Manche Menschen kennen das vom Lexikon: Kaum in die Hand genommen, aufgeschlagen – und festgelesen. Ein gutes Zeichen! Mir ging es bei diesem Buch an vielen Stellen so, z. B. mit dem Bericht einer Schweizer Klassenlehrerin von 1995 über die Naturbegegnungen, die sie mit ihrer Klasse im Laufe der acht Jahre plante und erlebte (S. 583 f., Ursula Locher-Kraska). Die Kinder fanden in der Natur die Vorlage für viele Buchstaben, hörten den Legenden über die Pflanzen und Tiere zu, fanden die Färbematerialien für die Wolle. Die Beschäftigung mit dem fließenden Wasser durch Geschichten in der 4. Klasse führte ein Jahr später und die folgenden zwei Jahre zu einer Klassenfahrt in das Dorf Vals in Graubünden, wo die Kinder beim Mitarbeiten und Wandern die ihnen schon bekannten Gegenden unmittelbar erleben konnten. Geologische Aspekte waren ein Thema in der sechsten Klasse und Astronomie in der siebten. Den Abschluss bildete eine neuntägige Passwanderung vom Engadin ins Puschlav. In diesem Artikel kann man, stellvertretend für viele andere, nicht nur konkrete Anleitungen und Ideen finden, sondern auch die Begeisterung der Klassenlehrerin spüren.
Ein anderes Schlaglicht: die Gegenüberstellung einer Aussage der ehemaligen Kultusministerin Schavan BW mit einem Zitat von Rudolf Steiner zum lustvollen Lernen der Schüler (S. 68). Beide haben dazu eine ähnliche Idee. Auch spannend, wie überraschend modern (z. B. S. 357, J. Geyer) manche Berichte wirken, obwohl das gefühlt nicht dem Jahr entspricht, in dem sie verfasst wurden.
Das erstmals 1996 erschienene Kompendium mit Beiträgen aus der Erziehungskunst liegt bereits in der vierten überarbeiteten Auflage vor mit Verweis auf das mittlerweile lückenlose Online-Archiv. Fotos gibt es nur wenige, u. a. in den geographischen und meteorologischen Fächern, dafür etliche schwarz-weiße und farbige Illustrationen in den künstlerischen. Das Inhaltsverzeichnis umfasst 18 Kapitel mit einem abschließenden Ausblick auf die Schule der Zukunft und die veränderten Kinder, abgerundet durch eine Fülle weiterer Literaturhinweise. Die aufgenommenen Artikel sind nicht chronologisch geordnet, wohl aber mit Erscheinungsdatum versehen. Von den Autoren erfährt man nur die Namen. Der Herausgeber Ludger Helming-Jacoby war selbst 33 Jahre Lehrer an verschiedenen (Waldorf-)Schulen und ist jetzt Gastdozent an Lehrerseminaren und Mentor.
Spannend wird u. a. sein, was in der nächsten Auflage überlebt haben und was wieder oder neu aktuell sein wird. Ein Nachschlagewerk für Menschen, die wahlweise sehr zielgerichtet oder einfach neugierig sind und sich gern frei schweifend von Artikeln zu verschiedenen Aspekten des Waldorflehrer-Daseins inspirieren und fesseln lassen wollen. Dazu muss man nicht einmal Lehrer sein.
Ludger Helming-Jacoby und Helmut Neuffer (Hrsg.): Zum Unterricht des Klassenlehrers an der Waldorfschule, geb., 1.357 S., EUR 79,–, 4. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2020, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2020
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