vor allem ein Gesangsprojekt. Mit Beginn des neuen Schuljahres hatten sie in vielen Stunden ihre Stimmen trainiert und das gemeinsame Singen geübt, zweistimmig im Chor mit Klavierunterstützung oder A cappella. Später kam dann die Beschäftigung mit der eurythmischen Performance hinzu, die sich die Klasse im Eurythmieunterricht unter Anleitung ihres Lehrers Aurel Mothes erarbeitete.

Bei vielen Proben erlebten die Kinder der fünften Klasse viele weitere Aspekte, die eine erfolgreiche Bühneninszenierung ausmachen: Neben dem Gesang und der schauspielerischen Darstellung gab es Menschen, die sich um das Bühnenbild und die Beleuchtung gekümmert haben, Kostüme mussten ausgewählt und an- und ausgezogen werden und eine Maskenbildnerin im Hintergrund verwandelte die Darsteller:innen optisch in die verschiedenen Figuren des Stückes.

Am Ende des Opernprojekts waren sich alle einig: «Wir wollen so was wiedermachen.» Und auch Hornemann ist voller Enthusiasmus: «Mit hat das Opernprojekt großen Spaß gemacht und ich bin sehr froh darüber, dass solche Initiativen an der Schule möglich sind.» Für die Schüler:innen sei das Projekt eine tolle Erfahrung gewesen, bei der sie an vielen Stellen über sich hinausgewachsen seien, resümiert die Lehrerin. Auch die Gemeinschaft im Kollegium sei enorm an dieser Zusammenarbeit gewachsen. «Ich möchte alle Lehrkräfte dazu ermutigen, so etwas mitzutragen.»

instagram.com/freie.waldorfschule.kassel/reels/

Kommentare

Es sind noch keine Kommentare vorhanden.

Kommentar hinzufügen

0 / 2000

Vielen Dank für Ihren Kommentar. Dieser wird nach Prüfung durch die Administrator:innen freigeschaltet.