Erziehungskunst | Wie ist die Eurythmieausbildung bei Ihnen in München aufgebaut und wodurch zeichnet sie sich aus? Was ist das Besondere daran?
Mallolai Buchner | Wir bieten eine berufsbegleitende Ausbildung an, die fünf Jahre dauert. In den ersten drei Jahren bauen wir die Grundlagen auf, dann werden diese im vierten Jahr vertieft. Im fünften Abschlussjahr arbeiten wir hauptsächlich künstlerisch. Es ist eine sehr umfangreiche Ausbildung, in der wir uns zunächst mit unserem Körper als Instrument eurythmisch zurechtfinden im Raum. Unsere Studierenden bekommen da ein künstlerisch-pädagogisches Allgemeinwissen, denn die Ausbildung beinhaltet auch Fächer wie Geometrie, Anthroposophie oder Musiktheorie.
EK | Wer entscheidet sich Ihrer Erfahrung nach für das Studium?
MB | Oft sind das Menschen mittleren Alters, die schon einen Beruf und vielleicht eine Familie haben und auf ihrem Weg auf der Suche nach etwas anderem sind. Oder Menschen, die Berührungspunkte mit der Eurythmie haben und immer den Wunsch hatten, das zu studieren. Nur hat das in ihre Biografie vielleicht bisher einfach nicht reingepasst. Aber auch Menschen, die noch nie was mit Eurythmie zu tun hatten, entscheiden sich dafür. Das sind meistens Menschen, die etwas in ihrem Leben suchen und wissen, was sie innerlich mehr erfüllt.
Johanna Burkart | Die berufsbegleitende Ausbildung zu Eurythmiepädagog:innen hat in Deutschland noch keine lange Tradition.
In anderen Ländern Europas wird sie schon seit längerem angeboten.
Da gibt es schon mehr Erfahrung.
EK | Neben Eurythmielehrer:innen an der Waldorfschule – wo können Ihre Absolvent:innen nach der Ausbildung tätig werden?
MB | Aktuell sind in Deutschland 70 Stellen für Eurythmist:innen frei. Die Not der Schulen und Kindergärten ist sehr groß. Daher versuchen wir alles Notwendige dafür zu tun, um neue Eurythmist:innen auszubilden. Es gibt aber auch Absolvent:innen, die erst mal mit einem Laienkurs beginnen. Generell sind wir froh, wenn die Eurythmie in die Welt geht. Annemarie Ehrlich zum Beispiel bietet Eurythmie in Gefängnissen an. Es gibt Menschen, die das in Einrichtungen für schwerst belastete und traumatisierte Jugendliche machen oder mit Manager:innen zu Teambuilding-Zwecken. Man kann sie vielfältig und sehr kreativ anwenden.
EK | Ein bisschen weiter gefasst, was lerne ich durch die Eurythmie?
MB | Darüber könnte ich sicherlich ein ganzes Buch schreiben (lacht). Zunächst lerne ich mich selber kennen. Ich bekomme Antworten auf die Fragen, wie ich im Raum stehe und wie ich in der Welt stehe. Wir fokussieren uns auf die Ausrichtung. Man denkt zwar erst mal «aufrichten kann sich doch jeder». Aber da gibt es riesige Unterschiede. Wie richte ich mich auf, wie nehme ich mich wahr und wie nimmt mich die Welt wahr als einen aufrechten oder aufrichtigen Menschen? Und ich lerne sozusagen, mich im Raum zu bewegen, in der Aufrichte erst mal zu stehen, und mich dann Schritt für Schritt zu bewegen. Und durch diesen rhythmischen Schritt, den wir «dreiteiliges Schreiten» nennen, werden wir auf ganz subtile Dinge aufmerksam. Und das hat eine Auswirkung auf mein ganzes Leben. Ich war selbst keine Waldorfschülerin, aber durch diese langjährige Erfahrung mit der Eurythmie habe ich ein starkes Gefühl und Verständnis dafür, warum sie in den Waldorfschulen unterrichtet wird. Die Fächer, die in der Waldorfschule unterrichtet werden, sind viel verständlicher durch die Bewegung der Eurythmie. Man weiß auch inzwischen, dass das Gehirn die Dinge besser aufnehmen kann, wenn es durch Bewegung unterstützt wird. Gleichzeitig ist die Eurythmie eine sehr soziale Kunst, denn wir lernen zu kooperieren, aufeinander zu achten und aufeinander einzugehen, einander wahrnehmen.
JB | Außerdem schult die Eurythmie das Sprach- und Musikverständnis und die Kreativität und fördert die körperliche Geschicklichkeit und Koordination.
EK | Wie hat sich die Eurythmie seit ihrer Gründung weiterentwickelt? Und in dem Zusammenhang – wie zeitgemäß ist die Eurythmie in Form und Ausdruck denn eigentlich?
MB | Die Frage regt an, sich nochmal grundsätzlich zu fragen: Was ist die Eurythmie? Für mich ist die Eurythmie zeitlos. Eine spannende Frage für mich ist: Wie begegne ich der heutigen Zeit als Eurythmistin?
Ja, ich glaube, dass sie für die heutige Zeit genauso wie vor hundert Jahren oder vielleicht noch deutlich passender ist, weil die heutige Jugend vom reellen Weltgeschehen abgelenkt ist. Ich möchte Menschen, die keine Ahnung von der Anthroposophie oder der Eurythmie haben, die Eurythmie so verständig machen, dass deutlich wird, wie bodenständig die Eurythmie ist und dass sie nichts Abgehobenes ist. Sie hat auch nichts Verstaubtes an sich, sie kann Hilfestellung und Bereicherung im Leben sein. Also, wie unterrichte ich in den Schulen, wie spreche ich mit der Jugend heute oder was biete ich ihnen an, dass sie das nicht einfach nur nachahmen, sondern sich so weit öffnen, dass sie sich innerlich beteiligen. Was den zeitgemäßen Ausdruck betrifft: Wenn ein:e darstellende:r Künstler:in es schafft, mit starkem inneren Ausdruck durch die Kunst Bilder im Innersten der Zuschauer:innen anzusprechen, dann ist das für mich zeitgemäß.
EK | Haben die inneren Bilder sich denn nicht auch verändert? Gibt es auch Fragen, die wir uns heute anders stellen?
MB | Ja, wir sind heute ständig umgeben von äußeren Bildern. Mit den Jugendlichen kann man versuchen, durch Bewegung in dieses Chaos eine gewisse Ordnung zu bringen. Wir arbeiten mit Gesetzmäßigkeiten, die wir erlernen, und so eine Ordnung kann eine unglaubliche Heilung bedeuten. Manchmal bei Eurythmie-Abschlüssen in der Schule habe ich schon gedacht: «Die haben doch gar keine Lust das zu machen.» Und dann habe ich mich lange gefragt, ob die Eurythmie in der Pubertät nicht pausieren sollte. Nun denke ich, dass pubertierende Jugendliche sie gerade dann brauchen. Ich habe selbst zwei Jungs, und habe es selbst auch erlebt als Jugendliche, dass man sich eher verbirgt, versteckt – ob das jetzt eine Kapuze ist oder die Ärmel über den Händen. Es ist wertvoll, dass man wenigstens in der Eurythmie einen Moment hat, um sich ein bisschen zu enthüllen, ohne dass man sich komplett offenbaren muss. Man darf sich in der Pubertät verschließen, aber wenn man sich nur verschließt, kann das ein zu starkes Einatmen sein ohne das Gleichgewicht des Ausatmens. Die meisten haben dennoch, so glaube ich, ein inneres Verständnis dafür, warum sie Eurythmie machen und dass es auch cool sein kann.
EK | Danke für das Gespräch!
Das Gespräch führte Heidi Käfer.
Ausgabe 06/24
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