Ausgabe 01-02/24

Ganztags gut betreut – Räume der Kindheit schaffen

Elisabeth Menzel

Es ist Nachmittag. Christward Buchholz schaut aus dem Fenster. Vor seinem Büro an der Freien Waldorfschule in Magdeburg ist ein Tisch aufgebaut, an dem die Schüler:innen fleißig werkeln. Draußen, an der frischen Luft. «Wir machen sehr gute Erfahrungen mit unserem Modell der Ganztagesbetreuung», berichtet der Pädagoge. «Gerade an den Nachmittagen erhalten die Schüler:innen die Möglichkeit, noch ein bisschen Kindheit zu erleben.» Das Angebot ist vielfältig: Heute backen sie mit ihren Betreuer:innen zusammen Pizza im Holzofen. An anderen Tagen dürfen sie mit Holz arbeiten, die Natur erkunden oder sich künstlerisch austoben. Meist gibt es pro Wochentag einen festen Schwerpunkt. «In meiner Kindheit haben wir noch draußen auf der Straße gespielt», erinnert sich Buchholz, der in den 60er Jahren geboren wurde. Heute säßen die Kinder zu Hause am Computer oder an der Playstation. «Deshalb sind uns Spiele und soziales Lernen so enorm wichtig», sagt der diplomierte Lehrer für Deutsch und Musik. «Wir wollen aktiv Räume der Kindheit schaffen.»

Im Großraum Magdeburg hat das Thema Ganztagsbetreuung – historisch bedingt – einen besonderen Stand. «Zu DDR-Zeiten waren nahezu alle Frauen berufstätig», erklärt Buchholz. Eine gesicherte Betreuung sei deshalb in der Region sowohl nötig als auch gesellschaftlich akzeptiert gewesen. Mehr noch: «In unseren Breiten ist es normal, dass zur Schule auch ein Hort gehört. Die Eltern erwarten das in gewisser Weise», weiß Buchholz. «Unser großer Vorteil ist, dass wir beides aus einer Hand anbieten und pädagogisch verknüpfen können.» Klassenlehrer:innen und Erzieher:innen arbeiteten jeweils im Tandem. Sowohl Kinder als auch Eltern hätten auf diese Weise über Jahre hinweg feste Bezugspersonen und Ansprechpartner – in Magdeburg zum Beispiel bis mindestens zu vierten Klasse. «Die Nachmittagsbetreuung ist freiwillig», betont der Pädagoge. «Wir empfehlen allerdings, sie nicht auszulassen. Die Kinder sind sonst mitunter nicht so gut im Klassenverbund integriert. Ja, sie bekommen gar das Gefühl, sie seien vom gemeinsamen Erleben ausgeschlossen. Wir hatten immer mal wieder den Fall, dass Kinder ihre Eltern fragten, warum sie denn nicht bleiben dürften.»

Buchholz ist diplomierter Lehrer für Deutsch und Musik für die Mittel- und Oberstufe. Von 1990 bis 1998 war er als Klassenlehrer an der Freien Waldorfschule Magdeburg tätig, seit 1998 ist er dort Geschäftsführer. Buchholz gibt auch weiterhin Musikunterricht. An der Schule in Dessau fungiert er als Unterstützer und Ideengeber.

Doch wie genau sieht sie denn nun aus, die Ganztagesbetreuung? «Wir beginnen morgens um 7 Uhr in den Horträumen – in Magdeburg sogar schon um 6.30 Uhr», umreißt Buchholz. Die Erzieher:innen überbrückten zunächst die Zeit bis zum Schulbeginn um 8 Uhr. Anschließend hätten sie Pause, stünden aber ab 11 Uhr wieder bereit, um beispielsweise bei Handarbeiten oder beim Sport auszuhelfen. «Und falls einmal eine Stunde ausfällt, können sie ebenfalls einspringen», unterstreicht Buchholz. «Beim gemeinsamen Mittagessen lernen die Kinder Esskultur. Weil sie auch beim Austeilen helfen dürfen, vermitteln wir – sozusagen im Vorbeigehen – zusätzlich wichtige hauswirtschaftliche Kenntnisse.» Nach dem Essen folge eine Ruhepause. Jüngere Kinder dürften einen Mittagsschlaf halten, die Älteren ruhten sich aus oder läsen. Danach käme das Nachmittagsprogramm, wiederum mit den Erzieher:innen. «Wie genau die Schulen den Nachmittag organisieren, ist unterschiedlich», weiß Buchholz. «Manche bleiben im Klassenverband, andere betreuen Kinder unterschiedlichen Alters gemeinsam – wie in einer Großfamilie.»

Verwaltungstechnisch sind Horte, ähnlich wie Kindergärten den jeweiligen Jugendämtern zugeordnet. Es gibt fixe Kostenbeiträge, welche die Kommunen bestimmen. In Magdeburg liegt der aktuelle Montagsbeitrag für die an den Waldorfschulen integrierte Ganztagesbetreuung bei 55 Euro. Thale kommt auf 85 Euro, Dessau auf 63 Euro (Stand: Oktober 2023). Christward Buchholz erklärt: «Hierbei handelt es sich um die Beiträge, die von den Eltern zu entrichten sind. Die Kommunen ziehen das Geld direkt ein – und können die Kosten übrigens bei Bedarf auch erlassen.»

Eine besondere Herausforderung sei zu Beginn der Ganztagesbetreuung gewesen, geeignete Erzieher:innen zu finden. «Es gab einfach keine ausgebildeten Pädagog:innen, die unseren Waldorf-Geist bereits gelebt hätten», erinnert sich Buchholz. Zum Glück seien sowohl Interesse als auch Schulungswille groß gewesen. «Inzwischen gibt es in Leipzig den Campus Mitte-Ost, wo Waldorfpädagogik gelehrt wird», freut sich der Pädagoge. «Wir nutzen die Weiterbildung Hortner:in mit Begeisterung. Unsere Schulen übernehmen die Kosten für diesen Ausbildungsgang vollständig.» Natürlich sei das eine Investition – aber eine, die sich lohne: «Unsere Erzieher:innen sind für uns unschätzbar wertvolle Mitglieder des Kollegiums. Sie übernehmen wichtige Aufgaben, halten Konferenzen, organisieren den Tag der offenen Tür, planen Monatsfeiern und tragen zum pädagogischen Fachaustausch bei. Kurz: Sie sind uns in jeder Hinsicht wertvoll und arbeiten auf Augenhöhe mit den Lehrer:innen.»

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