Das «Buch zeigt ihn von seiner persönlichen Seite mit seiner tiefen Religiosität und in vielen Facetten seiner Menschenfreundlichkeit. Gleichzeitig wird deutlich, wie der bescheidene Farmer aus dem Süden in seiner Amtszeit mit Weitblick zahlreiche Themen gesetzt hat, die uns gerade heute beschäftigen» – etwa der Einsatz gegen Rassendiskriminierung, für Frauenrechte oder Klimaschutz. «Carter gehört in eine Reihe mit amerikanischen Philosophen wie Ralph Waldo Emerson [«Natur», von Kiczka übersetzt], Henry David Thoreau [«Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat»] und anderen idealistischen Vertretern der Bürgerrechte.» Als ausgewiesener Kenner und Übersetzer amerikanischer Kulturträger kann Kiczka mit Carter das andere Amerika zeigen, das auch heute die Grundlage für das Verständnis von Freiheit, Menschenrechten und Demokratie bildet.
Aus diesem Geist heraus und aus seiner religiösen Kraft entschloss sich Jimmy Carter im Wahlkampf 1976 ein Programm zu entwickeln, das das durch den Vietnamkrieg, Watergate und andere Skandale traumatisierte Amerika auf seine inneren Wurzeln zurück- und auf zukunftsweisende Aufgaben hinführen sollte. Und man glaubte ihm, dass er dies auch wirklich wolle. So gewann er die Wahl. «Vorwiegend jüngere Menschen und ganz erstaunliche 94 Prozent der schwarzen Wähler» stimmten 1976 für Carter, der von 1977-1981 der 39. amerikanischer Präsident wurde. Er regierte zwischen den zwei republikanischen Präsidenten Ford und Reagan «wie ein Vorläufer der Grünen Partei Deutschlands, die im Januar 1980 gegründet wurde». Seine «ehrgeizige[n] Pläne betrafen nahezu alle Bereiche des öffentlichen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens, die Gesundheitspolitik mit einer allgemeinen, solidarischen Pflichtversicherung, einem Arbeitslosengeld [und verschiedenen] Wohlfahrtsprogrammen». Er forderte zum Beispiel, «weniger Öl zu verbrauchen und stattdessen auf regenerative Energien zu setzen» und «die in den USA gewohnte Innenraumtemperatur von circa 26 Grad Ceslsius auf die in Europa üblichen 20 Grad zu reduzieren». Carter begann, die Ölkonzerne hoch zu besteuern und etablierte ein millionenschweres Forschungsprojekt für Sonnenenergie – ja, er ließ auf dem Wohnhaus beim Weißen Haus eine Solaranlage bauen, die «für den Haushalt der Familie, die Wäscherei und die Cafeteria des Weißen Hauses» den Energiebedarf deckte; vorbildlich für den Staat, belächelt von der Presse – seine republikanischen Nachfolger bauten sie wieder ab.
Seine Frau Rosalynn, die First Lady, setzte sich für Schutz und Förderung von psychisch Kranken und Behinderten ein, die nach puritanischen Maßstäben als von Gott verworfene Personen betrachtet wurden. Als ein Ausnahmepräsident geht er in die amerikanische Geschichte des 20. Jahrhunderts ein, der im krassesten Gegensatz zum Politikstil Trumps steht. So wurde ihm 2002 als erstem amerikanischen Präsidenten nach Woodrow Wilson (Gründung des Völkerbundes) aufgrund seiner weltweiten Vermittlungsversuche zur Verhinderung oder Beendigung von kriegerischen Auseinandersetzungen der Friedensnobelpreis zugesprochen – insbesondere für seine erfolgreichen Vermittlungen in Camp David zwischen Israel und Ägypten 1977.
In den knapp gehaltenen 37 Abschnitten vermittelt Kiczka für die Leserschaft gut lesbar nicht nur die Biografie eines bedeutenden Politikers, sondern das Bild eines vorbildlich sozial engagierten Menschen, der mit konsequenter Treue sich selbst und seinen Idealen gemäß für die Menschheit wirken will und bereit ist, das Leid, das ihm zugefügt werden würde, um dieser Aufgabe willen zu tragen. Es lohnt sich, diese 220 Seiten zu lesen, die faktenreich und einfühlsam die inneren und die äußeren Wege dieses Mannes schildern, der nach wie vor als charismatische Gestalt das Weltgeschehen wahrnimmt und mitgestaltet. Der Satz, mit dem Carter den Autor grüßt, zeigt die Qualität seiner Seele: «Ich werde versuchen, ihren Beschreibungen gerecht zu werden. Beste Wünsche, Ihr Jimmy Carter.»
Harald Kiczka: Jimmy Carter und das andere Amerika, 224 Seiten, info3 Verlag, Frankfurt 2022, 18,90 Euro.
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