Eine Mahnung und ein Lächeln

Sven Saar

Wenn Sie an Ihre Schulzeit zurückdenken, welche Bilder kommen da zuerst?

Bei mir ist es nicht der Unterricht. Es sind die Menschen, und ich kann mich ohne Anstrengung an gut zwei Dutzend Lehrer und Lehrerinnen erinnern – im Guten und im Schlechten. Es scheint viel auszumachen, wie man den Kindern begegnet.

Am Ende des Ersten Lehrerkurses weist Steiner auf vier Gebiete hin, die für den Erfolg und den Genuss unseres Berufes entscheidend sind: Zuerst sollen wir Initiative ergreifen. Wenn Lehrer und Lehrerinnen zum Leben »Ja« sagen können, sind sie nicht nur Menschen, die größere Freude an ihrem Wirken entwickeln, sondern sie geben das auch weiter: Für das Kind hat es enorme Auswirkungen, wenn die Erwachsenen in seinem Leben ihre Herausforderungen willkommen heißen. Während der Corona-Krise haben Schülerinnen und Schüler trotz Masken und Bildschirm sicher viel fürs Leben gelernt, wenn die zuständigen Pädagogen sichtbar bemüht waren, für sie das Beste herauszuholen.

Einer der schlimmsten Sätze, den ein Kind von einem geliebten Erwachsenen hören kann, ist: »Das interessiert mich nicht!« Interesse für die Welt und für alles das, was im Leben des Kindes geschieht, aufzubringen, ist nach Steiner unsere zweite Aufgabe. Auch und gerade wenn es um Dinge geht, die uns nicht gefallen: Beschäftigen wir uns beispielsweise genug mit sozialen Netzwerken und Computerspielen, um ihren Sog verstehen zu können? Wohlgemerkt geschieht das nicht, um vor den Heranwachsenden als cool zu gelten: Im besten Fall wissen sie nicht einmal, dass ich mich in »TikTok« oder »Fortnite« auskenne – aber ich kann ihnen aufgrund meiner Kenntnisse vielleicht helfen, andere Perspektiven zu entwickeln.

Steiners dritte Ermahnung bezieht sich darauf, dass wir keine Kompromisse mit der Unwahrheit eingehen sollten, also nicht Dinge in unsere Praxis einfließen lassen, die wir innerlich nicht auch vertreten können. Das wird oft zitiert, wenn sich im Kollegium verschiedene Meinungen gegenüberstehen, und immer von Menschen, die ihre eigene Sichtweise geltend machen wollen. Sicher ist persönliche Authentizität eine zentrale Qualität des freien Menschen – aber man vergisst dabei gerne, dass Steiner in seiner Ansprache zu Beginn des Kurses schon nach fünf Minuten darauf hinweist, dass wir »die Schmiegsamkeit haben müssen, uns anzupassen an das, was weit abstehen wird von unseren Idealen«. Wir lernen, vollbewusst das Eine zu tun und dabei den Glauben an das Andere nicht zu verlieren. Diese Flexibilität kostet nicht nur Kraft – sie verleiht sie auch.

Der vierte und vielleicht wichtigste Rat an das neue Kollegium ist dieser: »Nicht verdorren und nicht versauern!« Wir brauchen eine »frische Seelenstimmung«, um der Gefahr zu entgehen, dass wir in Selbstaufgabe unseren stressvollen Job erleiden und dabei hoffen, dass das von den Menschen um uns als verdienstvoll aufgefasst wird. Nicht nur wir selbst leiden unter unserem Grimm, auch die Kinder können so nicht glücklich werden! Was kann uns denn erheitern, wenn uns knifflige Schulleitungsaufgaben und Heftestapel das Leben schwer machen? In seinem letzten Lehrerkurs im englischen Torquay spricht Steiner über »Griesgrämigkeit« und sagt dabei das Folgende: »Menschenkenntnis lässt das innere Seelenleben auftauen, lässt das Lächeln in die Physiognomie des Gesichtes kommen.« Also darum geht es bei der Menschenkunde! Beflügelt von ihrem Studium, begegnen wir dem Kind mit einem Lächeln: im Herzen und auch im Gesicht.